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Welche Angebote nehmen die Klient*innen in den PSZ wahr?

Psychische Belastungen, mit denen Geflüchtete sich an die Psychosozialen Zentren wenden, manifestieren sich oft nicht allein aufgrund der Schwere der traumatischen Erfahrungen, die sie im Herkunftsland oder auf der Flucht erlebt haben, sondern auch da eine Vielzahl an Entwurzelungs- und Belastungserfahrungen hinzukommen. Der Stress der unsicheren Aufenthaltssituation, die Gefahr, dass die eigene Verfolgungsgeschichte von den Behörden nicht geglaubt wird und die Isolation und Fremdbestimmung in Massenunterkünften tragen dazu bei, dass Gefühle der Ohnmacht und des Kontrollverlusts, wie Geflüchtete sie in extremster Form durch Folter und Krieg erlebt haben, sich im Lebensalltag immer wieder wiederholen.


Sewarion B. aus Georgien

„Die Angst, dass ich vielleicht morgen oder übermorgen aus Deutschland abgeschoben werde – da gibt es keine Möglichkeit zu vergessen.

Wie schwierig es ist, die Vergangenheit zurückzulassen, wenn auch die Gegenwart keine Sicherheit und die Zukunft keine Perspektive bietet, hat uns Sewarion B. aus Georgien erzählt. Im Interview berichtet er, wie sehr sein Duldungsstatus und die jahrelange Unsicherheit der gesamten Familie psychisch zusetzt. Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt, ebenso ein Antrag bei der Härtefallkommission.

„Nach der Ablehnung unseres Antrags sieht meine Frau keine Zukunft. Nachdem wir nach Deutschland gekommen sind, hatten wir die Hoffnung, eine Ruhezeit für uns zu finden. Aber mit uns ist es so unsicher, das ist unvorstellbar. Ich weiß nicht, was morgen passieren wird.“

Das Familienleben ist durch diese nun seit sechs Jahren währende unsichere aufenthaltsrechtliche Situation sehr belastet. Der psychische Zustand seiner Frau verschlechtert sich zunehmend. Sewarion kümmert sich sehr um seine Frau und seine Kinder. Diese Aufgabe und Verantwortung hilft ihm, die vergangenen Erfahrungen zu vergessen und sich abzulenken.

„Ich fühle, dass mich jemand braucht. Ich kann vielleicht für jemanden eine Hilfe sein, das hilft mir. Ich lebe, weil ich die Verantwortung für meine Kinder habe. Das ist meine Aufgabe und das Wichtigste.“

Zugleich ist auch Sewarion durch die Restriktionen, die mit dem geduldeten Aufenthaltsstatus verbunden sind, sehr belastet. Er hat keine Möglichkeit, arbeiten zu gehen und Geld zu verdienen. Die unsichere Lebenssituation ist von wesentlicher Bedeutung für die Bewältigung seiner Erfahrungen und Erlebnisse.

 „Wenn man kann, muss man versuchen, alles zu vergessen. Aber meine Situation ist abhängig von Deutschland, alle unsere Versuche, in Deutschland einen Aufenthalt zu bekommen, sind abgelehnt und ich habe keine Hoffnung mehr. Ich versuche vielleicht alles zu vergessen, aber die Angst, dass ich vielleicht morgen oder übermorgen aus Deutschland abgeschoben werde – da gibt es keine Möglichkeit zu vergessen. Zuerst muss man sicher sein für seine Zukunft und sicher sein für seine Familie, dass nichts mehr passiert. Zeit macht alles gesund. Aber dafür muss man eine sichere Situation für sein Leben haben. Man kann nur in einer sicheren Situation vergessen.“


Die Geschichte dieser Familie zeigt, wie zentral eine Stabilisierung nach der Flucht vor allem auch von „äußerer Sicherheit“ abhängig ist. Psychotherapie ist oft notwendig, um die Folgen schwerer Gewalterlebnisse überwinden zu können. Aber die Symptome und Beschwerden, über die geflüchtete Klient*innen berichten, stehen gleichzeitig fast immer in unmittelbarer Wechselwirkung mit schwierigen äußeren Lebensbedingungen. Eine Stunde Psychotherapie pro Woche kann 7 mal 24 Stunden Lagerunterbringung mit mehreren fremden Menschen in winzigen Zimmern, eine über Jahre andauernde Angst vor Abschiebung und die Isolation von gesellschaftlicher Teilhabe oft nicht aufwiegen. Die aufenthalts- und sozialrechtlichen Bestimmungen, die das Leben von Geflüchteten strukturieren, sind kompliziert und haben sich in den letzten Jahren permanent und zum Teil in rasender Geschwindigkeit verändert. Die Versorgungsstruktur der Psychosozialen Zentren beinhaltet deshalb sowohl sozialarbeiterisch-beratende, als auch psychotherapeutische Angebote.

Insgesamt wurden im Jahr 2020 19.352 Klient*innen in den PSZ versorgt.

Der Großteil der Klient*innen wurde dabei multiprofessionell unterstützt:

• Fast drei Viertel (73,4 %) der Klientinnen erhielten (psycho-)soziale und/oder asylrechtliche Beratung und wurden persönlich durch Sozialarbeiter+innen und Psycholog*innen unterstützt;
• ungefähr ein Drittel (36,6 %) befand sich – in der Regel zusätzlich zur Beratung – in psychotherapeutischer Behandlung. Lediglich 14,1 % wurden ausschließlich psychotherapeutisch versorgt und waren nicht in anderen Teilen des multimodalen Leistungsspektrums angebunden;
• 2,2 % wurden psychiatrisch versorgt und
• 20,2 % nahmen sonstige Angebote wie beispielsweise kreative, bewegungs- und/oder bildungsorientierte Angebote wahr (n = 16.117).

Von den rund 6.000 Klient*innen, die 2020 psychotherapeutisch begleitet wurden, wurden die meisten im einzeltherapeutischen Setting behandelt (n = 39 PSZ mit 16.117 Klient*innen). Auch aufgrund der Covid-19-Pandemie
mussten viele geplante Gruppentherapien als Einzeltherapien umgesetzt werden. 4,6 % nahmen ausschließlich an Gruppentherapien teil und 6,7 % wurden sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting behandelt.

Die Grafik zeigt Werte (88,7 % Klient*innen ausschließlich in Einzeltherapie, 6,7 % Klient*innen in Einzel- und Gruppentherapie, 4,6 % Klient*innen ausschließlich in Gruppentherapie).

Eine durchschnittliche Psychotherapie dauerte 24,4 Sitzungen (n = 34 PSZ). Etwa zwei Drittel der Klient*innen in Psychotherapie befanden sich in einer Kurzzeittherapie (bis zu 24 Sitzungen) und ein Viertel in einer Langzeittherapie
mit zwischen 25 und 60 Sitzungen. Psychotherapien mit mehr als 60 Sitzungen fanden deutlich seltener statt.

Die Grafik zeigt Werte (68,8 % Klient*innen in Kurzzeittherapie (bis zu 24 Sitzungen), 24,7 % Klient*innen in Langzeittherapie (25 bis 60 Sitzungen), 6,5 % Klient*innen in Langzeittherapie (mehr als 60 Sitzungen).

Dies ist ein Auszug aus dem Versorgungsbericht 2022 „Flucht & Gewalt“.


Der Versorgungsbericht 2022 als PDF und zum Bestellen im Shop.