FAQs

  • Zuerst sollte man sich sicher sein, dass man in der Situation auch die traumatischen Inhalte hören kann. Falls nicht, sollte das kommuniziert werden. Darüber hinaus sollte nicht nachgebohrt werden und nicht nur auf das Trauma fokussiert werden.

    Ob Menschen, die traumatisierende Erlebnisse gemacht haben, auch über diese sprechen wollen und können, ist sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die Jahre lang nichts von dem Erlebten berichten und andere, die sehr früh und auch vielen Menschen davon berichten können bzw. wollen. In der Unterstützung von Geflüchteten kann es daher dazu kommen, dass man sich in Situationen wiederfindet, in denen das Gegenüber von den erlebten Traumatisierungen sprechen will.

    Hier gilt es als Erstes auf die eigenen Grenzen zu achten und eigene Belastung, Kapazitäten und Erfahrungen abzuschätzen. Falls man nicht dazu bereit ist, das Erlebte zu hören, sollte das wertschätzend kommuniziert werden und kurz die Gründe benannt werden. Es sollte dennoch eine Offenheit zum Gespräch signalisiert werden, damit die Person nicht davor zurückschreckt, es anderen Personen zu erzählen, weil sie denkt, damit zu sehr zu über-/belasten. Es kann dann auch angeboten werden, dass ein anderer Zeitpunkt für das Gespräch vereinbart wird oder dass bei einer Suche nach der richtigen Person unterstützt werden kann.

    Falls man bereit dafür ist auch von traumatischen Inhalten zu hören, sollte nicht nachgebohrt werden. Die Kontrolle über die (Ausführlichkeit der) Inhalte des Erlebten sollte beim Gegenüber liegen. Das Erzählte sollte ernst genommen werden und nicht sofort hinterfragt werden. Außerdem ist es wichtig auch nach dem Gespräch den Menschen mit seinen Fähigkeiten und nicht nur die traumatischen Inhalte zu sehen, sich nicht gleich in Aktionismus zu begeben bzw. Lösungsvorschläge anzubieten.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Hantke, Lydia, Görges, H.-J., & Huber, M. (2012). Handbuch Traumakompetenz: Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik (1. Aufl.). Junfermann Verlag.

  • Krisen bedeuten einen Verlust des Gleichgewichts. Werden Menschen mit Ereignissen und Lebensumständen (z.B. Abschiebung) konfrontiert, die sie im Moment nicht bewältigen können, kann dies eine seelische Krise auslösen.

    Das Gegenüber kann in der Krise aufgebracht, aber auch ängstlich oder verwirrt sein. Hilfreich ist es daher, ruhig zu bleiben, Verständnis zu signalisieren und der Person das Gefühl zu geben sich sicher, respektiert und verstanden zu fühlen. Es sollten Gefühle und Handlungen des Gegenübers auf keinen Fall be- bzw. verurteilt werden (wie etwa durch Sätze wie „Sie sollten sich besser nicht so schuldig fühlen“ oder „Sie sollten froh sein, dass sie überlebt haben“). Die Krisenintervention dient meist zu allererst der Stabilisierung und Abwehr weiterer Gefahren. So geht es nicht darum, für die betroffene Person die Probleme zu lösen, sondern sie in ihrer Stärke zu unterstützen und gemeinsam nach Möglichkeiten und „Schlupflöchern“ zu suchen.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Hantke, Lydia, Görges, H.-J., & Huber, M. (2012). Handbuch Traumakompetenz: Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik (1. Aufl.). Junfermann Verlag.

  • Suizidgedanken und Äußerungen von Suizidabsichten sollten immer ernst genommen und prioritär behandelt werden. Sie sollten nicht bewertet oder heruntergespielt werden. Es sollte eingeschätzt werden, ob die Person während/nach dem Gespräch sich von den Absichten glaubhaft distanzieren kann. Falls nicht, muss professionelle Hilfe (Krisendienst, Klinik) gerufen werden.

    Wenn Personen Suizidgedanken /-absichten äußern, ist es besonders wichtig, im Gespräch zu bleiben, sich Zeit zu nehmen, Zuwendung und Anteilnahme zu vermitteln. Dabei sollte man möglichst ruhig bleiben und Struktur und Sicherheit vermitteln. Es können Hoffnungen und Wünsche, wie auch Gründe erfragt werden, was die Person bis jetzt am Leben erhalten hat. Hieraus lassen sich möglicherweise Alternativen zum Suizid ableiten und der Handlungsraum erweitern. Durch den Blick auf Alternativen und Ressourcen lassen sich erste Lösungsmöglichkeiten herausarbeiten. Wichtig dabei ist, nicht zu schnell nach positiven Änderungsmöglichkeiten zu suchen, da sich die Person sonst nicht ernst genommen fühlen könnte. Bevor das Gespräch endet, sollte eingeschätzt werden, ob die Person sich glaubhaft von Suizidgedanken und -absichten distanzieren kann und man selbst weiterhelfen kann und will. Falls nicht, muss an andere Stellen weitervermittelt werden (Klinik, Krisendienst, Sozialpsychiatrischer Dienst, Psychosoziales Zentrum).

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Zito (2020): Empfehlungen für die psychosoziale Arbeit mit besonders vulnerablen Asylsuchenden.

  • Um traumatisierte Geflüchtete zu stabilisieren, ist neben einer traumasensiblen Haltung und Vermittlung von Sicherheit eine Ressourcenorientierung besonders wertvoll.

    Der Vertrauensverlust in andere Personen und die Gesellschaft durch die traumatischen Erfahrungen führt bei den betroffenen Personen zu anhaltender Anspannung und/oder Vermeidung. Im Kontakt mit traumatisierten Geflüchteten sollte stets ein Gefühl der Sicherheit, Orientierung und Kontrolle vermittelt werden, sodass Betroffene die Situationen gut einschätzen können und selbst handlungsfähig werden bzw. bleiben. Folgende Aspekte dienen der Stabilisierung:

    • Transparenz bei Zuständigkeiten, Ansprechpartner*innen, Angeboten und Rolle der Beratenden
    • Kontinuität der Bezugspersonen
    • Einbeziehen der Betroffenen in Entscheidungen
    • Kommunikation auf Augenhöhe
    • Verbindlichkeit von Absprachen
    • Vermittlung von unbedingter Gewaltfreiheit (u.a. Gewaltfreie Kommunikation, Überdenken der eigenen Machtposition)
    • Vermittlung von Informationen zur Schaffung von Orientierung (Rechte und Ansprüche)

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Glokal. (2017). Willkommen ohne Paternalismus: Hilfe und Solidarität in der Unterstützungsarbeit.

    Hantke, L., & Görges, H. J. (2012). Handbuch Traumakompetenz: Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik. Junfermann Verlag GmbH.

    Preitler, B. (2016). An ihrer Seite sein: Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen (1. Aufl.). StudienVerlag.

  • Durch die Arbeit mit Menschen mit Fluchterfahrung wird man mit der Unsicherheit des Aufenthalts, bürokratischen Hürden, restriktiven Vorgaben und traumatischen Erlebnisberichten konfrontiert. Hinzu kommen in diesem Arbeitsbereich das Erleben einer großen Verantwortung, hohe Fallzahlen und das Erleben der Begrenztheit der Möglichkeiten.

    Zur Vermeidung eines Burnouts oder einer sekundären Traumatisierung ist es wichtig, neben den persönlichen Faktoren (Stressbewältigungsfähigkeit), v.a. auch die umgebenden Faktoren zu berücksichtigen. Hierfür müssen die notwendigen Rahmenbedingungen der eigenen Arbeit eingefordert und hergestellt, sowie Missstände aufgedeckt und kritisiert werden. Von großer Bedeutung ist es, eigene Gefühle wahrzunehmen und zu reflektieren. Durch die Arbeit mit Traumatisierten können private Belastungen (wieder)aufkommen, die bewusst gemacht werden müssen und separat oder situativ versorgt werden müssen (Supervision, Beratung, Therapie,…).

    In der Arbeit mit psychisch belasteten Menschen helfen das Vergegenwärtigen und Würdigen kleiner Erfolgserlebnisse, um nicht angesichts sozialer und rechtlicher Eingrenzungen zu erstarren. Damit diese Folgen abgewendet werden können, ist es unabdingbar die eigenen Grenzen zu achten, um sich vor Überlastung zu schützen. Es kommt darauf an, die richtige Nähe und Distanz zu finden, um nicht überidentifiziert oder ohne den nötigen Kontakt mit den Betroffenen zu sein. Es geht nicht nur um das Finden einer Balance zwischen Nähe und Distanz, sondern auch darum, eine Balance zwischen Macht und Ohnmacht zu finden. In der Unterstützung steht man zwischen dem Erleben von Macht („Ich kann helfen, vielleicht sogar anderen Helfer*innen helfen“) und Ohnmacht („Ich kann eh nichts ausrichten“ u.a. aufgrund des Systems, das die Bedürfnisse der Betroffenen nach Sicherheit und Ruhe nicht erfüllt). In dem beschriebenen Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz, wie auch zwischen Macht und Ohnmacht, müssen die eigenen Grenzen immer wieder neu ausgemacht und erkannt werden. Grenzen zu setzen ist in den sozialen Berufen eine der großen Herausforderungen. Es gibt immer mehr zu tun, als es die eigene Rolle, die zeitlichen Kapazitäten zulassen. Die Klarheit der eigenen Grenzen und ein wertschätzendes „Nein“ ist notwendig für ein „gesundes“ Helfen.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Zito (2020): Empfehlungen für die psychosoziale Arbeit mit besonders vulnerablen Asylsuchenden.

    Zito, D., & Martin, E. (2020). Selbstfürsorge und Schutz vor eigenen Belastungen für Soziale Berufe. Ein Hörbuch. Beltz Juventa.

    Hantke, Lydia, Görges, H.-J., & Huber, M. (2012). Handbuch Traumakompetenz: Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik (1. Aufl.). Junfermann Verlag.

    Ottomeyer, K. (2011). Die Behandlung der Opfer: Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten. Klett-Cotta.

    Video von Dr. Stefan Junker „Selbstfürsorge. Brenne für deine Arbeit – ohne zu verbrennen“: https://www.youtube.com/watch?v=GueGN3nRn9g

  • Mit einer Ermächtigung können psychologische Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz Psychotherapie für Geflüchtete anbieten.

