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Rückführungsoffensive der Ampelkoalition: Politik im Widerspruch zu den Menschenrechten

Pressemitteilung, 18.1.2024

Inmitten eines gesellschaftlichen Klimas massiver Bedrohungen von Menschen, der Demokratie und einer menschenrechtsorientierten Gesellschaft und geprägt von Deportationsfantasien Rechtsextremer wie der AfD soll das monatelang umstrittene „Rückführungspaket“ heute im Bundestag verabschiedet werden. Neben schweren Grundrechtseingriffen zur Erleichterung von Abschiebungen enthält es öffentlich bislang weitgehend unbeachtete massive Einschränkungen des Rechtes Asylsuchender auf den Zugang zum Gesundheitssystem.

Dieses Gesetzespaket markiert auf nationaler Ebene den migrationspolitischen Tiefpunkt der Ampelkoalition, da bisher keine der im Koalitionsvertrag angekündigten Veränderungen für besonders schutzbedürftige Geflüchtete und ihre psychische Gesundheit umgesetzt wurde.

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF

Statt einer dringend notwendigen Initiative zum Schutz besonders vulnerabler Geflüchteter plant die Regierung mit dem vorliegenden Gesetzespaket die bereits heute brutale Abschiebepraxis zu verschärfen. Dies hätte zur Folge, dass Betroffene zu jeder Tages- und Nachtzeit in maximale Unsicherheit versetzt werden – mit langfristigen Folgen für ihr Sicherheitsempfinden, Vertrauen und ihre Gesundheit. Die Gesetzesverschärfung signalisiert allen Betroffenen, dass sie jederzeit gewaltsam an Orte zurückgezwungen werden können, an denen ihnen Haft, Verfolgung, Krieg und Diskriminierung drohen.

Die Inszenierung dieser sogenannten „Abschiebungsoffensive“ unterschlägt, dass Menschen mit einer Duldung nicht abgeschoben werden können und dürfen – sei es aufgrund einer laufenden Ausbildung oder Beschäftigung, aus humanitären oder familiären Gründen oder aufgrund einer Erkrankung, die eine Abschiebung verbietet. 

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wurde in das Gesetzespaket außerdem aufgenommen, Asylsuchenden künftig drei statt 1,5 Jahre lang nur eingeschränkt Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem zu gewähren. Dabei ist bekannt, dass eine mögliche Gesundheitsversorgung nicht der Grund für Migrationsbewegungen ist und migrationspolitische Abschreckungsintention des AsylbLG verfassungs- und völkerrechtswidrig ist.

Asylsuchende haben in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts schon heute keinen Anspruch auf das, was die gesetzlichen Krankenkassen als „medizinisch notwendig“ definieren. Seit 30 Jahren erleben Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen in der ambulanten, stationären und psychosozialen Versorgungspraxis, wie gravierend sich sowohl die körperliche Gesundheit als auch die psychische Belastungssituation traumatisierter Geflüchteter verschlechtert, wenn über einen so langen Zeitraum hinweg keine Behandlung erfolgt.

Die BAfF hat deshalb gemeinsam mit 8 weiteren psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachverbänden ein Positionspapier veröffentlicht, in dem Abgeordnete aufgefordert werden, die Leistungseinschränkungen zu verhindern und – wie im Koalitionsvertrag gefordert – Gesundheitsleistungen für Geflüchtete wie im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu verankern.

Als Teil eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses aus NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Beratungs- und Versorgungsinitiativen haben wir uns parallel in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und Bundesminister Heil gewandt und mit aller Dringlichkeit dazu aufgerufen, das Vorhaben zu stoppen.

Die Politik der Bundesregierung muss sich an den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Menschenrechten ausrichten, die sie zu wahren verpflichtet ist.


Hintergrundinformationen

Zum Komplex „Abschiebungen“: Was ein Migrationspaket eigentlich leisten müsste

Abschiebung trotz Krankheit

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Geflüchtete, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht abgeschoben werden dürfen und trotz massiver Gesundheitsgefährdungen die Abschiebung droht. 

Europa- und verfassungsrechtlich erfordert dies eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes, die den Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit stärkt: Ihnen muss zeitnah ein Nachweis ihrer Erkrankung durch entsprechend qualifizierte Berufsgruppen ermöglicht werden. Dazu gehören als Hauptversorgende auch Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen. Sie sind aktuell als begutachtende Berufsgruppe ausgeschlossen, was in Verbindung mit einer massiven Versorgungskrise dazu führt, dass vulnerable Geflüchtete den Nachweis ihrer Schutzbedürftigkeit nicht rechtzeitig erbringen können.

Trotz mehrerer Fachgespräche und zahlreicher Expertisen auch anderer Fachgesellschaften aus Psychiatrie und Psychotherapie wird bis heute in keinem der bislang vorgelegten Elemente der ursprünglich angekündigten „Migrationspakete“ bei den Änderungsvorschlägen zum Aufenthaltsgesetz auf diese Thematik eingegangen.

