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Leitlinien der BAfF zur Organisation der Beratung und Behandlung von Flüchtlingen und Opfern organisierter Gewalt

Stand: 12. November 2020 (Leitlinien als pdf)

1.  Kontext und Grundlagen der Arbeit der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer und ihres Dachverbandes

1.1 Trauma, Flucht und Exil

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als „einen Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß des Fehlens von Krankheit oder Gebrechlichkeit“ (WHO, New York, 22.07.1946[1]). Organisierte Gewalt wird von der WHO als eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit des Menschen betrachtet. Organisierte Gewalt ist die extreme systematische Verletzung fundamentaler Menschenrechte. Die Gewalthandlungen dienen der Durchsetzung staatlicher Politik oder der Machtinteressen von Gruppierungen, vor denen der jeweilige Staat seine Bevölkerung nicht schützt oder nicht schützen kann. Sie werden in einer Weise verübt, die das Recht auf Leben, persönliche Integrität und Freiheit der Bevölkerung als Ganzes oder eines oder mehrerer Teile andauernd verletzt oder bedroht. Für die Betroffenen bedeutet sie eine Aufeinanderfolge von extremem Stress und Traumatisierungen. Dies kann zu akuten und/oder anhaltenden seelischen Verletzungen führen, die die Betroffenen nachhaltig in ihren Fähigkeiten zur Lebensgestaltung, in ihrer Beziehungsfähigkeit und ihren sozialen Kompetenzen beeinträchtigen. Solche Folgen können akut nach den traumatischen Erlebnissen oder auch erst mit erheblicher zeitlicher Latenz auftreten. Eine erhöhte Vulnerabilität verbleibt lebenslang und kann auch transgenerational weitergegeben werden.

Für viele, die organisierte Gewalt überleben, folgen Vertreibung, Exil und Verlust der Heimat. Die daraus resultierende Entwurzelung führt zu einer abrupten und gewaltsamen Unterbrechung des bis dahin geführten Lebens. Diese einschneidenden Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen wirken sich massiv auf Lebensbedingungen, Identität und Weltsicht der Betroffenen aus. Die Entscheidungsfreiheit, wo und wie geflüchtete Menschen ihr Leben führen wollen, werden häufig in extremem Maße beschnitten. Oft befinden sich Geflüchtete in Deutschland in einem permanenten fremdbestimmten Wartezustand, der von Ungewissheit und Unsicherheit bzgl. des Verbleibs in Deutschland oder einer möglicherweise drohenden Abschiebung begleitet wird.  Ihr Zugang zu Arbeit, Studium und Ausbildung und ihr Bewegungsradius werden durch Gesetze eingeschränkt. Der Zugang zu Systemen gesundheitlicher und psychosozialer Versorgung wird ihnen in Deutschland u. a. durch das Asylbewerberleistungsgesetz[2] erschwert. Fehlende Anerkennung des erlittenen Unrechts durch die Gesellschaft, der Stress der unsicheren Aufenthaltssituation, finanzielle Abhängigkeit, Unterbringung in Großunterkünften oder Zentren, rassistische Übergriffe und fehlender Zugang zur Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben, prägen den Alltag von Geflüchteten. Damit wiederholen sich Erfahrungen des Ausgeliefertseins und des Kontrollverlusts, wie sie Geflüchtete in extremster Form im Krieg und/oder unter Folter erlebt haben. Die ständige Unsicherheit erschwert es, zur Ruhe zu kommen, die vergangenen Erlebnisse hinter sich zu lassen und sich mit den eigenen Potenzialen und Fähigkeiten in die neue Gesellschaft einzubringen.

Charakteristisch für die Erlebnisse von Geflüchteten sind folgende Faktoren:

  • Erfahrungen von Unterdrückung, Verfolgung, Freiheitsberaubung, Gefängnisaufenthalt, Folter, Vertreibung und andere potentiell traumatisierende Erlebnisse;
  • der Zwang, die Heimat verlassen zu müssen, um Leib und Leben zu retten;
  • das überstürzte, meist fluchtartige Verlassen der Heimat, ohne Abschied nehmen zu können;
  • Verlust von bisherigen Lebensentwürfen (Beruf, materielle Sicherheit, Familie, sozialer Status, soziale Einbindung);
  • traumatisierende Fluchterfahrungen;
  • die Unmöglichkeit, über die Rückkehr in die Heimat selbst bestimmen zu können, da diese von den aktuellen politischen Gegebenheiten des Herkunftslandes, des Aufnahmelandes und internationaler/europäischer Abkommen abhängt;
  • im Exil die (rechtlich) eingeschränkte Teilhabe an gesellschaftlichen Systemen, lange unklare Zukunftsperspektiven und Diskriminierung im Aufnahmeland, ggf. Verstärkung posttraumatischer Symptomatik.