    Psychologische Psychotherapeut*innen können (auch ohne Kassensitz) Psychotherapie für Geflüchtete anbieten, die bereits länger als  18 Monate in Deutschland sind Leistungen nach §2 AsylbLG empfangen. Nach den ersten 18 Monaten Aufenthalt haben Geflüchtete einen Anspruch auf medizinische Versorgung, die im Wesentlichen der gesundheitlichen Versorgung anderer gesetzlich Versicherter entspricht. Diese Regelung bringt aber auch mit sich, dass eine Psychotherapie nur noch von Psychotherapeut*innen durchgeführt und abgerechnet werden kann, die eine Kassenzulassung haben. Da es zu wenig Psychotherapeut*innen mit einem Kassensitz gibt und ein Abbruch der angefangenen Therapien mit einer*einem Psychotherapeut*in ohne Kassensitz vermieden werden soll, wurde durch das sog. Asylpaket I im Oktober 2015 die Möglichkeit der Ermächtigung von Psychotherapeut*innen in der Zulassungsverordnung für Ärzt*innen erweitert. Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz können sich seitdem zur Behandlung von Asylsuchenden, die Leistungen nach §2 AsylbLG empfangen, ermächtigen lassen. Dies ist als „persönliche Ermächtigung“ für psychologische und ärztliche Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendtherapeut*innen sowie als „institutionelle Ermächtigung“ für psychosoziale Einrichtungen möglich.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Informationen der BAfF zur Ermächtigung von Psychotherapeut*innen finden sie unter: http://www.baff-zentren.org/ermaechtigung/

    Eine Liste über die bereits ermächtigten Psychotherapeut*innen finden Sie hier: http://www.baff-zentren.org/behandlungszentren/ermaechtigte-psychotherapeutinnen/

  • Die Ermächtigungsregelung soll das Gesundheitssystem für psychisch erkrankte Geflüchtete stärken und zeitnahe Behandlungen ohne Abbrüche gewährleisten. Jedoch kann diese Zielsetzung aufgrund von strukturellen Barrieren nicht erreicht werden.

    In der Praxis können im Rahmen der Ermächtigungsregelung nur sehr wenige Patient*innen behandelt werden. In einigen Bundesländern können Therapiepatient*innen im Rahmen der Ermächtigung allerdings nur aufgenommen und behandelt werden, wenn sie bereits innerhalb der ersten 18 Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland eine Therapie begonnen haben. Warte- und Bearbeitungszeiten sind jedoch oft sehr lang. Die Bindung der Ermächtigung an dieses Kriterium der „Weiterbehandlung“ sorgt dafür, dass alle Geflüchteten, die erst nach 18 Monaten ihres Aufenthaltes Hilfe wegen psychischer Schwierigkeiten suchen, vielerorts von der Versorgung durch die ermächtigten Therapeut*innen ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite kann es zu Therapieabbrüchen kommen, wenn Geflüchtete  nach Beginn ihrer Behandlung bei einem*einer ermächtigten Psychotherapeut*in eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen und deshalb in die gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Dann müssen sie vielerorts die Behandlung abbrechen und müssten zu einem*einer kassenzugelassenen Therapeut*in wechseln.

    Zudem fehlt es an Lösungen zur Finanzierung von Sprachmittlung. Nach wie vor existieren keine verbindlichen Regelungen zur Finanzierung notwendiger Sprachmittlungsleistungen zur Durchführung von Psychotherapien.

  • In den ersten 18 Monaten Aufenthalt sollten die Kosten für eine*n Dolmetscher*in vom Sozialamt übernommen werden. Nach den ersten 18 Monaten Aufenthalt haben Geflüchtete Anspruch auf Regelleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, wobei die Übernahme von Dolmetscherkosten nicht getragen wird.

    Erfolgt die Gesundheitsversorgung nach AsylbLG, so können die Kosten vom zuständigen Sozialamt übernommen werden (ersten 18 Monate des Aufenthalts). Dies ist jedoch oftmals auch mit langen Wartezeiten verbunden und es kann auch hier zu einer Ablehnung kommen.

    Beim Bezug von Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Übernahme von Dolmetscherkosten jedoch nicht vorgesehen. Die Übernahme der Kosten kann beim Sozialamt bzw. beim Jobcenter beantragt werden. Hierbei können folgende gesetzliche Regelungen angeführt werden: Kosten für Dolmetscherleistungen können als atypischer Bedarf nach §73 SGB XI abgerechnet werden. Unter Umständen ist die Übernahme der Kosten für Dolmetscher*innen auch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§53 ff. SGB XII möglich. Bei Leistungsbezug durch das Jobcenter kann im Einzelfall ein Antrag auf Mehrbedarf nach § 21 SGB II gestellt werden.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    In der Arbeitshilfe der BAfF „Finanzierung von Sprachmittlung für Geflüchtete“ unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/rechtliches/

  • Sprachmittler*innen können ein Teil des therapeutischen und beraterischen Prozesses werden, da sie eine eigene unterstützende Beziehung mit den Klient*innen entwickeln können.

    Sprachmittler*innen können über ihre sprachmittelnde Tätigkeit hinaus hilfreich bei der Entwicklung eines stabilen Rahmens für interkulturelle Verstehensprozesse sein. Häufig tragen sie gemeinsam mit dem*der Therapeut*in dazu bei, dass Klient*innen wieder Vertrauen entwickeln können. Sie sind Teil des therapeutischen oder beraterischen Prozesses und damit des sicheren Ortes für die Klient*innen. Wenn die Gespräche über einen längeren Zeitraum stattfinden, werden sie in ähnlicher Weise Bezugspersonen wie die behandelnde oder beratende Person – mit einer eigenen Beziehung, die das Leid der Klient*innen mittragen kann. Doch damit sich diese Potentiale in der Zusammenarbeit mit Sprachmittler*innen entfalten können, braucht es fundierte fachliche und ethische Grundlagen, welche es zu schulen und kontinuierlich gemeinsam zu reflektieren gilt.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Schriefers, S., & Hadzic, E. (Hrsg.). (2018). Sprachmittlung in Psychotherapie und Beratung mit geflüchteten Menschen. Wege zur transkulturellen Verständigung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Infoseite der BAfF zu Sprachmittlung in Beratung und Therapie: http://www.baff-zentren.org/sprachmittlung/

    Im Video der BAfF „Beratung und Therapie mit Geflüchteten. Arbeit mit Sprachmittlung“ unter: http://www.baff-zentren.org/videos/

  • Durch Peer-Konzepte, die zur Begleitung oder Beratung entwickelt wurden, soll möglichst vielen Personen der Weg ins Gesundheitssystem erleichtert werden und durch teilweise edukative, stabilisierende und ressourcenaktivierende Interventionen in der jeweiligen Muttersprache Entlastung gefunden, Sicherheit und Stabilität gewonnen und Selbstwirksamkeit gestärkt werden. Diese Konzepte lassen sich in folgende Kategorien systematisieren: Gesundheitslots*innen, Peer-Berater*innen und Mentor*innen (Jain et. al, 2014).

    • Gesundheitslots*innen: Es bestehen zum einen Programme, die Lai*innen dazu anleiten, belastete Personen (meist vor Ort in den Unterkünften) zu identifizieren und diese dann möglichst schnell in bestehende Beratungs- und Behandlungsstrukturen zu „lotsen“. Sie kennen die Abläufe und Anlaufstellen des Gesundheitssystems gut und haben ein breites Netzwerk aufgebaut.
    • Peer-Berater*innen: Des Weiteren gibt es Peer-Aktivitäten, die die reine „Wegweiserfunktion“ überschreiten und das psychosoziale Angebot ergänzen. Sie werden unterschiedlich bezeichnet, u. a. als Laienhelfer*innen, paraprofessionelle Helfer*innen, psychosoziale Peer-Berater*innen, Trauma-informierte Peer-Berater*innen o. ä. Je nach Programm wird Psychoedukation, Stabilisierung und Ressourcenaktivierung durchgeführt, vereinzelt existieren auch Ansätze, die weiterführende psychotherapeutische Elemente in die Arbeit der Peers integrieren. Unterschiede gibt es hierbei bei der Einbindung in das Netz aus professionellen Hilfen (der Regelversorgung).
    • Mentor*innen: Ein dritter Bereich des Einsatzes von sogenannten Peers beinhaltet eine Art Prozessbegleitung (Unterstützung im Alltag, bei Behördengängen oder Wohnungssuche) und Stabilisierungsarbeit von geflüchteten Patient*innen mit Traumafolgestörungen, die bereits in Therapie sind, d. h. nicht als Ersatz für eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung konzipiert sind.

    Die Rahmenbedingungen (Qualifizierung, Koordinierung, Supervision, Netzwerk, …) der Unterstützung durch Peers werden in einer sehr unterschiedlichen Weise ausgefüllt. Es gibt Programme, die eine prozessorientierte Qualifizierung mit z. B. acht Modulen beinhalten und bedarfsorientiert und in hoher Frequenz supervisorisch begleiten. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Programme, die Laien innerhalb von zwei Tagen zu dieser Tätigkeit „befähigen“ wollen. Es wird im Folgenden dargelegt, welche Gefahren diese Programme bergen:

    • Generalisierung von Sprache, Kultur und Community: Grundsätzlich ist es sehr hilfreich, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, ebenso wie ein gegenseitiges Verstehen durch scheinbare (kulturelle) Nähe. Eine einfache Generalisierung und ein Heranziehen von Laienhelfer*innen aus diesen Gründen ist jedoch nicht unmittelbar bedarfsgerecht.
    • Rollenkonfusionen und Abgrenzungsschwierigkeiten: Die Praxis zeigt, dass Laienhelfer*innen aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit häufig auch z.B. bei Vermittlungen ins Regelversorgungssystem als „Sprachmittler*innen” oder auch als Sozialarbeiter*innen fungieren. Es kommt so zu Rollenkonfusionen.
    • Verwässerung professioneller Standards: Durch quasi-therapeutische Unterstützung bzw. Laientraumatherapien verwässern klar geregelte und festgelegt berufliche Standards für Psychotherapie und mögliche unerwünschte Effekte, wie z.B. eine unkontrollierte Überflutung durch Reaktualisierung der traumatischen Erfahrung und Grenzverletzungen können eintreten. Desweiteren besteht die Gefahr, dass die eingesetzten Personen zu einer Ausbildung „zweiter Klasse“ bewegt werden, welche keine angemessene Vergütung und/oder Zukunftsperspektiven aufweisen.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF. (2019). Lots*innen, Peers und Laienhelfer*innen: (Neue) Unterstützungskonzepte in der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten. Positionspapier. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/02/BAfF_Positionspapier_Laienhilfe_2019.pdf

    Jain, S., McLean, C., Adler, E. P., Lindley, S. E., Ruzek, J. I., & Rosen, C. S. (2014). Does the Integration of Peers into the Treatment of Adults with Posttraumatic Stress Disorder Improve Access to Mental Health Care? A Literature Review and Conceptual Model. Traumatic Stress Disorders & Treatment, 2013. https://doi.org/10.4172/2324-8947.1000109

    Wolf, V., & van Keuk, E. (2018). Nach der Flucht das Gleichgewicht wiederfinden. Erfahrungen aus dem Düsseldorfer Modellprojekt „In2Balance – Laienhilfe für Geflüchtete zur psychischen Stabilisierung“. Ärztliche Psychotherapie, 13(2), 103–108.

