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Psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Geflüchteter durch ermächtigte Psychotherapeut*innen und Psychosoziale Zentren wird erleichtert

Ein Urteil des Bundessozialgerichts stärkt die psychotherapeutische Versorgung von Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht. Dies erleichtert die Praxis der ermächtigten psychosozialen Zentren in Deutschland und kommt Therapeut*innen auch ohne Kassensitz zugute. Durch die Ermächtigung soll die Versorgung von erkrankten und traumatisierten Geflüchteten verbessert und Versorgungslücken geschlossen werden.

Eine Vielzahl der geflüchteten Menschen ist auf Grund von Folter, anderen schweren Formen von Gewalt oder Krieg sowie der langandauernden Flucht schwer traumatisiert und benötigt spezialisierte Behandlung. Diese wird vor allem in den Psychosozialen Zentren (PSZ) für Geflüchtete bereitgestellt, die seit nunmehr 40 Jahren die Versorgungsdefizite der Gesundheitsregelversorgung durch ein bedarfsgerechtes, niedrigschwelliges Behandlungsangebot auffangen. Sie versorgen jährlich etwa 25.000 Klient*innen. Davon erhalten 42,8 % % eine Behandlung bei einer Psychotherapeut*in. Die Wartelisten und damit verbundene Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz sind lang und übersteigen die der Patient*innen in der Regelversorgung bei Weitem.

Neben der Versorgung durch die PSZ sind Psychotherapien von geflüchteten Menschen bei niedergelassenem Therapeuten*innen leider eher die Ausnahme. Gründe hierfür sind die, mangelnde Expertise und Erfahrung in der Behandlung dieser besonderen Personengruppe und daraus resultierende Berührungsängste, Sprachbarrieren, bürokratische Hürden (z.B. bei der Finanzierung der Sprachmittlung) sowie die insgesamt eingeschränkten Kapazitäten von Psychotherapeut*innen mit einem Kassensitz.

Asylbewerber*innen beziehen in den ersten 18 Monaten Leistungen nach den §§ 4, 6 AsylbLG. Sie können gegenüber dem zuständigen Sozialamt einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Psychotherapie geltend machen, in einigen Bundesländern wird ihnen bereits in diesem Zeitraum eine elektronische Gesundheitskarte ausgestellt.[1] Nach Ablauf der ersten 18 Monate werden Krankenbehandlungen von den Krankenkassen übernommen, § 264 Abs. 2 SGB V (Bezug von sog. Analogleistungen[2]). Eine Behandlung ist dann nur bei einer zugelassenen Ärzt*in oder Psychotherapeut*in möglich.

Um dem gestiegenen Behandlungsbedarf aufgrund der stark gestiegenen Anzahl geflüchteter Menschen in Deutschland und damit auch einem zunehmenden Anteil traumatisierter Menschen gerecht zu werden, wurde im Jahr 2015 der Anspruch auf Ermächtigung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV eingeführt. Diese neu geschaffene Regelung ermöglicht, dass (approbierte) Therapeut*innen auch ohne Kassensitz, Geflüchtete, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung behandeln können. Auf diese Weise sollten dringend notwendige Behandlungskapazitäten geschaffen werden. Mit der Ermächtigung dürfen nur Empfänger*innen der Analogleistungen nach § 2 AsylbLG behandelt werden.

Die Ermächtigungen sind auf formalem Antrag hin durch die Zulassungsausschüsse der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zu erteilen. Sie sind weder begründungspflichtig in dem Sinne, dass lokale Versorgungsbedarfe oder eine bestehende Unterversorgung dieser Personengruppe nachgewiesen werden muss, noch besteht in Bezug auf das Genehmigungsverfahren ein Ermessensspielraum.