Opfer organisierter Gewalt und extremtraumatisierte Menschen benötigen oft langfristige Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen sowie der Belastungen in der aktuellen Lebenssituation (u.a. Asylverfahren und eingeschränkter Zugang zu: adäquater Unterkunft, Sozialleistungen, Arbeit, Bildung, gesellschaftliche Teilhabe und gesundheitliche Versorgung).

1.2 Ethische und humanitäre Verantwortung

Organisierte Gewalt beeinträchtigt das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden, sowohl des Individuums, als auch seines sozialen Umfeldes und der Gesellschaft als Ganzem. Sie hinterlässt Spuren in Körper und Seele der Menschen und wird von der Weltgesundheitsorganisation als eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit des Menschen eingestuft. Ein weltweites Eintreten für den Schutz der Menschenrechte verpflichtet Deutschland auch im eigenen Land zur umfassenden humanitären Verantwortung gegenüber denjenigen, die als Überlebende von Folter, organisierter Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen zu uns geflohen sind und vorübergehend oder auf Dauer bei uns leben.

1.3 Selbstverständnis und Aufgaben

Psychosoziale Versorgung, orientiert an den besonderen Erfordernissen der Betroffenen, ist integraler Bestandteil jeder angemessenen gesundheitlichen Versorgung. Sie muss in Deutschland lebenden Menschen entsprechend ihres individuellen Bedarfes zur Verfügung stehen. Die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (nachfolgend PSZ genannt) und die BAfF als ihr Dachverband haben es sich zur Aufgabe gemacht, dieser Verpflichtung Rechnung zu tragen, indem sie die erforderliche psychosoziale Unterstützung für geflüchtete Menschen, die extreme Gewalt überlebt haben, anbieten, weiterentwickeln, und deren Qualität sichern. Sie setzen sich dafür ein, die bestehenden Lücken in der psychosozialen Versorgung Geflüchteter zu schließen.

Die PSZ und die BAfF als ihr Dachverband sind dabei dem im Grundgesetz garantierten Grundrecht auf Leben und körperliche Integrität, der UN-Charta der Menschenrechte sowie der in der Ottawa-Charta der UNO festgeschriebenen Gesundheitsförderung im Sinne von „Gesundheit für alle“ verpflichtet. Grundlage der Arbeit ist eine Haltung, die die Wahrung der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft und die Sicherung der Menschenwürde der Betroffenen zum Ziel hat. Dies beinhaltet einen Arbeitsansatz, der auf gesundheitsfördernde Aspekte wie die menschlichen, kreativen, heilenden und wertschätzenden Kräfte und Ressourcen sowohl bei den Betroffenen als auch im gesellschaftlichen System abzielt, und nicht ausschließlich auf die Behandlungsbedürftigkeit und defizitäre Aspekte (Krankheit, Störung) fokussiert. Krankmachende und rassistische Strukturen werden benannt und nach Möglichkeit abgebaut.

Die BAfF und ihre Mitgliedszentren orientieren sich an den Grundätzen der UN-Konvention gegen Folter[3], der Ottawa-Charta[4] und den Ausführungen im General Comment Nr. 3 zu Art. 14 der UN-Konvention[5]: Sie setzen sich dafür ein, dass Menschen, die durch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen Schaden erlitten haben, „medizinische und psychologische ebenso wie rechtliche und soziale Leistungen“ erhalten, die ihnen eine „so vollständige Rehabilitation wie möglich“ gewährleisten. Die BAfF und ihre Mitgliedszentren verstehen ihre Unterstützungsangebote als interdisziplinäre Komplexleistung auf der Basis eines ganzheitlichen Konzeptes, das der umfassenden Berücksichtigung der gesundheitlichen, sozialen und individuellen Lebenssituation und der Wiederherstellung und Sicherstellung der Würde der Überlebenden verpflichtet ist. Die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre u.a.  durch Transparenz, umfassende Information und Berücksichtigung des Willens der Betroffenen (informed consent) sowie die strikte Einhaltung der Schweigepflicht ist dabei gerade für Überlebende von „man-made-desasters“ von zentraler Bedeutung.