  • Die Inanspruchnahme und Finanzierung ambulanter Psychotherapien für Geflüchtete beruht auf einem rechtlich komplexen System. Ob eine Therapie finanziert wird und bei wem diese durchgeführt werden kann, hängt vom Aufenthaltsstatus und Aufenthaltsdauer ab.

    Da sich die Krankenbehandlung während der ersten 18 Monate des Aufenthaltes ausschließlich nach dem AsylbLG richtet und keine Leistungen nach dem SGB V gewährt werden, müssen Therapeut*innen auch nicht über eine Kassenzulassung verfügen. Diese Möglichkeit endet jedoch dann, wenn Geflüchtete den sozialrechtlichen Status ändern oder Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalten.

    Nach den ersten 18 Monaten Aufenthalt haben Geflüchtete einen Anspruch auf medizinische Versorgung, die der gesundheitlichen Versorgung der anderer gesetzlich Versicherten entspricht. Diese Regelung bringt aber auch mit sich, dass eine Psychotherapie nur noch von Psychotherapeut*innen durchgeführt und abgerechnet werden kann, die eine Kassenzulassung haben.

    Da es zu wenig Psychotherapeut*innen mit einem Kassensitz gibt und ein Abbruch der angefangenen Therapien mit einer*einem Psychotherapeut*in ohne Kassensitz vermieden werden soll, wurde die Möglichkeit der Ermächtigung von Psychotherapeut*innen in der Zulassungsverordnung für Ärzt*innen erweitert. Psychotherapeut*innen, die bislang keinen Kassensitz haben, können sich seitdem zur Behandlung von Asylsuchenden, die Leistungen nach §2 AsylbLG empfangen, ermächtigen lassen. Dies ist als „persönliche Ermächtigung“ für psychologische und ärztliche Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendtherapeut*innen sowie als „institutionelle Ermächtigung“ für psychosoziale Einrichtungen möglich. Diese Regelung bringt aber auch Probleme mit sich.

    Weitere Informationen finde Sie unter:

    In der Arbeitshilfe der BAfF „Leitfaden zur Beantragung einer Psychotherapie für Geflüchtete“ unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/rechtliches/

    Informationen zur Ermächtigung von Psychotherapeut*innen finden Sie unter: http://www.baff-zentren.org/ermaechtigung/

  • Die therapeutische Beziehung nimmt für die Klient*innen eine entscheidende Rolle ein, wenn es darum geht multiplen Isolationsformen (Wohnverpflichtung, Diskriminierung, Sprachbarrieren, fehlende gesundheitliche Versorgung) entgegenzuwirken.

    Hilfreich in der Therapie mit Geflüchteten ist u.a.:

    • Vertrauen, Verständnis und aktive Solidarität: Hier ist den Klient*innen wichtig, dass sich die Therapeut*innen ihren Geschichten verständnisvoll und solidarisch annehmen und aktiv mit diesen umgehen, indem sie helfen, Erfahrungen einzuordnen und Ratschläge für einen Umgang mit Problemen geben.
    • Selbstbestimmung und Schweigepflicht: Um trotz der (verständlichen) anfänglichen Skepsis der Klient*innen eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung herstellen zu können braucht es nicht nur Zeit und Geduld von beiden Seiten. Auch Respekt und Distanz sind wichtige Motive beim Aufbau von Vertrauen. Indem die Klient*innen eigene Grenzen setzen, die respektiert werden sollen, fordern sie in ihrer verletzlichen Position Selbstbestimmung ein. Die Schweigepflicht stellt sicher, dass die Klient*innen in einem tatsächlich geschützten Rahmen aussprechen können, was ihnen wirklich passiert ist und ist ebenso ein wichtiger Punkt in der Selbstbestimmung.
    • Sprachmittlung: Die Möglichkeit der Sprachmittlung bewerten die Klient*innen insgesamt positiv und als notwendig für die Therapie, um einen ausführlichen und sorgenfreien Austausch mit den Therapeut*innen zu gewährleisten.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Flory, L., & Teigler, L. (2017). Was hilft? Wege aus der Isolation. Geflüchtete sprechen über ihre Erfahrungen mit Psychotherapie. Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. http://www.baff-zentren.org/news/was-hilft/

    Mujawayo, E., & Zito, D. (2017). Dem Leben wieder einen Sinn geben. Familiendynamik, 42(1), 4–9. https://doi.org/10.21706/fd-42-1-4

    Ottomeyer, K. (2011). Die Behandlung der Opfer: Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten. Klett-Cotta.

  • Die körperliche, soziale und psychische Stabilisierung der Betroffenen, d.h. die Herstellung von innerer und äußerer Sicherheit, ist ein zentraler Schritt bei der Bearbeitung eines Traumas.

    Traumatherapie besteht in der Regel aus drei Phasen:

    1. Abklärung der Stabilität und ggf. Stabilisierung
    2. Traumabearbeitung
    3. Psychosoziale Reintegration

     

    Durch die Stabilisierungs- und Ressourcenarbeit sollen sich Betroffene zunächst sicher genug fühlen um sich auf den therapeutischen Prozess einlassen zu können. Durch die traumatischen Erfahrungen wurde ihre Sicherheit fundamental in Frage gestellt und die Klient*innen versuchen sich verständlicherweise vor den traumatischen Inhalten zu schützen. Für den Umgang mit traumabezogenen Symptomen wird Psychoedukation angeboten und Handwerkszeug für den Alltag erlernt. Bei der Traumabearbeitung werden die traumatischen Situationen dann kontrolliert durchlebt und die fragmentierten Erinnerungen, Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken zum traumatischen Ereignis zusammengeführt, allerdings sollte dies erst bei ausreichender Stabilität und Einwilligung der Betroffenen passieren. In den meisten Fällen kann ein Trauma nicht vollständig be- oder verarbeitet werden. Mit der dritten Phase der Traumatherapie soll die Integration des Erlebten in das eigene Leben erfolgen, so dass die Symptome schwächer werden oder verschwinden.

     

    Sehr stark traumatisierte Menschen können oder wollen sich nicht in die konkreten, traumatischen Erinnerungen bewegen und profitieren trotzdem von therapeutischen Prozessen. Sie können in diesem Rahmen zum Beispiel an ihrem Selbstbild arbeiten, trauern, Erlebnisse gesellschaftlich einordnen, Körpertherapie machen und neue Perspektiven auf das eigene Leben schaffen.

     

    Außerdem ist eine Therapie nicht immer sofort sinnvoll. Oftmals sind andere Themen erstmal vordergründig nach der Ankunft in Deutschland (Sicherung des Aufenthalts, Familiennachzug ,…), Symptome stellen sich erst sehr viel später ein und eine Bearbeitung des Traumas wird erst nach Jahren möglich.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF. (2018). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2018/11/BAfF_Praxisleitfaden-Traumasensibler-Umgang-mit-Gefluechteten_2018.pdf

    Liedl, A., Böttche, M., Abdallah-Steinkopff, B., & Knaevelsrud, C. (2016). Psychotherapie mit Flüchtlingen – neue Herausforderungen, spezifische Bedürfnisse: Das Praxisbuch für Psychotherapeuten und Ärzte. Schattauer.

    Ottomeyer, K. (2011). Die Behandlung der Opfer: Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten. Klett-Cotta.

  • Die Aussagen über Fluchtgeschichten werden bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach Kriterien der Glaubwürdigkeit (Vollständigkeit, Detailreichtum, Chronologie und Widerspruchsfreiheit) bewertet.  Aufgrund krankheitsbedingter Gedächtnisstörungen, Vermeidungstendenzen, Scham und/oder kulturbedingter Faktoren fällt es traumatisierten Geflüchteten jedoch besonders schwer in ihrer Schilderung der Ereignisse diese Kriterien zu erfüllen. Die (juristische) Wahrheitsfindung ist vor diesem Hintergrund deutlich erschwert.

    Die Anhörungsinhalte werden u.a. nach den Kriterien der Vollständigkeit der Aussage, dem Detailreichtum, der Chronologie und der Widerspruchsfreiheit des Erzählten bewertet. Es wird demnach eine vollständige Darstellung der Asylgründe erwartet, ein verspätetes Vorbringen bleibt unberücksichtigt. Detailreichtum und die korrekte Chronologie der Erzählungen sprechen nach Kriterien des BAMF für die Glaubhaftigkeit der Aussagen. Die vollständige Widerspruchsfreiheit und unbedingte Konsistenz ist notwendig. Die Anwendbarkeit der Kriterien bei Personen mit möglichen Traumafolgestörungen ist vor diesem Hintergrund eingeschränkt. Denn die Arbeitsweise des Gehirns unter traumatischen Stress führt dazu, dass Erfahrungen schlecht eingeordnet werden können und es zur vereinzelten und fragmentarischen Abspeicherung von Sinneseindrücken, Gedanken, Zeit und Emotionen kommen kann. Besondere Foltermethoden führen auch gezielt zur raum-zeitlichen Desorientierung. Traumatische Bereiche werden daher oftmals einfach nicht erinnert oder vermieden. Das Erinnern ist oftmals ein mühsamer (Re-) Konstruktionsprozess. Auch aus Scham oder kulturbedingten Faktoren kann es dazu kommen, dass die Anhörung nicht die Situation darstellt, in der Personen das erste Mal über (sexualisierte) Gewalterfahrungen sprechen können. Der (Erwartungs-)Druck der Situation der Anhörung kann dazu führen, dass Erinnerungslücken spontan gefüllt werden.