In der Praxis der KVen der Länder hat sich seit Einführung der Ermächtigung nach § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV jedoch ein uneinheitliches Bild gezeigt.[3] Dies verdeutlichen auch die Ergebnisse zweier Umfragen der BAfF (2017, 2021). So wird in einigen Bundesländern die Ermächtigung unter Berufung auf den klaren Wortlaut der Norm für die Behandlung aller Bezieher*innen von Leistungen nach § 2 AsylbLG erteilt. In anderen Bundesländern, u.a. auch in Berlin, wurde die Norm dagegen restriktiv ausgelegt und Ermächtigung ausschließlich zur Weiterbehandlung erteilt. Das heißt, die Person musste bereits vor dem Bezug von Leistungen gem. § 2 AsylbLG eine Therapie begonnen haben.

Dies schränkt die Wirksamkeit des Instruments erheblich ein. Denn in der Praxis gibt es nahezu keine Patient*innen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Nicht nur sind geflüchtete Menschen nach der langen Zeit der Flucht und bei Ankunft in Deutschland über einen langen Zeitraum mit der Erledigung existentieller Aufgaben befasst (bspw. Registrierung, Asylantragstellung, Suche nach Unterkunft, Organisierung des Alltags, Einfinden in ein fremdes Land mit fremder Sprache, etc.). Das Finden freier Therapieplätze nimmt darüber hinaus selbst für Patient*innen mit Zugang zur Regelversorgung viele Monate in Anspruch. Nicht zuletzt beträgt die Bearbeitungsdauer von Anträgen auf Kostenübernahme von Psychotherapien nach § 4 und 6 AsylbLG bei den entsprechenden Landesbehörden im Durchschnitt 9-12 Monate.

Dieser Praxis widersprach im November 2021 das Bundessozialgericht (BSG, AZ: B 6 KA 16/20 R). Demnach setzt die Ermächtigung zur Behandlung von Geflüchteten nicht voraus, dass diese bereits innerhalb der ersten 18 Monate ihres Aufenthaltes behandelt wurden. Das BSG bergründetet dies mit dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Gesetzgeber habe generell eine Verbesserung des psychotherapeutischen Angebots schaffen und dem Versorgungsmangel begegnen wollen. Da viele traumatisierte Geflüchtete einen akuten Behandlungsbedarf hätten, hätten sich Wartezeiten bei zugelassenen Therapeut*innen weiter erhöht. Außerdem sollten Konkurrenzsituationen um Therapieplätze zwischen Geflüchteten und bereits in Deutschland lebenden Migrant*innen vermieden werden. Das Gericht betonte, dass die Regelung auch keine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen traumatisierten geflüchteten Menschen und Versicherten, die aus anderen Gründen psychotherapeutisch behandlungsbedürftig sind, darstelle. Ein besonderes Angebot rechtfertige sich durch die Folgen der Traumatisierung und bestehe auch in anderen Bereichen, z.B. den Traumaambulanzen nach § 37 SGB XIV. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Geflüchteter.

In einigen Bundesländern wurde die Behandlung dem Umfang nach auf die Weiterbehandlung von Personen begrenzt, die bereits vor dem Bezug von Leistungen nach § 2 AsylbLG eine Therapie begonnen haben. In diesem Fall sollten sich ermächtigte Psychotherapeut*innen oder PSZ an den für sie zuständige Zulassungsausschuss der KV wenden und unter Hinweis auf das Urteil des BSG auf eine Erweiterung ihrer Ermächtigung hinwirken.

Für Rückfragen, Änderungsvorschläge und sonstige Anregungen stehen wir gerne zur Verfügung. Wenden Sie sich hierfür bitte an anna.bussmann-welsch@baff-zentren.org oder katja.meriau@baff.zentren.org


[1] Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin, Thüringen.

[2] Leistungsberechtigte nach AsylbLG haben nach 18 Monaten Anspruch auf Leistungen im Umfang des SGB XII, wenn sie ihre Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (sog. Analogleistungen). Es erfolgt dann eine weitgehende Gleichstellung mit Sozialhilfeberechtigten und es besteht ein Anspruch auf Ausstellung einer eGK.

[3] Vgl. zu den Hürden, die sich im Hinblick auf die Ermächtigung stellen: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/keine-behandlung-mit-der-ermaechtigung/.