Die Psychosozialen Zentren verstehen sich als Einrichtungen, die im Bereich der spezialisierten gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung von Geflüchteten und Folteropfern arbeiten. Sie gewähren Hilfe unabhängig von Nationalität, prekärem Aufenthaltsstatus, politischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen Zugehörigkeiten. Ihr Handeln setzt beim Menschen an und orientiert sich an der Menschenwürde sowie individuellen und kontextspezifischen Bedürfnissen.

Als Dachverband der PSZ fördert die BAfF die Vernetzung zwischen den Mitgliedszentren und die Kooperation mit anderen Einrichtungen ähnlicher Zielsetzung, sowohl bundesweit als auch auf internationaler Ebene. Sie fördert fachlichen Austausch und Forschung zur Verbesserung einer ganzheitlichen Behandlung der Folgen von Flucht, Folter und organisierter Gewalt, sowie von psychosozialen Belastungen, die aus Entwurzelungs- und Ausgrenzungserfahrungen entstehen. Damit einher geht die Entwicklung bzw. Fortschreibung ethischer und professioneller Standards für eine solche Versorgung. Aufgaben der BAfF und ihrer Mitgliedszentren sind ferner die Förderung der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung der Folgen von Folter und organisierter Gewalt und die Zusammenarbeit mit Interessenvertreter*innen und Verantwortungsträger*innen mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebenssituation von Geflüchteten. Die BAfF setzt sich dafür ein, dass die Notwendigkeit des Versorgungsangebots ihrer Mitgliedszentren als spezialisierte interdisziplinäre Komplexleistung politisch anerkannt wird und die PSZ mit ihren Kernaufgaben durch eine Regelfinanzierung abgesichert werden.

Die BAfF und ihre Mitgliedszentren verstehen sich auch als Sprachrohr: Sie tragen (nach Möglichkeit gemeinsam mit Betroffenen) die Erfahrungen und Zeugnisse ihrer Klient*innen in Öffentlichkeit und Politik, um durch politisches Empowerment und Sensibilisierung der Zivilgesellschaft zu an Menschenrechten orientierten gesellschaftspolitischen Veränderungen beizutragen.

1.4 Kultursensibilität[6] und diskriminierungskritische Haltung in Beratung und Behandlung

Die Mitarbeiter*innen der PSZ verfügen über therapeutische und traumatherapeutische sowie kultursensible Kompetenzen, asyl-, sozial und aufenthaltsrechtliches Fachwissen sowie umfangreiche Kenntnisse zum Sozial- und Gesundheitssystem. Unter Kultursensibilität verstehen wir ein grundlegend reflexives Verhältnis zum eigenen (professionellen) Handeln und dessen Bedingungen, sowie eine Feinfühligkeit im Umgang mit kulturellen Zugehörigkeiten und Praktiken. Kultur ist immer komplex und lässt sich nicht auf Nationalstaaten oder ethnische Gruppen reduzieren. Jede Person verfügt über multiple kulturelle Zugehörigkeiten, die sich zudem stetig ändern können. Es ist daher unabdingbar, über Kultur zu kommunizieren, anstatt Kategorien anzunehmen. Da kulturelle Zugehörigkeiten und Zuschreibungen mit Machtasymmetrien einhergehen, ist außerdem eine diskriminierungskritische Haltung notwendig. Wenn wir mit kulturellen Kategorien arbeiten, müssen wir uns über Machtstrukturen und rassistische sowie weitere Vorurteile bewusst sein und diese kontinuierlich und konstruktiv reflektieren. Insbesondere achten wir darauf, Personen aufgrund von kulturellen Zuschreibungen nie als kategorisierbare „Andere“ festzusetzen, die sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten (Kulturalisierung).

Kriterien für gute kultursensible und diskriminierungskritische Beratung, Therapie und Zusammenarbeit sind:

  • Offene und wertschätzende Haltung in der Kommunikation über Zugehörigkeiten, Werte und Diskriminierungserfahrungen;
  • Klient*innen anzunehmen und zu respektieren, unabhängig von kulturellen, religiösen und biographischen Hintergründen;
  • Die Sensibilität im Umgang mit Rassismuserfahrungen, den Problemen ethnischer Minderheiten und vulnerabler Gruppen (wie z.B. LSBTIQ*) und Kenntnis ihrer spezifischen Problemlagen;
  • Die Bereitschaft bzw. die Fähigkeit, die Familie und die Gemeinschaften der Klient*innen als Ressourcen in die Beratung mit einzubeziehen. Dies setzt Kenntnisse über spezifische Struktur und Rolle der Familie und/oder der Gemeinschaften voraus;
  • Die Fähigkeit, auf geäußerte Gefühle, Körperempfindungen, etc. einzugehen, auch wenn sie nicht der eigenen Erfahrung und Deutung entsprechen;
  • Die Bereitschaft, sich mit dem*der Klient*in auf einen offenen Dialog einzulassen, eine Beziehung zur gemeinsamen Suche nach Verstehen einzugehen und dabei die eigenen (Vor-) Urteile zu hinterfragen;
  • Die Reflexion eigener gesellschaftlicher Positionierung, kultureller Zugehörigkeiten, sowie biographischer Grenzen und Möglichkeiten aufgrund anderer Lebenserfahrungen;
  • Diversität, Multiprofessionalität und Offenheit im Team, sowie die Möglichkeit darauf hinzuweisen, wenn Mitarbeitende an Grenzen stoßen;
  • Die Bewusstmachung, dass eigene fremdsprachliche Kenntnisse nicht unbedingt für den Kontext Beratung und Therapie ausreichen;
  • Die Fähigkeit zur Entscheidung, wann Sprachmittler*innen hinzuzuziehen sind unter Berücksichtigung des Klient*innen-Wunsches;
  • Die Fähigkeit, mit Sprachmittler*innen in einem gegebenen angemessenen Setting zu arbeiten und die Grenzen dieser Zusammenarbeit richtig einzuschätzen;
  • Der Einsatz unabhängiger Sprachmittler*innen, die speziell für die Sprachmittlung in Beratung und Therapie mit Geflüchteten geschult sind.

2. Leistungsspektrum und Angebote der Psychosozialen Zentren

Die angebotene Hilfe in den Zentren orientiert sich an den Bedürfnissen und der Lebenssituation der Geflüchteten. Sie zeichnet sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Kompetenzen aus und zielt auf eine Verbesserung der Gesundheit auf allen Ebenen ab. Daher ist sie in ein ganzheitliches Konzept eingebettet, das sozialarbeiterische und pädagogische Angebote, Beratung, psychologische und psychotherapeutische Angebote und ggf. medizinische Hilfe umfasst. Die Angebote werden bedarfsorientiert und klient*innenzentriert zur Verfügung gestellt. Sie sind miteinander kombinierbar und stehen in der Regel zeitlich flexibel zur Verfügung. Unter Berücksichtigung des vergangenen und aktuellen Kontexts dienen sie der tätigen und lebenspraktischen Unterstützung. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe und tragen zur Selbstorganisation der Klient*innen bei. Die Mitarbeiter*innen der PSZ fördern Empowerment als Gegengewicht zur Ohnmachtserfahrung infolge traumatischer Erlebnisse.

Diese bedarfsorientierte Hilfe umzusetzen ist in den meisten Fällen nicht von einer einzelnen Person zu leisten und erfordert ein multidisziplinäres Team, in dem schulenübergreifend zusammengearbeitet wird.

Die PSZ halten, bedingt durch Größe, finanzielle Ausstattung und geographische Lage, verschiedene und unterschiedlich viele Angebote vor. Das professionelle Angebot eines PSZ umfasst die im Folgenden genannten Bereiche entweder selbst oder verfügt über geeignete Kooperationen, um zu Angeboten, die das Zentrum nicht vorhält, vermitteln zu können. Sofern ein Zentrum einzelne Angebote nicht selbst vorhält (z.B. medizinische Angebote), ist eine enge Zusammenarbeit mit entsprechend fachlich qualifizierten Versorgungsstrukturen erforderlich. Die Tätigkeitsschwerpunkte jedes PSZ sollen jedoch die folgenden Kernangebote umfassen:

2.1 Kernangebote

  • Hilfestellungen bei asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragestellungen
  • Informationsvermittlung zu allen Lebensbereichen (Unterkunft, Arbeit, Schule, Familie)
  • Sozialarbeiterische Begleitung, Hilfen zur sozialen Integration und Rehabilitation und Förderung gesellschaftlicher Teilhabe
  • Psychologische Diagnostik und Dokumentation
  • Psychosoziale Beratung und Psychoedukation
  • Krisenintervention
  • Psychotherapie
  • Qualifizierte Stellungnahmen zur Vorlage in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren
  • Beratung, Diagnostik und Therapie erfolgen, wenn erforderlich, mit Hilfe geschulter Sprachmittler*innen oder durch muttersprachliche Mitarbeitende
  • Alle Angebote sind traumasensibel gestaltet, psychologische/ psychotherapeutische/psychosoziale Unterstützung und Diagnostik wird bei Bedarf mit Traumafokus angeboten