    Studien zeigen, wie belastend sich die Anhörungssituation auf traumatisierte Geflüchtete auswirkt und unterstreichen die Bedeutung von Anhörungen mit besonders geschulten Anhörer*innen (Schock et al., 2015).

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Herman, J. L. (2015). Trauma and recovery: The aftermath of violence–from domestic abuse to political terror. Hachette UK.

    Schock, K., Rosner, R., & Knaevelsrud, C. (2015). Impact of asylum interviews on the mental health of traumatized asylum seekers. European Journal of Psychotraumatology, 6(0). http://www.ejpt.net/index.php/ejpt/article/view/26286

    Refugee Law Clinics Deutschland (2018). Zur Beratungssituation im Asylverfahren. Ein Skript für die ehrenamtliche und studentische Rechtsberatung von Geflüchteten. https://rlc-deutschland.de/wp-content/uploads/2018/04/Rechtsberatung-im-Asylverfahren_Skript-der-RLCs_2018_02.pdf

  • Der eingeschränkte Zugang Geflüchteter zu gesundheitlichen Leistungen in Deutschland ist ein deutlicher Belastungsfaktor für Geflüchtete. Dabei zeigen Geflüchtete oftmals einen schlechteren Gesundheitszustand als die deutsche Allgemeinbevölkerung, berichten aber gleichzeitig eine niedrigere Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Biddle et al., 2019). Grund dafür sind vielfältige Zugangsbarrieren wie fehlende Sprachmittlung oder bürokratische Hürden.

    Aus Studien bekannte Hindernisse beim Zugang zu bedarfsgerechten Versorgungsangeboten sind:

    • Sprach- und Kommunikationsbarrieren
    • verzögerte oder fehlende Kostenübernahmen für Sprachmittlung
    • Diskriminierung, bürokratische Hürden und erhöhte Kosten durch die Praxis der Krankenscheine in vielen Bundesländern
    • Diskriminierungserfahrungen in der Regelversorgung
    • geringe Bereitschaft von Ärzt*innen der Regelversorgung sich mit Abrechnungsmodalitäten auseinander zu setzen
    • geringe Vernetzung von Ärzt*innen und z.B. Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen
    • eingeschränkte Versorgungskapazitäten & lange Wartezeiten
    • Unterbrechung diagnostischer und therapeutischer Prozesse durch (asylrechtlich bedingte) Neuzuweisungen und Wohnortwechsel
    • eingeschränkte Erreichbarkeit durch die strukturelle Kontrolle der Autonomie in Unterkünften, die isolierte Wohnsituation sowie verzögerte oder fehlende Kostenübernahmen für Fahrtkosten
    • Informations- und Wissensdefizite über eigene Ansprüche und das deutsche Gesundheitssystem

    Diese Hindernisse haben deutliche Auswirkungen sowohl auf die Gesundheit der Betroffenen als auch auf die Frage, inwieweit sie eine Behandlung in Anspruch nehmen (können). So konnte eine Studie in Baden-Württemberg zeigen, dass ca. 30 % der Bedarfe an allgemeinmedizinischer und fachärztlicher Versorgung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften nicht durch das Gesundheitssystem abgedeckt werden (Biddle, Menold, et al., 2019). Dies deckt sich mit den Daten, die das wissenschaftliche Institut der AOK zur Gesundheit erhoben hat (Schröder et al., 2018): 27 % der chronisch erkrankten Geflüchteten, die das Institut befragt hat, gaben an, dass sie in den letzten sechs Monaten bei Ärzt*innen waren, aber nicht behandelt wurden. Der Zugangsweg wird von Betroffenen als hürdenreich und entmündigend wahrgenommen. Betroffene resignieren zunehmend, wenn ihr Bemühen wiederholt ins Leere läuft (Spura et al., 2017). Es kommt darüber hinaus zu Fehldiagnosen bzw. Fehlmedikation durch fehlende Sprachmittlung (Schouler-Ocak & Kurmeyer, 2017), zu vermehrten Krankenhausbehandlungen (Göpffarth & Bauhoff, 2017) und zu Chronifizierungen von Erkrankungen durch Nicht-Erkennen oder Nicht-Behandlung der Krankheit (Bundespsychotherapeutenkammer, 2015). Diese problematischen Konsequenzen und die entsprechenden Folgekosten wären vermeidbar, wenn psychosoziale Beschwerden bei Geflüchteten frühzeitig identifiziert würden (Biddle, Menold, et al., 2019).

    In der Realität werden Hinweise auf psychische Erkrankungen jedoch vielerorts nicht systematisch erfasst und die Betroffenen erhalten oft weder eine Diagnose noch eine entsprechende Behandlung (vom Felde et al., 2020). Eine Studie aus Sachsen-Anhalt hat geprüft, wie hoch in einer Zufallsstichprobe der Anteil der Geflüchteten ist, die Symptome einer psychischen Erkrankung zeigen und diese Ergebnisse mit Daten zum Anteil der Geflüchteten in Verbindung gesetzt, die letztlich eine Diagnose bzw. eine Behandlung bekommen. In der Zufallsstichprobe zeigten 54 % der Personen Symptome einer Depression, 41 % Symptome einer Angststörung und 18 % Symptome einer PTBS. Im Vergleich mit den Ergebnissen einer Sekundäranalyse von Daten der lokalen Sozialämter wurde hier eine große Lücke deutlich: Nur 2,6 % der Asylsuchenden aus dem Datensatz der Sozialämter bekam die Diagnose einer Depression, bei 1,4 % wurde eine Angststörung diagnostiziert und bei 2,9 % eine PTBS. Weniger als ein Zehntel der potentiell symptombelasteten Asylsuchenden haben diesem Verhältnis zufolge die Chance, auch eine entsprechende Diagnose zu erhalten. Von den im Datensatz der Sozialämter diagnostizierten Personen erhielten letztlich etwa 45 % überhaupt keine Behandlung, 38 % wurden ausschließlich medikamentös behandelt. Nur 1 % aller Patient*innen befand sich in Psychotherapie (Führer et al., 2019).

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Biddle, L., Menold, N., Bentner, M., Nöst, S., Jahn, R., Ziegler, S., & Bozorgmehr, K. (2019). Health monitoring among asylum seekers and refugees: A state-wide, cross-sectional, population-based study in Germany. Emerging Themes in Epidemiology, 16(1), 3. https://doi.org/10.1186/s12982-019-0085-2

    Bundespsychotherapeutenkammer. (2015). BPtK-Standpunkt: Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen. https://www.bptk.de/wp-content/uploads/2019/01/20150916_bptk_standpunkt_psychische_erkrankungen_fluechtlinge.pdf

    Führer, A., Niedermaier, A., Kalfa, V., Mikolajczyk, R., & Wienke, A. (2019). A yawning gap: Asylum-seekers’ health care needs and outpatient treatment for psychological complaints. https://doi.org/10.13140/RG.2.2.14333.51682

    Göpffarth, D., & Bauhoff, S. (2017). Gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden—Untersuchungen anhand von Abrechnungsdaten der BARMER. Barmer GEK Gesundheitswesen aktuell, 32–65.

    Schouler-Ocak, M., & Kurmeyer, C. (2017). Study on Female Refugees-Repräsentative Untersuchung von geflüchteten Frauen in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland. https://www.integrationsbeauftragte.de/Webs/IB/DE/Themen/GesellschaftUndTeilhabe/Medien/2017-03-22-study-on-female-refugees.pdf?__blob=publicationFile&v=3

    Schröder, H., Zok, K., & Faulbaum, F. (2018). Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. WIdOmonitor, 1, 1–20.

    Spura, A., Kleinke, M., Robra, B.-P., & Ladebeck, N. (2017). Wie erleben Asylsuchende den Zugang zu medizinischer Versorgung? Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 60(4), 462–470. https://doi.org/10.1007/s00103-017-2525-x

    vom Felde, L., Flory, L., & Baron, J. (2020). Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit am Beispiel von Personen mit Traumafolgestörungen. Status quo in den Bundesländern, Modelle und Herausforderungen. Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/10/BAfF_Reader_Fruehfeststellung.pdf

  • Es finden sich in fast allen Biografien von Geflüchteten zahlreiche Belastungsfaktoren, die die Vulnerabilität Geflüchteter erhöhen und ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen können. Sie werden auch Postmigrationsstressoren genannt. Darunter fallen Faktoren auf strukturell-institutioneller und auf individueller Ebene. Besonders relevant sind z.B. ein unsicherer Aufenthalt, Diskriminierungserfahren im Alltag, bei der Berufswahl und Wohnungssuche, soziale Isolation und die Trennung von Familie und Freund*innen.

    Der Einfluss von sozialen Determinanten auf die psychische Gesundheit wird im Kontext von Flucht und Migration in mehreren Studien beschrieben (Böttche et al., 2016; Hynie, 2018; Walther et al., 2019). Je mehr Belastungsfaktoren durch die Lebensbedingungen im Ankunftsland (auch: Postmigrationsstressoren) zusammenkommen, desto höher ist das Risiko, Symptome einer psychischen Erkrankung zu entwickeln (Bogic et al., 2015).

    Postmigrationsstressoren bestehen für alle Geflüchtete, die in Deutschland ankommen. Menschen mit Traumafolgestörungen haben jedoch weniger Kapazitäten mit diesen zusätzlichen Stressoren umzugehen. Das gilt besonders, wenn sie unter Bedingungen leben, die sie auch nach der Ankunft in Deutschland nicht vor weiteren Gewalterfahrungen schützen. Die ständige Wachsamkeit, die es braucht, um möglichen „Triggern“ aus dem Weg zu gehen, ist anstrengend und Betroffene ziehen sich häufig zurück, um sich zu schützen.

    Wenn jedoch genügend Ressourcen, Unterstützung und Möglichkeiten vorhanden sind, kann es auch schwer traumatisierten Personen mit der Zeit gelingen, neue Perspektiven und Ziele zu sehen, sich persönlich positiv zu entwickeln und am Ende „stärker und weiser” zu sein (Hantke et al., 2012), was auch als Posttraumatisches Wachstum beschrieben wird (Tedeschi & Calhoun, 2004). Es ist möglich diese Entwicklung zu unterstützen, indem die (noch) vorhandenen Ressourcen der Betroffenen gefördert werden. Zu einer sinnvollen Unterstützung gehören auch angemessene Lebens- und Versorgungsbedingungen sowie die gesellschaftliche Anerkennung von Trauma und Gewalt (Stauffer, 2015).

