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Diskriminierung von Geflüchteten im Gesundheitssystem

Der neue Versorgungsbericht der BAfF zeigt, dass Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland nicht angemessen (psycho-)therapeutisch versorgt werden.

Auch im Jahr 2020 war es aufgrund fehlender Kapazitäten und mangelnder Finanzierung nicht möglich, alle Geflüchteten mit schweren psychischen Folgen von Krieg, Folter und Flucht in einem der über 40 Psychosozialen Zentren in Deutschland zu unterstützen. So konnten die Psychosozialen Zentren und ihre Kooperationspartner 2020 nur 4,6 % des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken und mussten fast 10.000 Personen ablehnen.

Insgesamt wurden 2020 19.352 Klient*innen versorgt. 13,7 % der Klient*innen waren minderjährig, davon musste ein Drittel ohne Begleitung ihrer Familie nach Deutschland flüchten. Den vorliegenden Daten zufolge waren 18,9 % Überlebende von Folter, 5,0 % LSBTIQ* und 2,8% von Menschenhandel betroffen. Die Dunkelziffer an Menschen, die solche schwerwiegenden Erfahrungen gemacht haben und daher besonderen Schutz benötigen, ist wahrscheinlich deutlich höher. Im Jahr 2020 stammten die Klient*innen der PSZ aus über 100 verschiedenen Ländern. Zu den häufigsten Herkunftsländern gehörten Afghanistan, Syrien und Russland.

Fast neun von zehn geflüchteten Menschen haben schwere Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen erlebt. Diese Erfahrungen sowie die diskriminierenden Aufnahmebedingungen in Deutschland haben erhebliche psychosoziale Folgen. Studien gehen davon aus, dass etwa ein Drittel aller Geflüchteten von einer depressiven Erkrankung oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen sind. Bei einer fehlenden Behandlung kann sich der gesundheitliche Zustand dieser Personen deutlich verschlechtern, mit Folgekosten für das Gesundheitssystem und die gesamte Gesellschaft.

Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die große Fluchtbewegung rechnen die Psychosozialen Zentren mit einem deutlichen Anstieg an Anfragen im Jahr 2022. Über 180.000 Menschen aus der Ukraine könnten demnach in den nächsten Monaten und Jahren psychosoziale Unterstützung benötigen.  

Geflüchtete Menschen werden im Zugang zur Gesundheitsversorgung nach wie vor diskriminiert. Für die Personen birgt dies die Gefahr, dass sich Traumatisierungen und psychische Erkrankungen chronifizieren, also dauerhaft werden. Nicht erst die Corona-Pandemie hat die Lücke und die mangelhafte Versorgung aufgezeigt, diesen Zustand kritisieren wir seit Jahren. Überlebende von Krieg, Folter und Flucht müssen mit ihren Erfahrungen bisher größtenteils alleine zurechtkommen. Deutschland kommt somit seinen eigenen Verpflichtungen nicht nach. Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht. Als solches wurde es in zahlreichen internationalen Übereinkommen ausdrücklich anerkannt, beispielsweise in der EU-Aufnahmerichtlinie oder der UN-Antifolterkonvention.

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF

Beratung und Therapie können auch einen Beitrag zur Integration leisten und geflüchteten Menschen helfen, in Deutschland anzukommen. Dazu braucht es:

  • diskriminierungsfreie gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten für geflüchtete Menschen
  • eine Krankenkassenkarte für alle geflüchtete Personen von Anfang an in allen Bundesländern
  • eine nachhaltige und flächendeckende Finanzierung der Psychosozialen Zentren durch Bund und Länder
  • einen gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung für Menschen ohne oder mit geringen Sprachkenntnissen in Therapie und Beratung sowie die finanziellen Rahmenbedingungen
  • die Fortbildung von Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und Behördenwesen in diskriminierungskritischer und traumasensibler Arbeit im Kontext Flucht und Menschenrechtsverletzungen u.a. durch Integration dieser Themen in Ausbildungscurricula.

Der vom Bundestag beschlossene Bundeshaushalt 2022 sieht eine Stärkung der psychosozialen Versorgung für geflüchtete Menschen vor. Das bedeutet eine deutliche Aufstockung der Bundesmittel für die Psychosozialen Zentren in diesem Jahr. Die Schuldenbremse wird die Bundesförderung in den nächsten Jahren aber vor erhebliche Herausforderungen stellen. Es braucht daher eine nachhaltige und langfristige Finanzierung der Psychosozialen Zentren.


Der Versorgungsbericht als PDF oder als gedrucktes Exemplar über unseren Shop bestellbar.