2.2 Erweiterte Angebote

 Die folgenden Angebote werden teilweise ergänzend vorgehalten:

  • Kreative Angebote
  • Medizinische Beratung und Versorgung
  • Medizinische Diagnostik und Dokumentation
  • Unterstützung beim Spracherwerb, (Vermittlung zu) z.B. Deutschkurse(n)
  • Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Gesundheitsvorsorge, z.B. Begleitung durch ehrenamtliche Mentor*innen
  • Unterstützung beim Zugang zu sozialen Netzwerken und zur gesellschaftlichen Teilnahme
  • Niedrigschwellige Unterstützung, z.B. Freizeitaktivitäten, Gruppen- und Projektarbeit
  • Durchführung oder Vermittlung von qualifizierter Dokumentation oder Begutachtung körperlicher und psychischer Misshandlungsspuren nach den Standards des Istanbul-Protokoll[7] und den Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen (in aufenthaltsrechtlichen Verfahren) (SBPM)[8]

2.3 weitere Tätigkeiten der Zentren

Über die direkte Klient*innenarbeit hinaus leisten die PSZ Gremienarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, machen Fortbildungsangebote und betreiben Forschung, Multiplikator*innenarbeit und Vernetzung. Angebote und Aufgaben der Zentren, von denen Klient*innen indirekt profitieren sind:

  • Information, Fort- und Weiterbildungen für in der Flüchtlingsarbeit Tätige und die Fachöffentlichkeit
  • Begleitung, Stärkung und Qualifizierung des ehren- und hauptamtlichen Engagements in der Arbeit mit Geflüchteten
  • Öffentlichkeits-, Gremien- und Lobbyarbeit
  • Dokumentation, Evaluation, Forschung, Publikationen
  • Qualitätsmanagement, kontinuierliche Weiter- und Neuentwicklung von Angeboten und der zugrundeliegenden Konzepte
  • Kooperation und Vernetzung mit anderen Akteur*innen in der gesundheitlichen oder psychosozialen Versorgung Geflüchteter
  • Schulung von Professionellen im Gesundheits- und Sozialwesen
  • Unterstützung und Supervision von ehrenamtlich Tätigen sowie Aufbau von zivilgesellschaftlichen Engagement

3. Qualitätssicherung der Arbeit der Psychosozialen Zentren

Eine begleitende interne Qualitätssicherung der relevanten Angebote und Vorgehensweisen ist unabdingbarer Bestandteil der Arbeit der Zentren. Sie ist durch die Beschreibung ihrer Inhalte und der verantwortlichen Personen sicherzustellen. Ihr Umfang muss aufgrund der damit verbundenen Kosten in angemessener Relation zum Gesamtbudget des jeweiligen PSZ stehen.

3.1 Räumliche, sachliche und finanzielle Ausstattung

Die Arbeitsbedingungen in den Zentren sollen so gestaltet sein, dass eine kontinuierliche Klient*innenarbeit gewährleistet werden kann. Dies beinhaltet angemessene und funktionale Räumlichkeiten und Ausstattung, die die Sicherstellung der Angebote ebenso wie Austausch, Reflexion und Fortbildung der Mitarbeiter*innen ermöglichen. Die regelmäßige telefonische und persönliche Erreichbarkeit in den eigenen Räumlichkeiten muss gewährleistet werden.

3.2 Grundanforderungen und Personalmanagement

Sowohl die Komplexität der Arbeit als auch die Belastung durch Einzelfallarbeit lassen ein arbeitsteiliges Betätigungsfeld in der Regel notwendig erscheinen. In jedem Zentrum sind daher mindestens zwei Mitarbeiter*innen mit mind. 19,25 Wochenstunden pro Person fest angestellt.  Eine der beiden Fachleute ist Psychotherapeut*in mit abgeschlossener therapeutischer Weiterbildung in einem wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren. Die andere Person ist ausgebildete Sozialarbeiter*in oder verfügt über eine vergleichbare berufliche Qualifikation.

Die inhaltliche Arbeit des multidisziplinär besetzten Teams ist schulenübergreifend. Die Versorgung erfolgt bedarfsgerecht, kontextspezifisch und in Kooperation aller Berufsgruppen des PSZ. Sie hat die Verbesserung der Lebensqualität der Klient*innen zum Ziel. Zudem sind meist Kooperationen mit Personen außerhalb der Einrichtung (Rechtsanwält*innen, Ärzt*innen) und anderen Institutionen (Kliniken, Schulen, Wohneinrichtungen) notwendig, um eine adäquate Versorgung sicherzustellen.

