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Stellungnahme zu den Ergebnissen der Sondierungsgespräche

Einigung auf Kosten von Kriegsflüchtlingen und Folteropfern:
Was das Ende der Willkommenskultur für traumatisierte Flüchtlinge bedeutet

Stellungnahme zu den Sondierungsergebnissen, 19.01.2018 (direkt zum pdf)

Die Sondierungsergebnisse von Union und SPD sind ein herber Schlag für alle, die sich seit Jahrzehnten für die Versorgung von Geflüchteten einsetzen. Auch für Schutzsuchende, die durch Krieg und schwere Menschenrechtsverletzungen traumatisiert worden sind, werden die geplanten Veränderungen verheerende Konsequenzen haben. Der Dachverband der 37 Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, die BAfF, kommentiert im Folgenden einige der Auswirkungen, die für die rechtliche Situation und die Gesundheit dieser besonders vulnerablen Flüchtlingsgruppe zu erwarten sind.

Isolierung in Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren macht krank

Die Isolierung von Asylsuchenden in Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren nach bayrischem Vorbild wird Schutzsuchende dramatisch in ihren Rechten beschneiden. Traumatisierten Asylsuchenden stehen z.B. besondere Verfahrensgarantien zu und sie haben einen Anspruch auf psychologische Unterstützung. Oft sind sie ohne diese Hilfe kaum in der Lage, ihre belastende Geschichte im Asylverfahren auch darzustellen.

„Deutschland ist seit inzwischen 15 Jahren verpflichtet, besonders vulnerable Asylsuchende während des Asyl- und Aufnahmeprozesses als solche zu identifizieren und sie entsprechend ihrer besonderen Bedarfe zu unterstützen“, berichtet Elise Bittenbinder, die sich als Vorsitzende der BAfF seit 2003 mit den Defiziten in der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie befasst.

Es ist hinreichend bekannt, dass Isolation für Menschen – insbesondere, wenn diese schweres Leid erlebt haben – ein enormer zusätzlicher Stressfaktor ist. Für traumatisierte Menschen bedeutet dies ein zusätzliches Gesundheitsrisiko, das willentlich in Kauf genommen wird, ohne dass präventive Maßnahmen vorgeschlagen werden. Bereits jetzt fallen viele Menschen durch das Raster, weil sie sich zurückziehen, aus Angst und Scham nicht über ihre Gewalterfahrungen sprechen und ihre Symptome für Laien schwer einzuordnen sind. Wenn diese Menschen nun dauerhaft in den ANkER-Zentren isoliert und von psychosozialen Unterstützungsmöglichkeiten abgeschnitten werden sollen, besteht die große Gefahr, dass sie weder den Schutz noch die Versorgung erhalten, die sie benötigen.“

Besondere Relevanz erlangt dies im Lichte der hohen Zahl an Fehlentscheidungen in den Asylverfahren. Im Moment erhält fast die Hälfte aller zunächst abgelehnten Asylsuchenden mit einer Klage vor Gericht Recht. Hier wird deutlich wie existentiell unabhängige, professionelle Beratungsstrukturen und Rechtsbeistand durch nicht-staatliche Akteur*innen sind. Diese Hilfestellung würde Schutzsuchenden in den ANkER-Zentren faktisch verwehrt. Auch eine Begleitung bei Asylanhörungen, wie sie gerade für psychisch belastete Asylsuchende notwendig ist, damit sie ihre Gewalterfahrungen berichten können, wird hier kaum noch stattfinden können.

Nicht zuletzt werden für zahlreiche Menschen, denen zunächst eine „schlechte Bleibeperspektive“ zugesprochen wird, die letztlich aber dennoch Schutz erhalten, wertvolle Integrations- und Stabilisierungsperspektiven verwehrt: Psychische Störungen chronifizieren, wenn Menschen in ihrer Autonomie eingeschränkt werden, wenn sie dauerhaft in Massenunterkünften und ohne Rückzugsorte leben müssen, keiner sinnvollen Beschäftigung nachgehen und sich keine Unterstützung durch die Community oder professionelle psychosoziale Behandlungsangebote suchen können.