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Hantke, L., Görges, H.-J., & Huber, M. (2012). Handbuch Traumakompetenz: Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik (1. Aufl.). Junfermann Verlag.

    Stauffer, J. (2015). Ethical Loneliness: The Injustice of Not Being Heard. Columbia University Press.

    Tedeschi, R. G., & Calhoun, L. G. (2004). TARGET ARTICLE: „Posttraumatic Growth: Conceptual Foundations and Empirical Evidence“. Psychological Inquiry, 15(1), 1–18. https://doi.org/10.1207/s15327965pli1501_01

  • Im Diskurs um Trauma bei Geflüchteten wird oftmals direkt von der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung gesprochen. Diese Diagnose birgt jedoch auch Missverständnisse und u.a. die Gefahr der Pathologisierung und Stigmatisierung der Betroffenen als „kranke“ oder „gestörte“ Personen. Zu vermeiden ist die Reduktion des Erlebten auf allein neurobiologische Stressreaktionen sowie die Individualisierung der Bearbeitung der Folgen auf die Psyche.

    In der klinisch-naturwissenschaftlichen Perspektive kommt es häufig zu einer Reduktion des traumatischen Erlebens auf neurobiologische Prozesse im Gehirn. Die Ursachen des Traumas werden als starker Stressreiz bezeichnet, der eine Überflutung durch Stresshormone nach sich zieht, mit denen die betroffene Person in der Situation nicht fertig wird. Mit der psychiatrischen Diagnose PTSD wird der betroffenen Person dann eine „Krankheit“ bzw. „Störung“ bescheinigt. Trauma findet allerdings nicht nur im Gehirn statt.

    Gesellschaftliche Umstände, politische Gewalt und auch aktuelle prekäre Lebensumstände werden unsichtbar gemacht, wenn wir sie lediglich als Stressreiz beschreiben. Die geflüchtete, traumatisierte Person wird formal nicht mehr als Überlebende*r von Menschenrechtsverletzungen gesehen, sondern als kranker Mensch, der eine Reihe von Symptomen aufzeigt. Diese Kritik an pathologisierenden Interpretationen lässt sich nicht nur auf die Diagnose PTSD beziehen, wird in diesem Kontext aber besonders dringlich. So wird mit der Diagnose zwar anerkannt, dass die erlittene Gewalt grausame Folgen auf die Psyche der betroffenen Person hat, die Bearbeitung dieser Folgen und ihres Ursprungs wird jedoch auf das Individuum abgeschoben und gesellschaftliche Missstände werden privatisiert.

    Traumatisierte Personen sind also nicht „gestört“, denn unter Einbezug des traumatisierenden Kontexts wird deutlich, dass diese komplexen Reaktionen der Betroffenen angemessene Reaktionen auf massive Gewalt sind. Daher ist es für den traumasensiblen Umgang mit Geflüchteten unabdingbar, die sozialen und politischen Verhältnisse zu kennen und zu berücksichtigen, und sich nicht allein auf klinische Diagnosen zu beziehen.

    Das Trauma wird in der Konzeption der PTSD auch als einzelnes, herausgelöstes Ereignis betrachtet, das eine Anfang und ein Ende hat. Für Menschen, die langandauernde Gewalt erfahren haben, die außerdem mit komplexen, meist unauflöslichen politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen verwoben sind, erweist sich diese Traumakonzeption häufig als unzureichend.

    Gleichzeitig kann die Diagnose der PTBS eine Möglichkeit der Anerkennung des Traumas und seiner Folgen bedeuten. Dies kann für Betroffene entlastend sein und sogar als eine Art „Beweis“ ihrer Gewalterfahrungen gesehen werden.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Brensell, A. (2013). Trauma als Prozess—Wider die Pathologisierung struktureller Gewalt und ihrer innerpsychischen Folgen. https://www.medico.de/fileadmin/_migrated_/document_media/1/trauma-als-prozess.pdf

    Brunner, M. (2015). Trauma und gesellschaftlicher Kontext. Betreuung und Belastung. Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung von Überlebenden der Shoah, 8–17.

    Flory, L., Teigler, L., Behrends, M., & Atasayi, S. (2020). Trauma, Empowerment und Solidarität. Wie können wir zu einem verantwortungsvollen und ermächtigenden Umgang mit Trauma beitragen? http://www.baff-zentren.org/news/trauma-empowerment-und-solidaritaet/

    medico international. (2000). Schnelle Einsatzgreiftruppe Seele. medico international. https://www.medico.de/download/mi_report-20-scan.pdf

    Preitler, B. (2016). An ihrer Seite sein: Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen (1. Aufl.). StudienVerlag.

    Watters, E. (2016). Crazy like us: Wie Amerika den Rest der Welt verrückt macht (1. Aufl.). dgvt-Verlag.

    Young, A. (1997). The Harmony of Illusions. Princeton University Press. http://www.agpolpsy.de/wp-content/uploads/2011/05/ young-the-harmony-of-illusions.pdf

  • Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine mögliche Traumafolgestörung. Typische Symptome sind das Wiedererleben des traumatischen Erlebnis, ein dauerhaft erhöhtes Stress- und Anspannungslevel und die Vermeidung von Gedanken, Gefühlen, Orten, Situationen, die an das traumatische Erlebnis erinnern.

    Die Diagnose PTBS ist 1994 in das klinische Diagnosemanual (ICD) eingegangen. Um die Diagnose PTBS zu bekommen, muss die betroffene Person einem schwerwiegenden und belastenden Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein. Die Symptome müssen innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis oder nach Ende der Belastungsperiode auftreten und mindestens vier Wochen anhalten. Typische Symptome sind das nicht kontrollierbare Wiedererleben des traumatischen Erlebnis. Dies kann sich zum Beispiel in Form von Alpträumen, Flashbacks oder Intrusionen manifestieren, bei welchen Bilder, Empfindungen oder auch Gerüche wiedererlebt werden. Weitere Symptome sind die Gefühlstaubheit, emotionale Abschottung, Vermeidung von Situationen und Aktivitäten, welche an das traumatische Erlebnis erinnern, Teilnahmslosigkeit und Freudlosigkeit. Zudem tritt meist ein Zustand von Übererregung mit Schlafstörung, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten auf. Bei Überlebenden wiederkehrender, menschengemachter Gewalt – und damit bei vielen Geflüchteten –zeigen sich zudem häufig Scham- und Schuldgefühle bezüglich des Erlebten, Überlebensschuld, Verzweiflung, labiles Selbstwertgefühl sowie mögliches selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität.

    Seit 2019 wurde zudem auch die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung in 11. Revision des Internationalen Klassifikationssystems der Krankheiten von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet (ICD-11).

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    BAfF (2020): Neue Behandlungsempfehlungen für Traumafolgestörungen.

  • Menschen, die Traumatisches erlebt haben, können sehr unterschiedlich auf diese psychische Belastung reagieren. Häufig können die psychischen Reaktionen einer von verschiedenen Traumafolgestörungen zugeordnet werden. Häufig treten auch mehrere Traumafolgestörungen zeitgleich auf und überlagern sich.

    Unter dem Oberbegriff Traumafolgestörung können mehrere klinische Diagnosen gefasst werden:

    • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS bzw. engl: PTSD)
    • Depressive Störungen
    • Dissoziative Störungen
    • Angststörungen
    • Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline)
    • Suchterkrankungen
    • Somatoforme Störungen
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall)
    • Immunologische Erkrankungen (Asthma, Gelenkentzündungen, Ekzeme, …)

    Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wird in Politik und Medien häufiger als die Diagnose benutzt, um das Leid von Geflüchteten zu beschreiben.

    Studien zeigen, dass zwischen 30 und 50 % der Geflüchteten an Traumafolgestörungen leiden. Das heißt aber auch, dass nicht jede geflüchtete Person traumatisiert ist oder unter einer Traumafolgestörung leidet.

    Weitere Informationen:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Bozorgmehr, K., Mohsenpour, A., Saure, D., Stock, C., Loerbroks, A., Joos, S., & Schneider, C. (2016). Systematische Übersicht und „Mapping“ empirischer Studien des Gesundheitszustands und der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland (1990–2014). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59(5), 599–620.

    Steel, Z., Chey, T., Silove, D., Marnane, C., Bryant, R. A., & van Ommeren, M. (2009). Association of torture and other potentially traumatic events with mental health outcomes among populations exposed to mass conflict and displacement: A systematic review and meta-analysis. JAMA: The Journal of the American Medical Association, 302(5), 537–549.

  • Von einem Trauma sprechen wir, wenn Menschen Erfahrungen machen mussten, die ihr eigenes Leben ernsthaft bedrohten, oder sie zu Zeug*innen für den Tod anderer werden ließen. Solche Erlebnisse haben viele tiefgreifende Auswirkungen auf die Betroffenen und überfordern die Kapazität der Psyche, adäquat auf sie zu reagieren.

    Der Begriff Trauma wird nicht einheitlich verwendet und kann sowohl das traumatische Ereignis als auch die Folgesymptomatik bezeichnen.

    Die Schwere eines Traumas kann durch die Unterscheidung in Trauma Typ I und Trauma Typ II differenziert werden. Typ I Traumata umfassen einmalig und zeitliche begrenzte Ereignisse wie zum Beispiel Unfälle oder Naturkatastrophen. Typ II Traumata, sogenannte „man-made-disasters“, umfassen komplexe und sich wiederholende traumatische Erfahrungen, die durch Menschen herbeigeführt werden wie zum Beispiel Folter. Die Typ II Traumata werden psychisch immer als besonders schwerwiegend erlebt, da sie an den Grundfesten der menschlichen Existenz rütteln. Diese traumatischen Ereignisse bedeuten oftmals eine grundlegende Erschütterung des Vertrauens in die Welt, in andere Menschen und sich selbst. Gefühle der Unsicherheit, der permanenten Bedrohung, Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins treten auf.