Die Mitarbeiter*innen sehen sich verpflichtet, das Angebot der psychosozialen Versorgung besonders vulnerabler Geflüchteter zu erhalten, auszubauen und die Qualität zu sichern.

3.2.1 Qualifikationen der Mitarbeiter*innen

Neben einer heilberuflichen, sozialen, juristischen oder pädagogischen Grundausbildung (Sozialarbeit, Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Jura, Medizin usw. mit entsprechendem FHS- oder Universitätsabschluss) sind auf Grund der spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppe und der Komplexität der Problemstellungen zusätzlich praktische Erfahrungen und spezielle Zusatzqualifikationen erforderlich. Grundkenntnisse in ausländer- und flüchtlingsrelevanten Rechtsgebieten und transkulturelle Kompetenz (siehe 1.4), bzw. die Bereitschaft sich diese anzueignen, sind erforderlich.

Im psychotherapeutischen Bereich ist eine Qualifikation in einem wissenschaftlich anerkannten therapeutischen Verfahren erforderlich[9], es sollten auch nur solche Ansätze in Beratungs- und Therapiearbeit einfließen. Weitere Heilmethoden aus den Herkunftsumfeldern der Klient*innen sowie kunst- und körpertherapeutische Angebote werden dabei mit einbezogen. Die Therapeut*innen sind in der Lage, die erlernten (westlichen) Methoden bezüglich ihrer Begrenzung kritisch zu hinterfragen und klient*innen- sowie kultursensibel angepasste Wege zu finden. Psychotraumatologische Kenntnisse sind für alle Mitarbeiter*innen, die im Beratungs- und therapeutischen Bereich tätig sind, notwendig. Eine Reduzierung auf Traumafolgesymptome wird jedoch vermieden und der weitere Kontext bei jeder Beratung und Behandlung berücksichtigt.

Wir unterstützen zivilgesellschaftliches Engagement durch ehrenamtlich Tätige, setzen uns für die Aufrechterhaltung von professionellen Standards ein und grenzen beides klar voneinander ab.

3.2.2 Hospitation, interne Ausbildung, Einarbeitung und Fortbildung von Mitarbeiter*innen

Vor einer eigenständigen Mitarbeit neuer Mitarbeiter*innen beziehungsweise einer Hospitationsphase wird eine Einarbeitungszeit vorgeschaltet, für die besondere Regeln gelten; z.B. ist es sinnvoll, die ersten Beratungsgespräche oder Kriseninterventionen gemeinsam mit erfahrenen Mitarbeiter*innen durchzuführen.

Allen Mitarbeitenden stehen Fortbildungen (speziell die Fachtagungen der BAfF) zu. Die Fort- und Weiterbildungen in den o.g. Bereichen werden durch die Einrichtungen gefördert.

Da es keine spezialisierte Ausbildung in vielen Arbeitsbereichen der PSZ gibt, stehen sich alle in der BAfF zusammengeschlossenen Zentren zur gegenseitigen Hospitation zur Verfügung.

3.2.3 Information, Betreuung und Weiterbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen und Praktikant*innen

Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und Praktikant*innen werden kontinuierlich betreut und begleitet, ihrer möglichen Belastung gilt die besondere Aufmerksamkeit der erfahrenen Mitarbeiter*innen. Dies geschieht in Form von regelmäßigen Gesprächs-, Informations- und Schulungsangeboten sowie Unterstützung in Problem- und Krisensituationen.

3.3 Supervision und Intervision

Zur Qualitätssicherung ist eine regelmäßige Reflexion der beraterischen und therapeutischen Tätigkeit notwendig. Diese findet in Form von externer fallbezogener Supervision im Einzel- oder Gruppensetting statt. Die Teilnahme an Supervision ist für alle Mitarbeitenden verbindlich und gehört zu den Arbeitspflichten. Die Häufigkeit der Supervision ist abhängig von der Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeitenden.

Der Schutz der Mitarbeitenden ist dem Schutz der Klient*innen gleichrangig. Die Supervision(sgruppe) sollte ein Ort des Vertrauens sein, an dem ohne Vorbehalte über Fälle, aber auch über den eigenen Umgang, die Reaktion auf Klient*innen und die Rolle in der Einrichtung gesprochen werden kann. Die Supervision erfüllt also verschiedene Aufgaben: die übergreifende Fallarbeit, die Erhaltung der Motivation, Burn-Out-Prophylaxe sowie Austausch und Feedback.