Im aktuellen Gesetzesentwurf (sog. Rückführungsverbesserungsgesetz) ist zwar vorgesehen, dass Abschiebungsandrohungen nur erlassen werden dürfen, wenn keine Abschiebungsverbote vorliegen und der Abschiebung das Kindeswohl, familiäre Bindungen oder der Gesundheitszustand der Person nicht entgegenstehen. Eine Klarstellung dazu, wie und durch wen der Gesundheitszustand einer Person als „einer Abschiebung entgegenstehend“ zu bewerten ist, fehlt jedoch ebenso wie eine Ermittlungspflicht der zuständigen Behörden. In der Praxis wird sich durch diese Formulierung an den nicht erfüllbaren Anforderungen de facto nichts ändern – und besonders vulnerablen Geflüchteten drohen durch die Abschiebung Gefahren für Leib und Leben.

Die hohen Anforderungen für den Nachweis von Krankheiten stehen im klaren Widerspruch zum Schutz von Leben und Gesundheit. Menschen, die von dieser scharfen Asylrechtspraxis betroffen sind, leiden unter schweren Traumata und sehen sich mit erheblichen bürokratischen Hürden konfrontiert, die es ihnen fast unmöglich machen, die Schwere ihrer Erkrankung nachzuweisen.

Lukas Welz, Geschäftsleiter

Ausweitung von Durchsuchungs- und Abschiebungsbefugnissen: Wie stattdessen das Klima der Angst verschärft wird

Mit dem Gesetzentwurf plant die Bundesregierung vielmehr eine Reihe von schweren Grundrechtseingriffen, die insbesondere bei traumatisierten und psychisch erkrankten Personen zu jeder Tag- und Nachtzeit für betroffene Personen Zustände von Kontrollverlust und Unsicherheit verschärfen. Geplant sind unter anderem:

Die Ausweitung von Durchsuchung- und Betretungsbefugnissen, insbesondere zur Nachtzeit: Künftig sollen Wohnräume durchsucht werden können, um Unterlagen oder Datenträger zu suchen – auch die Räume von Personen, die gar nicht abgeschoben werden sollen. Nächtliche Abschiebungen sollen deutlich vereinfacht werden. 

Einschränkungen bei Ankündigungen einer Abschiebung: Bisher mussten Abschiebungen angekündigt werden, wenn Geflüchtete in Deutschland seit mindestens einem Jahr geduldet sind. Dies soll künftig nur noch bei Familien mit Kindern unter 12 Jahren geschehen.

Allen Menschen, die in Geflüchtetenunterkünften leben müssen, droht dadurch ein Wohnklima in permanenter Angst und Bedrohung. Das Recht auf Privatsphäre – auch nicht direkt betroffener Schutzsuchender – wird verletzt. Menschen, die gewaltvolle Haft- und Foltersituationen überlebt oder mit angesehen werden, müssen jede Nacht damit rechnen, durch eine gewaltsame Abschiebung der Nachbarsfamilie aus dem Schlaf gerissen zu werden. Sowohl von Abschiebung bedrohten Personen als auch ihrem gesamten Umfeld drohen dadurch Ohnmachts-, extreme Stress- und unkontrollierbare Gewaltsituationen, die psychisch insbesondere für bereits traumatisierte Personen extrem destabilisierend sein können.

Traumatisierten Überlebenden drohen durch die nächtlichen Durchsuchungen und unangekündigten Abschiebungen jederzeit erneuter Kontrollverlust, Ohnmacht und Angst. Auch wiederholt mitzuerleben, wie andere Geflüchtete aus Sammelunterkünften plötzlich abgeschoben werden, reißt seelische Wunden wieder auf und kann langfristige gesundheitliche Folgen haben – sowohl körperlich als auch psychisch.  

Alva Träbert, Referent*in für besondere Schutzbedarfe und Advocacy

Die Androhung und Durchführung einer Abschiebung haben ein extremes Destabilisierungspotential, da sie der betreffenden Person ihre Zukunftsperspektive nehmen, die sie vielleicht noch als Ressource zum Überleben zur Verfügung hatte. Alle weiteren Aspekte einer Abschiebung – der Zwang, die Anwesenheit der Polizei, die evtl. nächtliche Durchführung – sind einem Gefühl von Kontrolle und Sicherheit ebenfalls nicht zuträglich. Die Psyche der Patient*innen reagiert mit schweren Depressionen, Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung, wie das quälende Wiedererleben der traumatischen Erfahrungen in Form von Flashbacks, intrusiven Gedanken und Alpträumen, psychotischen Zuständen, Selbstverletzung, Suizidgedanken und Suizidalität.

Für Menschen, deren psychische Verfassung bereits die oben beschriebene massive Destabilisierung erreicht hat, bedeutet die erzwungene Entfernung aus einer sicheren Umgebung und das Rückführen in einen Kontext, der mit so viel Angst und Gewalt in Verbindung steht – allein auf psychischer Ebene – ein bewusstes Spiel mit dem Tod.