„Gerade für traumatisierte Menschen haben weitere Kontrollverluste und die Einschränkung ihrer Selbstbestimmung in der Regel dramatische Konsequenzen. Im schlimmsten Fall manifestiert sich das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit – ein Gefühl, das in extremster Form zuvor in der traumatischen Situation der Haft, durch Unterdrückung oder durch Folter erlitten wurde. Vor allem auch der Anstieg der Suizidversuche in den Unterkünften sollte hier als deutliches Warnsignal begriffen und sehr ernst genommen werden.“, so die Vorsitzende der BAfF.

Die BAfF lehnt das Konzept der ANkER-Zentren ab. Eine bedarfsgerechte Identifizierung, Beratung und Versorgung wird unter den Bedingungen der Isolation nicht möglich sein. Insbesondere traumatisierte Flüchtlinge brauchen Zeit, einen adäquaten Zugang zu professioneller Hilfe und dürfen nicht in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung eingeschränkt werden.

Zur weiteren Aussetzung des Familiennachzugs

Für zahlreiche Klient*innen in den Psychosozialen Zentren war in den letzten Monaten die Hoffnung auf ein Wiedersehen ihrer Angehörigen einer der wenigen Stabilitätsanker. Die Einigung von Union und SPD zur weiteren Aussetzung und Begrenzung des Familiennachzugs wird diese Menschen in tiefe Verzweiflung stürzen. Vor allem unbegleitete jugendliche Klient*innen, die psychisch ohnehin stark durch die Flucht belastet sind, sind jetzt damit konfrontiert, dass sie dauerhaft ohne ihre Eltern und Geschwister erwachsen werden müssen. Der Familiennachzug zu Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen(UMF) mit subsidiärem Schutz soll dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Die Betroffenen müssen nun mit der ständigen Angst leben, dass sie ihre Familie angesichts der Gefahren in den Herkunftsländern möglicherweise nie wiedersehen werden. Union und SPD wollen verhindern, „dass Minderjährige von ihren Eltern unter Gefährdung des Kindeswohls zukünftig auf die gefährliche Reise vorgeschickt“ werden – und setzen so das Wohl und die Gesundheit derjenigen aufs Spiel, die bereits ohne ihre Eltern hier sind.

„Unsere Klient*innen haben jetzt zwei qualvolle Jahre gewartet. Die Aussicht auf ihre Familie hat sie am Leben und bei Vernunft gehalten.“, berichtet Elise Bittenbinder aus ihrer Erfahrung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. „Jetzt haben sie die Wahl: Sie können ausreisen, wenn sie ihre Angehörigen wiedersehen wollen. Unter anderem für Wehrpflichtige oder Oppositionellen ist das aber faktisch unmöglich – diese Klient*innen würden ihre Familie auch in Syrien nie wiedersehen. Für sie geht es um die Entscheidung: Will ich am Leben bleiben? Oder riskiere ich mein Leben für die winzige Chance darauf, meine Familie noch einmal wieder zu sehen? Die Konsequenzen für die psychische Stabilität dieser Klient*innen-Gruppen sind nicht abzusehen. Für sie wird es sehr schwer werden, diese Enttäuschung zu verarbeiten, an einer haltgebenden Lebensperspektive festzuhalten und sich hier ein gesundes Leben aufzubauen.“

Die BAfF fordert, dieser Zerstörung von Familien entgegenzuwirken, die Aussetzung des Familiennachzugs nicht zu verlängern und allen Schutzsuchenden das Grundrecht, als Familie zusammenzuleben, zu gewähren.

Zur Obergrenze für Kriegsflüchtlinge und Folteropfer

Unangetastet bleiben soll in den Plänen von Union und SPD nur das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – für nur subsidiär schutzberechtigte Kriegsflüchtlinge und Folteropfer, die in Deutschland Schutz vor Gewalt suchen, wird es eine – wie auch immer benannte – Obergrenze geben. Das widerspricht ihrem Recht auf Schutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und ist ein beschämendes politisches Signal auf Kosten einer der vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft.

Die BAfF fordert Union und SPD auf, ihrer humanitären Verantwortung nachzukommen. Dazu gehört, die humanitären Krisen in den Kriegs- und Krisengebieten der Welt und die Verteilungskämpfe um ein gemeinsames europäisches Asylsystem als solche anzuerkennen und politisch zu beantworten – statt sie als „Flüchtlingskrise“ auf dem Rücken der Schutzsuchenden auszutragen.

Kontakt: BAfF e.V. | info@baff-zentren.org | Tel.: 030 310 124 63 | mobil: 0160 94869893