Da sich die extremen Belastungen der Klient*innen auch auf die Mitarbeitenden und das Team auswirken, sind Räume zur regelmäßigen Reflektion (z.B.  Teamsupervision, Intervision oder Qualitätszirkel) sehr wichtig. Bei Veränderungsprozessen oder Krisen innerhalb einer Einrichtung sollte eine zusätzliche (Team-) Supervision/bzw. Organisationsentwicklung möglich sein.

Die*der Supervisor*in sollte vom Team bestimmt werden. Supervisor*innen sollten über Erfahrungen in kultursensibler Therapie/Beratung und im Diversitätsmanagement verfügen, nach Möglichkeit auch über psychotraumatologische Kenntnisse und Wissen über die Lebensrealität von Geflüchteten.

3.4 Arbeit mit Sprachmittler*innen

In Therapie und Beratung ist die sprachliche Verständigung elementar. Die Angebote der PSZ erfolgen nach Möglichkeit in unterschiedlichen Sprachen durch muttersprachliche Mitarbeiter*innen. Diese stehen jedoch meist nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung, so dass viele Gespräche mit Hilfe von Sprachmittler*innen durchgeführt werden müssen. Kompetente Sprachmittelnde werden benötigt, um die Verständigung professionell zu gewährleisten und Klient*innen so den Zugang zu allen Leistungen der Zentren zu ermöglichen.

Beratung und Psychotherapie mit Sprachmittlung sind genauso wirksam wie muttersprachliche Angebote. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sie mithilfe qualifizierter Sprachmittler*innen stattfindet,  Aspekte der Kulturvermittlung umfasst und wenn bedeutungsadäquat übersetzt wird. Dabei erfordert das triadische Setting die Einhaltung von Regeln, nicht nur um die Qualität der Kommunikation sicherzustellen, sondern auch zum Schutz der Sprachmittler*innen, beispielsweise vor sekundärer Traumatisierung.

Ein Pool von speziell geschulten Sprachmittler*innen für alle benötigten Sprachen ist daher notwendiger Bestandteil des Teams eines PSZ. Hilfreich und z. T. zwingend notwendig ist es, wenn neben verschiedenen Sprachen auch die Diversifikation hinsichtlich Geschlecht, Nationalität, Alter, sozialer Herkunft, Religion, politischer und ethnischer Zugehörigkeit, etc. beachtet wird.

Um die Qualität von Therapie und Beratung zu gewährleisten, bringen Sprachmittler*innen in den PSZ nicht nur häufig entsprechende biographische, sprachliche und transkulturelle Kompetenzen mit, sondern bilden sich auch bedarfsgerecht weiter. Hier halten die Zentren entsprechende Angebote vor oder vermitteln zu diesen. Zudem sollten für Sprachmittler*innen Angebote der begleitenden Supervision und Intervision existieren.

3.5 Dokumentation, Datenschutz, Schweigepflicht

Die Erfassung und Speicherung aller klient*innenbezogenen Daten unterliegt den Vorgaben der bestehenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Alle erhobenen Daten (Aufnahmebögen, Anamnesebögen, Fragebögen, Psychodiagnostik, etc.) sollen zeitnah in eine Datenbank überführt werden, die eine sichere Erfassung und Haltung der Daten gewährleistet. Die Originalunterlagen werden entsprechend den Vorgaben der Dokumentationspflicht für Heilberufe aufbewahrt.

Bei der Betreuung der Klient*innen wird auf die Einhaltung der geltenden Datenschutzvorschriften zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung geachtet. Alle Mitarbeitenden eines Zentrums (ob angestellt, als Honorarkraft oder ehrenamtlich Tätige) sind verpflichtet, die Regeln des Datenschutzes und der Schweigepflicht gem. § 203 StGB einzuhalten. Alle Personen, die Umgang mit personenbezogenen Daten haben, werden durch eine*n Datenschutzbeauftragte*n über die Bestimmungen des Datenschutzes aufgeklärt. Sie müssen sich im Rahmen ihres Arbeitsvertrags oder durch eine gesonderte Vereinbarung schriftlich verpflichten, diese einzuhalten.

Klient*innen werden zu Beginn ihrer Beratung/Behandlung über Inhalte, Reichweite und Möglichkeiten der Datenschutzbestimmungen und der Schweigepflicht der Mitarbeiter*innen informiert. Die Weitergabe oder Veröffentlichung von personenbezogenen Daten darf nur mit der schriftlichen Einverständniserklärung der Klient*innen (Entbindung von der Schweigepflicht) erfolgen.