Zu den Leistungseinschränkungen im AsylbLG: Fatale Kompromisse bei den Gesundheitsleistungen
Gesundheitliche Folgen bei der Verdoppelung der Asylleistungsbeschränkungen von 18 auf 36 Monate

Seit nunmehr 30 Jahren erleben Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen in der ambulanten, stationären und psychosozialen Versorgungspraxis, wie gravierend sich sowohl die körperliche Gesundheit als auch die psychische Belastungssituation traumatisierter Geflüchteter verschlechtert, wenn über einen so langen Zeitraum hinweg keine Behandlung erfolgt.

Sowohl medizinische, psychotherapeutische und psychosoziale Fachverbände als auch über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen weisen die politisch Verantwortlichen deshalb seit Monaten darauf hin, dass weitere Verschärfungen die ohnehin desaströse Versorgungssituation massiv verschlimmern würde. Die nun im Zuge der Gesetzesänderungen zum Rückführungspaket vorgesehene Verdopplung der Bezugszeit für nur eingeschränkte Gesundheits- und Sozialleistungen von 18 auf 36 Monate ist aus fachlicher und menschenrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar.

Die BAfF hat deshalb gemeinsam mit 8 weiteren psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachverbänden ein Positionspapier veröffentlicht, in dem Abgeordnete aufgefordert werden, die Leistungseinschränkungen zu verhindern und – wie im Koalitionsvertrag gefordert, Gesundheitsleistungen für Geflüchtete wie im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu verankern.

Welche Folgen drohen durch die Verlängerung der Leistungseinschränkungen?

  • Wenn Asylsuchende künftig drei Jahre auf einen weitgehend regulären Zugang zum Gesundheitssystem warten müssen, wird ihre psychosoziale Belastungssituation massiv zunehmen – mit Folgen für die Prävalenz psychischer Erkrankungen.
  • Aufgrund der Fokussierung auf Akutversorgung ist mit einer noch stärkeren Inanspruchnahme von psychiatrischen und psychosozialen Notfallstrukturen zu rechnen.
  • Für bereits vorliegende psychische Erkrankungen erhöht sich das Chronifizierungsrisiko deutlich. Daraus entstehen erhebliche direkte und indirekte Folgekosten u. a. durch teurere stationäre Behandlungen sowie infolge zu später Behandlung höhere volkswirtschaftliche Kosten durch Beeinträchtigung der Schul- oder Arbeitsfähigkeit sowie ausbleibende oder erschwerte Integrations- und Teilhabechancen.
  • Es droht ein deutlich erhöhter bürokratischer Aufwand mit Kosten für Verwaltungen der Kommunen.
  • Mit der Verlängerung des Bezugszeitraums der eingeschränkten Gesundheits- und Sozialleistungen wird zudem das von der Bundesregierung eingeführte Instrument der Ermächtigung de facto außer Kraft gesetzt. Einrichtungen, Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen, die über diese Regelung abrechnen, dürfen Asylsuchende künftig erst nach drei Jahren in die Therapie aufnehmen. Die ohnehin eklatante Versorgungslücke wird sich durch den Wegfall dieser Behandler*innen-Gruppe weiter vergrößern.

Gesundheit von Schutzsuchenden wird völker- und verfassungswidrig in Gefahr gebracht

Als Teil eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses aus NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Beratungs- und Versorgungsinitiativen haben wir uns parallel in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und Bundesminister Heil gewandt und mit aller Dringlichkeit dazu aufgerufen, das Vorhaben zu stoppen.

Die Bundesregierung wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD), die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden (08.12.2023).

Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass die „Menschenwürde…migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist also nicht nur unwirksam und unmenschlich, sondern auch verfassungswidrig.

Ausgrenzung schadet der gesamten Gesellschaft

Letztlich kommt eine Schlechterbehandlung bei der Gesundheitsversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen die Gemeinschaft auch teuer zu stehen. Denn wenn Krankheiten chronifizieren oder zum Notfall werden, kosten sie das Gesundheitssystem mehr, als wenn man sie präventiv oder bei den ersten Symptomen behandelt. Anstatt die Leistungen für Asylsuchende immer weiter zu kürzen, fordern die unterzeichnenden Organisationen deshalb:

  • Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
  • Den Anspruch auf alle Gesundheitsleistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen für Geflüchtete gesetzlich verankern
  • Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in allen Bundesländern
  • Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung gesetzlich verankern
  • EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Geflüchtete flächendeckend und systematisch umsetzen

Downloads:

Zum offenen Brief: Gesundheit von Schutzsuchenden in Gefahr

Zum Positionspapier: Gesundheitliche Folgen bei der Verdoppelung der Asylleistungsbeschränkungen von 18 auf 36 Monate