Die Aussagen über Fluchtgeschichten werden bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach Kriterien der Glaubwürdigkeit (Vollständigkeit, Detailreichtum, Chronologie und Widerspruchsfreiheit) bewertet. Aufgrund krankheitsbedingter Gedächtnisstörungen, Vermeidungstendenzen, Scham und/oder kulturbedingter Faktoren fällt es traumatisierten Geflüchteten jedoch besonders schwer in ihrer Schilderung der Ereignisse diese Kriterien zu erfüllen. Die (juristische) Wahrheitsfindung ist vor diesem Hintergrund deutlich erschwert.
Die Anhörungsinhalte werden u.a. nach den Kriterien der Vollständigkeit der Aussage, dem Detailreichtum, der Chronologie und der Widerspruchsfreiheit des Erzählten bewertet. Es wird demnach eine vollständige Darstellung der Asylgründe erwartet, ein verspätetes Vorbringen bleibt unberücksichtigt. Detailreichtum und die korrekte Chronologie der Erzählungen sprechen nach Kriterien des BAMF für die Glaubhaftigkeit der Aussagen. Die vollständige Widerspruchsfreiheit und unbedingte Konsistenz ist notwendig. Die Anwendbarkeit der Kriterien bei Personen mit möglichen Traumafolgestörungen ist vor diesem Hintergrund eingeschränkt. Denn die Arbeitsweise des Gehirns unter traumatischen Stress führt dazu, dass Erfahrungen schlecht eingeordnet werden können und es zur vereinzelten und fragmentarischen Abspeicherung von Sinneseindrücken, Gedanken, Zeit und Emotionen kommen kann. Besondere Foltermethoden führen auch gezielt zur raum-zeitlichen Desorientierung. Traumatische Bereiche werden daher oftmals einfach nicht erinnert oder vermieden. Das Erinnern ist oftmals ein mühsamer (Re-) Konstruktionsprozess. Auch aus Scham oder kulturbedingten Faktoren kann es dazu kommen, dass die Anhörung nicht die Situation darstellt, in der Personen das erste Mal über (sexualisierte) Gewalterfahrungen sprechen können. Der (Erwartungs-)Druck der Situation der Anhörung kann dazu führen, dass Erinnerungslücken spontan gefüllt werden.
Studien zeigen, wie belastend sich die Anhörungssituation auf traumatisierte Geflüchtete auswirkt und unterstreichen die Bedeutung von Anhörungen mit besonders geschulten Anhörer*innen (Schock et al., 2015).
Weitere Informationen finden Sie unter:
Herman, J. L. (2015). Trauma and recovery: The aftermath of violence–from domestic abuse to political terror. Hachette UK.
Schock, K., Rosner, R., & Knaevelsrud, C. (2015). Impact of asylum interviews on the mental health of traumatized asylum seekers. European Journal of Psychotraumatology, 6(0). http://www.ejpt.net/index.php/ejpt/article/view/26286
Refugee Law Clinics Deutschland (2018). Zur Beratungssituation im Asylverfahren. Ein Skript für die ehrenamtliche und studentische Rechtsberatung von Geflüchteten. https://rlc-deutschland.de/wp-content/uploads/2018/04/Rechtsberatung-im-Asylverfahren_Skript-der-RLCs_2018_02.pdf