    Das Ausmaß der Traumatisierung ist nicht nur von der Art, der Schwere und der Häufigkeit der traumatischen Erfahrung abhängig, sondern auch von der Zeit danach, in der eigentlich die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse beginnen könnte (siehe „Sequentielle Traumatisierung“ nach Keilson).

    Es gibt eine grundsätzliche Kritik an der klinischen Perspektive auf Trauma und der Fokussierung auf „Störungen“, da die (gesellschaftlichen) Ursprünge von Gewalt und psychischer Belastung in diesem Kontext selten in den Blick genommen werden (Brenssell & Weber, 2014). Desweiteren gibt es eine lange Debatte um die kulturelle Übertragbarkeit von Diagnosen, da die diagnostischen Kriterien bislang vor allem von einer vergleichsweise kleinen, homogenen Gruppe festgelegt und an einer ebenso homogenen Gruppe getestet werden (siehe zum Beispiel Kirmayer & Gómez-Carrillo, 2019; Sue, 2001). Mehr zu dieser Kritik ist zu finden unter:  Kritik an der Pathologisierung durch die Diagnose PTSD

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    BAfF (2022). Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten. Ein Praxisleitfaden.

    Flory, L., Teigler, L., Behrends, M., & Atasayi, S. (2020). Trauma, Empowerment und Solidarität. Wie können wir zu einem verantwortungsvollen und ermächtigenden Umgang mit Trauma beitragen?

    Baron, J., & Flory, L. (2016). Versorgungsbericht—Zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern. 3.aktualisierte Auflage.

    Brenssell, A., & Weber, K. (Hrsg.). (2014). Störungen: Texte kritische psychologie 04. Argument Verlag.

    Keilson (2005): Sequentielle Traumatisierung bei Kindern.

    Kirmayer, L. J., & Gómez-Carrillo, A. (2019). Culturally responsive clinical psychology and psychiatry: An ecosocial approach. In Cultural clinical psychology and PTSD (S. 3–21). Hogrefe Publishing.

    Sue, D. W. (2001). Multidimensional facets of cultural competence. The Counseling Psychologist, 29(6), 790–821. 

  • Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie werden oft schon sehr früh Zeug*innen von menschengemachter Gewalt oder erleben diese sogar als direkt gegen sie gerichtet.  Bei mehr als der Hälfte der geflüchteten Kinder in Deutschland liegen psychologische Belastungssymptome vor und 40 % der Kinder sind durch die Gewalterfahrungen u. a. in der Schule, aber auch in zwischenmenschlichen Interaktionen deutlich eingeschränkt (Gavranidou et al., 2008).

    Das häufigere Erleben von traumatisierenden Situationen wird durch eine Studie aus den Niederlanden deutlich, die zeigt, dass etwa 23 % der begleiteten Kinder körperlich misshandelt und etwa 8 % sexuell missbraucht werden, wohingegen 63 % der unbegleiteten Minderjährigen körperlich und 20 % sexuell misshandelt wurden (bei Jungen: 12 %, bei Mädchen: 39 %) (Bean et al., 2007). Studien konnten zeigen, dass Prävalenzen für PTSD bei begleiteten und unbegleiteten Minderjährigen zwischen 14 % bis 60 % (Metzner et al., 2016; Spallek et al., 2016) und für Depressionen zwischen 6 % bis etwa 36 % (Metzner et al., 2016) liegen.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Infoseite zu jungen Geflüchteten der BAfF: http://www.baff-zentren.org/gefluechtete-kinder-und-jugendliche/

    Bean, T., Derluyn, I., Eurelings-Bontekoe, E., Broekaert, E., & Spinhoven, P. (2007). Comparing psychological distress, traumatic stress reactions, and experiences of unaccompanied refugee minors with experiences of adolescents accompanied by parents. The Journal of Nervous and Mental Disease, 195(4), 288–297. https://doi.org/10.1097/01.nmd.0000243751.49499.93

    Gavranidou, M., Niemiec, B., Magg, B., & Rosner, R. (2008). Traumatische Erfahrungen, aktuelle Lebensbedingungen im Exil und psychische Belastung junger Flüchtlinge. Kindheit und Entwicklung, 17(4), 224–231. https://doi.org/10.1026/0942-5403.17.4.224

    Metzner, F., Reher, C., Kindler, H., & Pawils, S. (2016). Psychotherapeutische Versorgung von begleiteten und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Asylbewerbern mit Traumafolgestörungen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59(5), 642–651. https://doi.org/10.1007/s00103-016-2340-9

    Spallek, J., Tempes, J., Ricksgers, H., Marquardt, L., Prüfer-Krämer, L., & Krämer, A. (2016). Gesundheitliche Situation und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge – eine Näherung anhand qualitativer und quantitativer Forschung in der Stadt Bielefeld. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59(5), 636–641. https://doi.org/10.1007/s00103-016-2339-2

  • Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung haben Geflüchtete ein 10-fach erhöhtes Risiko an einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Depression zu erkranken (Fazel et al., 2005).

    Neuere Auswertungen der Daten aus einer Längsschnittbefragung, die das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) gemeinsam durchführen[1], zeigen, dass die körperliche Gesundheit der seit 2013 nach Deutschland geflüchteten Menschen über dem Durchschnittswert der deutschen Gesamtbevölkerung liegt. Die Autor*innen erklären dies durch die junge Altersstruktur. Die Werte zur psychischen Gesundheit liegen jedoch unter dem Bevökerungsdurchschnitt: „Die psychische Gesundheit von Geflüchteten […] steht in einem starken Kontrast zu ihrem körperlichen Wohlbefinden. Sie weisen ein signifikant niedrigeres psychisches Wohlbefinden als der Bevölkerungsdurchschnitt auf. Bei keiner der verglichenen Bevölkerungsgruppen ist die Divergenz zwischen dem körperlichen und psychischen Wohlbefinden derart stark ausgeprägt.“ Vergleichsweise besonders belastet sind Frauen und die Altersgruppe über 45 Jahre (Metzing et al., 2020).

    Auch das Risiko an einer PTBS zu erkranken, war in allen Altersgruppen hoch. Ein PTBS-Risiko besteht, wenn die emotionale Belastung einen Schwellenwert überschreitet, ab dem auf lange Sicht die Entwicklung einer PTBS möglich ist. In allen Herkunftsländern lag das PTBS-Risiko über 20% – also weit höher als für den Bevölkerungsdurchschnitt zu erwarten. In Deutschland liegt die 12-Monats-Prävalenz für eine Posttraumatische Belastungsstörung in der Allgemeinbevölkerung bei 2,3%.

    In einer Studie der AOK (Schröder, 2018) zeigten mehr als 40% der Befragten Anzeichen depressiver Erkrankungen. Auch die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands sei bei Geflüchteten im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung deutlich schlechter – obwohl Geflüchtete seltener angaben, an chronischen Krankheiten zu leiden.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Aktuelle Zahlen zur psychosozialen Versorgung durch die PSZ in den jährlichen Versorgungsberichten der BAfF: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/versorgungsberichte-der-baff/

    Brücker, H., Croisier, J., Kosyakova, Y., Kröger, H., Pietrantuono, G., Rother, N., & Schupp, J. (2019). Zweite Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung. Geflüchtete machen Fortschritte bei Sprache und Beschäftigung. (01/2019; Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge). https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2019-fortschritte-sprache-beschaeftigung.pdf?__blob=publicationFile

    [1] Eine ausführliche Darstellung der Studie findet sich im 5. Versorgungsbericht (Seite 11 ff.): http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2019/11/BAfF_Versorgungsbericht-5.pdf

  • Rund drei Viertel der in Deutschland lebenden Schutzsuchenden haben unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren und sind oft mehrfach traumatisiert (Schröder et al., 2018). International konnte eine Prävalenzrate von rund 30 % für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und depressive Erkrankungen bei Geflüchteten festgestellt werden (Steel et al., 2009).

    Die Frage nach der Zahl der traumatisierten Geflüchteten in Deutschland ist eine der häufigsten Fragen an Akteur*innen der psychosozialen Versorgung für Geflüchtete. Ihre Beantwortung ist nicht einfach. Denn die Angaben zu Prävalenzen von Traumafolgestörungen bei Geflüchteten variieren deutlich in Abhängigkeit z. B. von der untersuchten Gruppe oder auch von den eingesetzten Erhebungsinstrumenten.

    Um Aussagen darüber treffen zu können, wie viele Menschen von einer Krankheit betroffen sind, werden Prävalenzstudien durchgeführt. In den Studien zu Prävalenzen und damit zur Epidemiologie, d.h. zur Verbreitung von Krankheiten bei geflüchteten Personen, steht außerdem im Mittelpunkt, ob und wenn ja für wen das Risiko zu erkranken eher ab- oder eher zunimmt und welche Faktoren es beeinflussen.

    Die Angaben zu Prävalenzen von Traumafolgestörungen bei Geflüchteten variieren deutlich in Abhängigkeit z.B. von der untersuchten Gruppe oder auch von den eingesetzten Erhebungsinstrumenten. International konnte eine Prävalenzrate von rund 30% für PTBS und depressive Erkrankungen bei Geflüchteten festgestellt werden (Steel et al., 2009). Es gibt nach wie vor nur wenige (repräsentative) Zahlen zu Prävalenzen von Traumafolgestörungen bei der zur Zeit in Deutschland lebenden Gruppe von Menschen mit Fluchterfahrung (Razum, Bunte, et al., 2016).

    Eine nationale Studie der AOK (Schröder, 2018) zeigt auf, dass rund drei Viertel (74,7%) der in Deutschland lebenden Schutzsuchenden unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren haben und oft mehrfach traumatisiert sind. Bei mehr als 40% der Befragten zeigten sich zudem Anzeichen depressiver Erkrankungen.

    Bei einer Studie in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig mit 570 Personen zeigten 247 Personen (48,7%) ein positives Ergebnis beim Screening für mindestens eine der erfassten psychischen Erkrankungen. So wurden bei 31 % der Befragten Symptome einer somatoformen Störung, bei 22 % einer depressiven Erkrankung und bei 35 % einer PTBS festgestellt (Nesterko et al., 2019).

    In einer Querschnittserhebung in Gemeinschaftsunterkünften in Baden-Württemberg im Rahmen des Forschungsprojekts RESPOND berichteten 19 % der Geflüchteten einen schlechten oder sehr schlechten Gesundheitszustand und 40 % chronische Erkrankungen. Etwa 45 % der Schutzsuchenden hatten ein positives Ergebnis in Screeningfragebögen zu Depression und Angst (Biddle, Menold, et al., 2019).