4.     Evaluation, Weiterentwicklung der Angebotsstruktur und Informationsaustausch

Die psychosozialen Zentren haben ein Interesse daran, ihre Ziele, Programme und Hilfsangebote durch regelmäßige interne und externe Evaluation zu überprüfen und zu bewerten. Die PSZ nutzen die Evaluation zur kritischen Selbstreflexion, Überprüfung ihrer Arbeit und konzeptionellen Weiterentwicklung und Optimierung.

4.1 Interne Evaluation der PSZ

Durch regelmäßige Evaluation der Angebote der Zentren sollen deren Bedarfsangemessenheit, Effektivität und Kosteneffizienz überprüft werden. So können Angebote im Sinne der Klient*innen qualitativ und quantitativ optimiert werden. Möglicher Schaden, der durch nicht bedarfsgerechte Betreuung angerichtet werden kann, wird vermieden.

Ziel ist zudem, die Wirkung externer Grundlagen und Bedingungen aufzuzeigen, die die Wirksamkeit der Angebote unterstützen oder einschränken können. Quantitative und qualitative Evaluationsergebnisse können dazu dienen, dem Versorgungsanspruch bzw. dem Versorgungskonzept der PSZ und ihrer Klient*innen gegenüber Politik und Entscheidungsträgern mehr Gewicht zu verleihen. Die Ergebnisse der Evaluationen dienen als Grundlage für zukünftiges Arbeiten, konzeptionelle Weiterentwicklung und Verbesserung der Unterstützungsangebote.

Eine systematische Verfahrensweise bei der internen Evaluation ist einer eher intuitiv und punktuell erfolgenden vorzuziehen, um zu aussagekräftigen und vergleichbaren Ergebnissen zu gelangen. Quantitative Instrumente sollten nach Möglichkeit für die Zielgruppe der Geflüchteten validiert und kultursensibel sein. Diese sollten ergänzt werden durch qualitative strukturierte oder teilstrukturierte Erhebungen.

Aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Zielgruppe und der komplexen und meist prekären Rahmenbedingungen, sollte stets beachtet werden, dass insbesondere die Ergebnisse quantitativer Methoden die diese Faktoren unberücksichtigt lassen, nur begrenzt aussagekräftig sein können.

4.2 Informationsaustausch und externe Evaluation der PSZ (Leistungsabfrage)

Die in der BAfF zusammengeschlossenen PSZ beteiligen sich am Austausch von Erfahrungen und der Diskussionen sowohl wissenschaftlicher Erkenntnisse als auch themenspezifischer gesellschaftspolitischer Fragen. Ziel ist die ständige Weiterentwicklung und Verbesserung der Hilfs- und Unterstützungsangebote. Foren für den Erfahrungs- und Diskussionsaustausch sind z.B. die jährliche BAfF-Tagung, die BAfF-internen Tagungen, Themen-Arbeitskreise der BAfF, und deutschlandweite oder regionale Projekte. Die BAfF beteiligt sich aktiv an der europäischen Vernetzung innerhalb des European Network (http://european-network.org/).

Zur Evaluierung der Angebote der BAfF-Mitgliedszentren wird regelmäßig eine Leistungsabfrage durchgeführt. Die Teilnahme an der Abfrage ist für alle Mitgliedszentren verbindlich.

Die Zentren verpflichten sich, ihre Jahresberichte und vergleichbare Publikationen der BAfF zur Verfügung zu stellen, damit diese auf Anfrage anderen Zentren zugänglich gemacht werden können.

Die Leitlinien haben mit dem Beschluss der Mitgliederversammlung vom 12.11.2020 Gültigkeit.

[1] http://www.who.int/about/mission/en/

[2] https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/BJNR107410993.html

[3] https://www.antifolterkonvention.de/

[4] http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf

[5] http://www.refworld.org/docid/5437cc274.html

[6] Wir verwenden in den Leitlinien momentan die Begriffe “Kultursensibilität“ und „transkulturelle Kompetenz“ mehr oder weniger austauschbar. Der Begriff der „Transkulturalität“ soll ergänzend zu der reflexiven, feinfühligen Haltung betonen, dass es im Rahmen der Arbeit der PSZ nicht eine „Leitkultur“ gibt, sondern eine Hybridität von kulturellen Zugehörigkeiten angenommen und anerkannt wird, mit der die Mitarbeitenden umzugehen wissen.

[7] https://www.ohchr.org/Documents/Publications/training8Rev1en.pdf

[8] https://www.sbpm.de/

[9] Verhaltenstherapie, analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Systemische Therapie.