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Leitlinien der BAfF für Beratung und Therapie mit qualifizierter Sprachmittlung

Stand: 07.11.2022 (Die Leitlinien als PDF)

Für die psychosoziale Arbeit mit Gewalt- und Folterüberlebenden ist die Zusammenarbeit mit Sprachmittelnden zentral, um eine effektive Verständigung zu ermöglichen. Die Leitlinien der BAfF für Beratung und Therapie formulieren Standards, wie qualifizierte Sprachmittlung in den PSZ praktiziert wird und definieren gemeinsame Mindestanforderungen und orientierende Empfehlungen an Therapeutinnen, Beraterinnen und Sprachmittelnde in der dolmetscher-gestützten Beratung und Therapie.


1. Das triadische Setting in der psychosozialen Versorgung und seine Qualitätssicherung

Dolmetscher-gestützte Beratung und Therapie gehört in den PSZ seit vielen Jahren zum Standard in der Versorgung von Menschen mit Flucht-, Gewalt und Foltererfahrungen. Die komplexe Zusammenarbeit im triadischen Setting erfordert eine spezifische Qualifizierung sowohl von Therapeutinnen, Beraterinnen als auch von Sprachmittelnden.
Therapeutinnen, Beraterinnen und Sprachmittelnde kooperieren als Vertreterinnen unterschiedlicher Berufsgruppen in kollegialer Art und Weise, begleiten Beratungs- /Behandlungsprozesse gemeinsam konstant und langfristig, nehmen dabei aber verschiedene Rollen ein. Therapeutinnen und Beraterinnen tragen die Verantwortung für die Behandlung bzw. Beratung, die Aufklärung von Sprachmittelnden und Klientinnen über die Rahmenbedingungen inkl. Schweigepflicht und Neutralität. Vor- und Nachbesprechungen zwischen Therapeutinnen bzw. Beraterinnen und Sprachmittelnden sind zentraler Bestandteil des Settings. Die Sprachmittelnden sind für die sprachliche Verständigung zwischen den Therapeutinnen bzw. Beraterinnen und den Klient*innen verantwortlich und fungieren darüber hinaus als Kulturmittelnde.

Inter- und Supervision für Therapeutinnen, Beraterinnen und Sprachmittelnde für den Umgang mit Belastungen und schwierigen Situationen im Behandlungssetting sind unverzichtbar. Beratungs- und Therapeut*innenteams sind eingebunden in regelmäßige Intervision und Supervision, welche berufsgruppenübergreifend und/oder
berufsgruppenspezifisch erfolgen kann. Die Institutionsleitung stellt die dafür notwendigen Strukturen, Ressourcen und Zeit zur Verfügung, ebenso Ansprechmöglichkeiten für alle Beteiligten für eine Rückmeldung zur Sprachmittlung. Diese kann ggf. auch anonym erfolgen. Qualifizierte Sprachmittlung ist eine hoch anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe und muss angemessen vergütet werden. Für selbständig tätige Sprachmittelnde sollte ein angemessener Stundensatz festgelegt werden bzw. in Abhängigkeit vom Tätigkeitsumfang ein Angestelltenverhältnis erwogen werden.

2. Gemeinsame Anforderungen an Behandelnde und Sprachmittelnde

Therapeutinnen, Beraterinnen und Sprachmittelnde verfügen über ein grundlegend reflexives Verhältnis zur eigenen Rolle und dem eigenen professionellen Handeln. Sie kennen relevante berufsethische Grundsätze und können ihre eigene Rolle kritisch reflektieren (Rollenverständnis, Umgang mit Machtverhältnissen in der Triade). Sie verfügen über soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen, die bspw. zur Vertrauensbildung und im Umgang mit Konflikten sinnvoll sind. Therapeutinnen, Beraterinnen und Sprachmittelnde haben ein Bewusstsein über die eigenen Belastungsgrenzen und kennen Strategien für die Selbstfürsorge, um mit emotional belastenden Gesprächen umzugehen. Die komplexen Bedarfe der Klient*innen erfordern Kontextwissen, z.B. zum Gesundheits-, Sozial- und Asylsystem. Sie verfügen zudem über eine Kultur- und Diversitätssensibilität und eine diskriminierungskritische Haltung. Damit ist gemeint:

  • Eine offene und wertschätzende Haltung in der Kommunikation über Zugehörigkeiten, Werte und Diskriminierungserfahrungen;
  • Klientinnen anzunehmen und zu respektieren, unabhängig von (kulturellen, religiösen) soziokulturellen und biographischen Hintergründen;
  • Sensibilität im Umgang mit Rassismus-Erfahrungen, den Problemen ethnischer Minderheiten und vulnerabler Gruppen (wie z.B. LSBTIQ) und Kenntnis ihrer spezifischen Problemlagen;
  • Die Bereitschaft, sich mit dem/der Klient*in auf einen offenen Dialog einzulassen, eine Beziehung zur gemeinsamen Suche nach Verstehen einzugehen und dabei die eigenen (Vor-) Urteile zu hinterfragen;
  • Die Reflexion eigener gesellschaftlicher Positionierung, kultureller Zugehörigkeiten, sowie biographischer Grenzen und Möglichkeiten aufgrund anderer Lebenserfahrungen.

3. Spezifische Anforderungen für Sprachmittelnde

Sprachmittlung in der psychosozialen Versorgung ist eine herausfordernde und verantwortungsvolle Tätigkeit und erfordert Qualifizierung in den folgenden Bereichen:

  • Sprachkompetenzen: Sprachmittelnde sollten über ausreichend fließende Sprachkenntnisse in den genutzten Sprachen verfügen. Orientierend an die Sprachniveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) erachten wir Sprachkenntnisse in der Sprach- und Hörkompetenz auf dem Niveau C1 als sinnvolle Orientierung, mindestens jedoch auf dem Niveau von B2. Ausnahmen sind möglich für Sprachmittelnde von selten zu findenden Sprachen. Alternativ zu Nachweisen des Sprachniveaus kann z.B. über in der deutschen Sprache erfolgte Bildungsabschlüsse oder über Probezeiten zu Beginn der Beschäftigung die Qualität der Sprachmittlung ermittelt werden;
  • Dolmetschkompetenzen, z.B. Dolmetschtechniken (Konsekutiv- oder Simultandolmetschen), berufsethische Grundsätze und Rollenverständnis, Fachwissen, sprachliche und soziale/emotionale/kommunikative Kompetenzen;
  • Basiswissen zu Behandlungsmethoden von psychosozialem Leid und psychischen Erkrankungen, insbesondere in Folge von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Diese Leitlinien wurden entwickelt aus jahrzehntelanger Erfahrung der Arbeit mit Sprachmittlung in den PSZs, die sich aus einer – anfänglich teilweise ehrenamtlichen Arbeit – zunehmend professionalisiert hat. Angestrebt wird die Etablierung eines Berufsbildes “Sprachmittlung im Gesundheitswesen” und für unser spezifisches Arbeitsfeld die “Sprachmittlung im psychosozialen Beratungs- und Psychotherapiekontext“.

Die „Leitlinien für Beratung und Therapie mit qualifizierter Sprachmittlung“ als PDF.

Die Leitlinien wurden gemeinsam mit den Mitgliedern, den Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folterüberlebende, erarbeitet und am 7. November 2022 auf der 26. Ordentlichen Mitgliederversammlung durch die Mitgliedschaft verabschiedet.