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Aktuelle Zahlen zur psychosozialen Versorgung durch die PSZ in den jährlichen Versorgungsberichten der BAfF: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/versorgungsberichte-der-baff/

    Biddle, L., Menold, N., Bentner, M., Nöst, S., Jahn, R., Ziegler, S., & Bozorgmehr, K. (2019). Health monitoring among asylum seekers and refugees: A state-wide, cross-sectional, population-based study in Germany. Emerging Themes in Epidemiology, 16(1), 3. https://doi.org/10.1186/s12982-019-0085-2

    Bozorgmehr, K., Mohsenpour, A., Saure, D., Stock, C., Loerbroks, A., Joos, S., & Schneider, C. (2016). Systematische Übersicht und „Mapping“ empirischer Studien des Gesundheitszustands und der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland (1990–2014). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59(5), 599–620.

    Nesterko, Y., Jäckle, D., Friedrich, M., Holzapfel, L., & Glaesmer, H. (2019). Prevalence of post-traumatic stress disorder, depression and somatisation in recently arrived refugees in Germany: An epidemiological study. Epidemiology and Psychiatric Sciences, 29, e40. https://doi.org/10.1017/S2045796019000325

    Razum, O., Bunte, A., Gilsdorf, A., Ziese, T., & Bozorgmehr, K. (2016). Gesundheitsversorgung von Geflüchteten: Zu gesicherten Daten kommen. Robert Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung. https://doi.org/10.25646/2173

    Schröder, H., Zok, K., & Faulbaum, F. (2018). Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. WIdOmonitor, 1, 1–20.

    Steel, Z., Chey, T., Silove, D., Marnane, C., Bryant, R. A., & van Ommeren, M. (2009). Association of Torture and Other Potentially Traumatic Events With Mental Health Outcomes Among Populations Exposed to Mass Conflict and Displacement: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA: The Journal of the American Medical Association, 302(5), 537–549. https://doi.org/10.1001/jama.2009.1132

  • Nach europäischen Richtlinien muss Deutschland besondere Schutzbedürftigkeit bei Geflüchteten identifizieren und ihren besonderen Bedarfen in Bezug auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen Rechnung tragen. Hierzu gehört auch medizinische und/oder therapeutische Behandlung.

    Sowohl die EU-Aufnahmerichtlinie, als auch die EU-Verfahrensrichtlinie legen Rechte besonders schutzbedürftiger Geflüchteter fest. Als besonders schutzbedürftig werden beispielsweise (unbegleitete) Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, von Menschenhandel Betroffene, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben definiert (Art. 21 AufnahmeRL).

    Es wird davon ausgegangen, dass diese besonders vulnerablen Personen Unterstützung benötigen um ihr Asylverfahren, das teilweise hohe Anforderungen an Schutzsuchende stellt, unter fairen Bedingungen durchlaufen zu können (Art. 24 VerfahrensRL). Außerdem sollen sie davor geschützt werden im Aufnahmeland erneut von Gewalt betroffen zu sein und ihren besonderen Bedarfen muss Rechnung getragen werden. Daher wurde festgelegt, dass Mitgliedsstaaten diese besondere Schutzbedürftigkeit feststellen und sicherstellen müssen, dass identifizierte Schutzsuchende Unterstützung abhängig von ihren besonderen Bedarfen erhalten (Art. 22 AufnahmeRL). Besondere Bedarfe können sich neben dem Asylverfahren beispielsweise auf die Unterbringung und Verteilung beziehen. Nach Art. 19 der AufnahmeRL müssen die Mitgliedstaaten außerdem dafür Sorge tragen, dass alle Schutzsuchenden die erforderliche medizinische und psychologische Versorgung erhalten.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Infoseite zu Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit der BAfF: http://www.baff-zentren.org/identifizierung/

    Im Video der BAfF „Besondere Schutzbedürftigkeit bei Geflüchteten – Was bedeutet das?“ unter: http://www.baff-zentren.org/videos/

    EU-Aufnahmerichtlinie (RICHTLINIE 2013/33/EU): https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0096:0116:DE:PDF

    EU-Verfahrensrichtlinie (RICHTLINIE 2013/32/EU): https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF

  • Geflüchtete sind in ihrem Heimatland und auf der Flucht oft schweren psychischen Belastungen ausgesetzt, welche sich in psychischen Erkrankungen manifestieren können. Der Nachweis solcher Erkrankungen ist wichtig für das Asylverfahren der Betroffenen.

    In Attesten oder Stellungnahmen sollten gewisse Informationen erhalten sein.

    Dazu gehört:

    • die Dauer der Behandlung;
    • die Angaben der*des Betroffenen zu Fluchtgründen und Gewalterlebnissen;
    • fremdanamnestische Daten und Dokumente;
    • Beschwerdeschilderung der Betroffenen;
    • eigener Befund, Diagnose, ggf. Differenzialdiagnose, durchgeführte Behandlung;
    • weitere Behandlungsbedürftigkeit und Prognose;
    • Anforderungen an die Gestaltung der Lebensumstände aus dem Krankheitsbild;
    • prognostische Einschätzung, wie sich eine Rückkehr in das Herkunftsland auf die Störung auswirken würde.

    Wichtig ist, dass die Quellen der dargelegten Informationen (Angabe der Betroffenen, Fremdangaben, Vorbefunde, eigene Befunde) immer ersichtlich sind und nicht vermischt werden.

    Bislang waren psychotherapeutische und ärztliche Stellungnahmen die einzige Möglichkeit, um diese Erkrankungen im Asylverfahren und/oder vor Gericht einzubringen. Das Bestehen solcher Erkrankungen ist im Rahmen des Asylverfahrens von Bedeutung, weil sich daraus Abschiebungsverbote ergeben können. Der Nachweis ist also für die Betroffenen elementar wichtig.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Mehr Informationen unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/rechtliches/

    Broschüre „Krankheit als Abschiebungshindernis“ (Stand: Dezember 2017): https://www.asyl.net/view/detail/News/broschuere-krankheit-als-abschiebungshindernis/

  • Psychische Erkrankungen können im Asylverfahren ein sogenanntes Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen begründen. Ein solches wird zuerkannt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich in der Folge der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, etwa, weil im Herkunftsland die erforderlichen Therapieangebote oder Medikamente nicht verfügbar sind.

    Abschiebungsverbote werden vom BAMF nur dann geprüft, wenn es die Voraussetzungen der vorrangigen Schutzformen (Asyl- und Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) verneint. Entscheidet das BAMF, dass auch keine Abschiebungsverbote vorliegen, so wird die betroffene Person zumeist ausreisepflichtig, es sei denn, sie hat aus anderen Gründen ein Bleiberecht. Stellt das BAMF hingegen fest, dass ein Abschiebungsverbot vorliegt, erhält die betroffene Person in der Regel eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis von der zuständigen Ausländerbehörde.

  • Wenn die Rechte auf Gesundheitsversorgung von der Behörde nicht berücksichtigt werden und Leistungen (z. B. Behandlungskosten) versagt werden, dann kann man sich dagegen mit rechtlichen Mitteln wehren, z. B. mit Widerspruch, Klage oder in dringenden Fällen mit einem Eilantrag bei Gericht. Um dabei ausreichend Hilfe zu haben, sollte eine Beratungsstelle kontaktiert werden.

    Eine Behörde muss auf einen Antrag antworten bzw. über ihn entscheiden. Dafür hat sie nicht unbegrenzt Zeit. Die Behörde muss „in angemessener Frist“ entscheiden. Tut die Behörde das nicht, kann vor Gericht geklagt werden. Die Klage wird dann wegen „Untätigkeit“ gemäß § 88 SGG geführt. Ziel der Klage ist nur, dass die Behörde tätig wird, das kann ablehnend oder bewilligend sein. Wenn es keinen wichtigen Grund für eine weitere Verzögerung gibt, kann nach 6 Monaten eine Klage eingereicht werden. (Hinweis: Zu viel Arbeit oder zu wenig Personal in der Behörde ist kein wichtiger Grund). Im Fall einer Entscheidung über einen Widerspruch muss die Behörde innerhalb von drei Monaten tätig werden. Manchmal hilft es bereits bei der Behörde deutlich zu machen, dass im Fall von Untätigkeit geklagt wird, um eine Entscheidung zu bekommen.

    Wenn die Behörde etwas entscheidet, muss sie darüber schriftlich informieren. Die Entscheidung heißt „Verwaltungsakt“ das Schreiben heißt „Bescheid“. In dem Moment, in dem Antragsteller*innen ein Bescheid zugeht (z. B. Ablehnung einer Behandlung), beginnt die Frist für einen möglichen Widerspruch gegen den Bescheid zu laufen. Die Frist beträgt in der Regel einen Monat. Innerhalb dieser Zeit muss an die Behörde, die in der Rechtsbehelfsbelehrung genannt ist, schriftlich der Widerspruch geschrieben werden. Eine Widerspruchsbegründung ist sinnvoll, um der Behörde die Gründe für eine andere Entscheidung nahe zu bringen. Aber auch ohne Begründung muss der Bescheid vollumfänglich im Widerspruchsverfahren überprüft werden.

    Es ergeht dann wieder ein Bescheid, der sogenannte Widerspruchsbescheid. Wird auch im Widerspruchsbescheid die Entscheidung aufrechterhalten oder in einer Weise abgeholfen, die nicht gewollt ist, kann innerhalb eines Monats nach Zugang des Widerspruchbescheides die Klage erhoben werden. Für das Verfahren entstehen gemäß § 183 SGG in vielen sozialrechtlichen Streitigkeiten keine Gerichtskosten. Das gilt auch, wenn die Frage der Leistungsberechtigung im Streit steht. Wenn die Kläger*innen zudem zur Prozesskostenhilfe berechtigt sind, können auch die Kosten für Rechtsanwält*innen von der Staatskasse übernommen werden.

