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Positionspapier: Ärztliche und psychotherapeutische Expertise berücksichtigen

PRESSEMITTEILUNG:

20.06.2023

Abschiebung trotz Krankheit: 21 psychiatrisch-psychotherapeutische Fachgesellschaften fordern Gesetzesänderungen zum Schutz traumatisierter Geflüchteter

Anlässlich des Weltflüchtlingstags weist ein breites Bündnis aus Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, darunter die BAfF, in einem Positionspapier darauf hin, dass ihre Patient*innen unter den aktuellen rechtlichen Vorgaben nicht ausreichend vor Abschiebungen geschützt sind. Psychisch erkrankte Geflüchtete haben ein Recht, vor lebens- und gesundheitsgefährdenden Abschiebung geschützt zu werden: Ohne gesetzliche Änderungen im Hinblick auf die Anforderungen zum Nachweis der Erkrankung ist es ihnen aktuell kaum möglich, von diesem Recht Gebrauch zu machen.  

Geflüchtete Menschen sind in unzumutbarer Weise in der Beweislast, wenn es um den Nachweis von Erkrankungen im Asylverfahren geht. Gleichzeitig verfügen sie in der aktuellen Versorgungslage in der Regel nicht über die Ressourcen oder den Zugang zu Fachkräften, um solche Stellungnahmen in Auftrag zu geben.

Keine andere Personengruppe treffen derart hohe Anforderungen beim Nachweis von Erkrankungen, die durch die gesetzlichen Verschärfungen im Asylrecht in den Jahren 2016 und 2019 noch verstärkt wurden. Damit eine Bescheinigung im Asylverfahren als qualifiziert gilt, muss sie mehr Informationen enthalten als andere: Dies umfasst nicht nur die Krankheitsvorgeschichte, Untersuchungsmethoden und Diagnose, sondern auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Viele Behandler*innen können aus Kapazitätsgründen keine derart umfangreichen Stellungnahmen erstellen.

Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die mit der Versorgung von Geflüchteten in Berührung kommen, sind zudem regelmäßig mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Expertise in der Beurteilung von Erkrankungen keine Berücksichtigung durch die Behörde oder die Verwaltungsgerichte findet. Atteste von Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen z.B. zur Beurteilung der Posttraumatischen Belastungsstörung werden regelmäßig ohne fachlichen Grund ausgeschlossen.

Infolgedessen bleibt es dem Zufall überlassen, ob Menschen eine fachärztliche Bescheinigung rechtzeitig einreichen können. Traumatisierten Menschen, die Sicherheit und Schutz in Deutschland suchen, droht die Abschiebung trotz Krankheit und Schutzbedarf.

Die hohen Anforderungen an den Nachweis einer Krankheit sind nicht vereinbar mit dem Schutz von Leben und Gesundheit. Denn die Personen, die diese Verschärfung betrifft, sind schwer traumatisiert und scheitern beim Nachweis ihrer schweren Erkrankung an extremen bürokratischen Hürden.

Jürgen Soyer, Geschäftsführer Refugio München, Vorstand BAfF

Ein Bündnis aus 21 Verbänden fordert den Gesetzgeber in einem Positionspapier auf, die Anerkennung ärztlicher und psychotherapeutischer Expertise in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren wiederherzustellen und die erhöhten Nachweispflichten zurückzunehmen. 

Folgende gesetzliche Änderungen sind dabei zentral:

  1. Die Ermittlungspflicht muss bei den Behörden liegen;
  2. Die Kosten für die anspruchsvollen Nachweise müssen von den zur Ermittlung verpflichteten Behörden getragen werden;
  3. Stellungnahmen Psychologischer Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut*innen müssen berücksichtigt werden.

Das Positionspapier wurde im Fachgespräch an die Abgeordneten Helge Lindh (SPD), Stephan Thomae (FDP) und Filiz Polat (Bündnis 90/die Grünen) übergeben. Ob weitere Fachgespräche unter Beteiligung des Bundesinnenministeriums und eine tatsächliche Verbesserung des Aufenthaltsrechtes erfolgen werden, ist weiterhin ungewiss.

Das Positionspapier „Sicherstellung der Rechte von Schutzsuchenden und Berücksichtigung der Versorgungslage. Anerkennung ärztlicher und psychotherapeutischer Expertise in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“ finden Sie hier als pdf.


Interviews

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF und Jürgen Soyer, Vorstand bei der BAfF und Geschäftsführer von Refugio München, stehen für Interviews und Statements gerne zur Verfügung.

Für Presseanfragen wenden Sie sich bitte an jenny.baron@baff-zentren.org (Tel.: +49 151 610 140 94)