    Ist die Widerspruchsfrist abgelaufen, kann nur noch ein „Antrag auf Überprüfung“ nach § 44 SGB X gestellt werden. Die Behörde muss sich dann noch einmal mit dem zu überprüfenden Bescheid(en) beschäftigen und entscheidet, ob diese rückwirkend geändert werden. Wenn es eine Differenz in der Auszahlung gibt, muss nachgezahlt werden. Die Überprüfung ist nicht bis weit in die Vergangenheit möglich, aber wenn der Überprüfungsantrag im Jahr 2020 gestellt wird, können zum Beispiel im Bereich existenzsichernder Leistungen Beträge rückwirkend bis maximal zum 1. Januar 2019 überprüft und nachgezahlt werden. Wenn die Behörde der Auffassung ist, dass Bescheide nicht abgeändert werden müssen, muss sie auch für diese Entscheidung einen Bescheid erlassen. Gegen diesen sind wiederum Widerspruch und Klage möglich (s.o.).

    Wenn es sich um existenzsichernde Leistungen handelt oder anderweitige Eile besteht (z. B. wegen Gesundheitsgefahr), sollte zusätzlich ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Eilantrag) gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Sozialgericht gestellt werden, weil sich Widerspruchs- und Klageverfahren evtl. zu lange hinziehen. Wenn das Gericht anerkennt, dass die Sache zum einen dringend ist und zum anderen voraussichtlich erfolgreich für die Betroffenen ausgehen wird, kann damit erreicht werden, dass bis zur Entscheidung im Widerspruchs- oder Klageverfahren vorläufig schon mal die (höheren) Leistungen gewährt werden müssen. Ob die Leistungen behalten werden dürfen, klärt sich dann im längeren Verfahren.

     

     

    Weitere Informationen unter:

    In der Arbeitshilfe der BAfF „Leitfaden zur Beantragung einer Psychotherapie für Geflüchtete“ unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/rechtliches/

    Aktuelle Informationen in den Versorgungsberichten der BAfF unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/versorgungsberichte-der-baff/

  • Der Zugang geflüchteter Menschen zu Gesundheitsleistungen ist der Konzeption nach in den ersten 18 Monaten eingeschränkt. Wer unter Krankheiten leidet, sollte sich jedoch nicht davon abschrecken lassen, dennoch Hilfe im Rahmen der Asylbewerberleistungen zu beantragen. Deutschland hat eine internationale Verpflichtung, schutzbedürftigen Personen zu helfen und muss für diese auch seit Beginn ihrer Ankunft medizinische Hilfe zur Verfügung stellen.

    Nach 18 Monaten haben Geflüchtete Anspruch auf das Leistungsspektrum ähnlich zu dem der gesetzlichen Krankenversicherung. Menschen mit einem Aufenthaltstitel haben Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse.

     

     

     

     

     

    Wer in Deutschland Asyl sucht, ist in den ersten 18 Monaten seines Aufenthalts zunächst nicht krankenversichert. Die Gesundheitsversorgung erfolgt in dieser Zeit nach den §§4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

    Abhängig von den Regelungen in den einzelnen Bundesländern oder auch Kommunen erhalten die Betroffenen Personen entweder einen Krankenschein, der für jede weitere Behandlung jeweils neu beantragt werden muss, einen Krankenschein, der drei Monate Gültigkeit besitzt, oder eine elektronische Gesundheitskarte.

    Nach §4 AsylbLG haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthaltes nur einen eingeschränkten Anspruch auf Gesundheitsleistungen.  In der gesetzlichen Regelung heißt es nur „erforderliche“ Behandlungen „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“. Es ist jedoch nicht abschließend geklärt, was darunter zu verstehen ist. Personen, die an gesundheitlichen Problemen leiden, sollten daher immer eine Beratung aufsuchen, um die Möglichkeiten einer Behandlung zu klären. Kostenträger ist i.d.R. das zuständige Sozialamt.

    Aufgrund des §6 AsylbLG können weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit für den Einzelfall beantragt werden. Die Gewährung dieser „Kann“-Leistungen liegt zwar im Ermessen der zuständigen Behörde. Handelt es sich um Personen mit besonderen Bedürfnissen im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie (z. B. Opfer von Menschenhandel, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben) ist das Ermessen in der Regel aber reduziert und die nötige Gesundheitsleistung muss gewährt werden.

    Nach 18 Monaten Aufenthalt besteht Anspruch auf das Leistungsspektrum ähnlich zu dem der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, über die auch die Abrechnung erfolgt. Diese ist dann nicht mehr über Krankenscheine, sondern über eine elektronische Gesundheitskarte möglich. Kostenträger ist aber nach wie vor das Sozialamt, eine tatsächliche Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung besteht nicht. Sprachmittlungskosten können seitens der Kostenträger übernommen werden, müssen aber beantragt werden. Ob ein Anspruch besteht, hängt vom Einzelfall ab.

    Menschen mit einem Aufenthaltstitel werden Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung, da in Deutschland Versicherungspflicht besteht. Sie haben damit aber auch Anspruch auf die Versorgungsleistungen der gesetzlichen Krankenkasse. Sprachmittlungskosten sind hierbei jedoch nicht vom Leistungsanspruch der GKV-Versicherten umfasst.

    Geflüchtete ohne legalen Aufenthaltsstatus sind weitgehend von der Gesundheitsversorgung durch Krankenkassen oder über das Sozialamt ausgeschlossen und somit auf ehrenamtliche oder karitative Hilfe angewiesen. In einzelnen Kommunen gibt es die Möglichkeit einen anonymen Krankenschein zu nutzen, damit trotz ungeregeltem Aufenthalt nicht auf medizinische Hilfe verzichtet werden muss (weitere Infos hier: http://gesundheit-gefluechtete.info/krankenschein/).

    Wenn Hilfebedarf besteht, sollte in jedem Fall die Beantragung von Hilfe versucht werden. Die zuständigen staatlichen Stellen sind zur Beratung verpflichtet und müssen Anträge auch weiterleiten. Wenn es im Laufe der Beantragung zu Problemen kommt, sollte zeitnah Rücksprache mit einer Beratungsstelle gehalten werden.

    Für Betroffene ist es wegen der unübersichtlichen Regelungen häufig schwierig, zu verstehen, ob sie einen Anspruch auf Behandlung haben oder nicht. Daher sollte in jedem Bedarfsfall eine Beratungsstelle aufgesucht werden, um die Situation zu klären und mögliche Hilfe auch zu erhalten.

     

    Weitere Informationen unter:

    In der Arbeitshilfe der BAfF „Leitfaden zur Beantragung einer Psychotherapie für Geflüchtete“ unter: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/rechtliches/

    Arbeitshilfe der GGUA: https://www.einwanderer.net/uebersichten-und-arbeitshilfen/

    Im Video der BAfF „Das deutsche Gesundheitssystem für Geflüchtete“ unter: http://www.baff-zentren.org/videos/

    Das nächste PSZ unter: www.baff-zentren.org/psz

    Kontaktadressen der Landesflüchtlingsräte unter: https://www.fluechtlingsrat.de/

  • Und was macht die Psychosozialen Zentren so besonders?

    Die Arbeit der Psychosozialen Zentren (PSZ) umfasst ein interdisziplinäres Angebot, welches sich an den Bedürfnissen und der Lebenssituation der Geflüchteten orientiert und auf eine Verbesserung der Gesundheit auf allen Ebenen abzielt.

    Die angebotene Unterstützung der Psychosozialen Zentren (PSZ) ist in ein Konzept eingebettet, welches asylverfahrensrechtliche und psychosoziale Beratung sowie psychologische und psychotherapeutische Angebote und ggf. medizinische Hilfe umfasst. Die Angebote werden bedarfsorientiert und klient*innenzentriert zur Verfügung gestellt und bieten lebenspraktische Unterstützung. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe und tragen zur Selbstorganisation der Klient*innen bei. Die Mitarbeiter*innen der PSZ fördern Empowerment als Gegengewicht zur Ohnmachtserfahrung infolge traumatischer Erlebnisse. Über die direkte Klient*innenarbeit hinaus leisten die PSZ Gremienarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, machen Fortbildungsangebote und betreiben Forschung, Multiplikator*innenarbeit und Vernetzung.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Aktuelle Zahlen zum Versorgungsangebot der PSZ: http://www.baff-zentren.org/veroeffentlichungen-der-baff/

    Leitlinien der BAfF: http://www.baff-zentren.org/ueber-die-baff/leitlinien/

  • In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 40 Anlaufstellen für Geflüchtete die psychisch belastet sind, schwere Gewalt oder auch Folter erlebt haben.

    In den Psychosozialen Zentren (PSZ) können geflüchtete Personen Hilfe finden, ganz egal woher sie kommen, welche Papiere sie haben, welche Sprache sie sprechen oder welcher Religion sie angehören. Die Unterstützung ist kostenfrei und es gibt für alle Angebote eine Übersetzung. Mit den Mitarbeitenden in den Psychosozialen Zentren können Geflüchtete über ihre Sorgen sprechen und werden neben therapeutischen Angeboten auch in ihrem Asylverfahren begleitet. Es gibt in einigen Psychosozialen Zentren auch Angebote speziell für Kinder.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Im Video der BAfF „Psychosoziale Zentren – Hilfe für Geflüchtete und Überlebende von Folter und Gewalt“ unter: http://www.baff-zentren.org/videos/

    Das nächste PSZ unter: www.baff-zentren.org/psz

  • Die BAfF ist die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer ist der Dachverband der Psychosozialen Zentren, Einrichtungen und Initiativen, die sich die psychosoziale und therapeutische Versorgung von Geflüchteten in Deutschland zur Aufgabe gemacht haben.

    Die BAfF setzt sich dafür ein, dass das soziale Menschenrecht auf Gesundheit einschließlich der notwendigen psychosozialen Begleitung und Behandlung auch für Geflüchtete umgesetzt wird. Sie vertritt die Interessen von Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Politik und der (Fach)Öffentlichkeit, vernetzt Akteur*innen der psychosozialen Arbeit auf nationaler wie europäischer Ebene und beeinflusst durch Projekte, Veranstaltungen, Publikationen sowie gezielte Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit den fachlichen und den politischen Diskurs.

     

    Die BAfF ist ein gemeinnütziger Verein, der im Jahr 2021 bereits seit 25 Jahren besteht. Die BAfF und die PSZ finanzieren sich größtenteils über Projektmittel und unregelmäßige Zuwendungen.

     

    Weitere Informationen finden Sie unter:

    Mehr Informationen zur BAfF unter: http://www.baff-zentren.org/ueber-die-baff/