In der Beratung oder Therapie von Geflüchteten teilen Fachkräfte und Klient*innen häufig keine gemeinsame Sprache. Zur Verständigung zwischen Therapeut*in und Klient*in muss in diesem Fall auf ein*e Sprachmittler*in [1] zurückgegriffen werden.
In der Praxis wird jedoch häufig trotz der Sprachbarriere keine professionelle Übersetzung genutzt. Eine Befragung (Wolf & Özkan, 2012) von Behandelnden in unterschiedlichen Behandlungssettings in Niedersachsen ergab, dass es zwar einen hohen Bedarf an Übersetzung gab, jedoch nur selten Sprachmittler*innen eingesetzt wurden. So wurde insbesondere in Kliniken bei einem Anteil von 8,5 Prozent der Behandlungen die Kommunikation als schlecht bewertet und knapp 10% der Behandlungsanfragen kamen aufgrund von Verständigungsproblemen nicht zustande. Als Sprachmittler*innen wurden am häufigsten nahe Verwandte hinzugezogen, auch wenn die Behandelnden dies als problematisch beschrieben. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Finanzierung von Sprachmittlung sehr aufwendig und teilweise nicht möglich ist.
Diese Situation ist problematisch, da mangelnde oder missverständliche Kommunikation zwischen Fachkräften und Klient*innen zu Fehldiagnosen und falscher Behandlung führen kann. Nicht geschulte Sprachmittler*innen sind häufig mit der Verantwortung und den besprochenen Themen überfordert. Der Einsatz von Familienmitgliedern kann neben einer emotionalen und psychischen Überforderung der übersetzenden Person, im schlimmsten Fall eines Kindes, zu Interessens- oder Loyalitätskonflikten führen. Außerdem fehlen ungeschulten Sprachmittler*innen häufig die notwendige Sensibilität für spezifische Themen wie sexuelle Orientierung und das notwendige Fachvokabular.
Potenziale der Arbeit zu dritt
Eine weitere Person in der therapeutischen Situation bringt aber neben der sprachlichen Verständigung noch weitere Vorteile mit sich. Zum einen führt die Übersetzung zu einer Entschleunigung des therapeutischen Prozesses, sodass Therapeut*innen nachdenken und die (nonverbalen) Reaktionen der Klient*innen beobachten können. Die sprachmittelnde Person bringt eine weitere Perspektive auf die Situation ein. Klient*innen bietet sich eine weitere Person, die sie unterstützt und zu der sie eine positive Beziehung aufbauen können. Sprachmittler*innen können Sicherheit und die Möglichkeit einer positiven Identifikationsfigur bieten. Kulturelles Wissen der Sprachmittler*innen kann über die direkte Übersetzung hinaus zum gegenseitigen Verständnis der beiden Gesprächspartner*innen beitragen. Sie bringen außerdem Ressourcen und Erfahrungen mit, die für die Klient*innen hilfreich sein können, beispielsweise Erfahrungen mit Behörden in Deutschland oder ähnliches. In bestimmten Fällen und in Absprache mit der therapierenden Person können diese Erfahrungen und das Wissen in die Beratung bzw. Therapie eingebracht werden.
Finanzierung
Die Kosten für die Sprachmittlung bei einer Psychotherapie für Geflüchtete kann innerhalb der ersten 36 Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland (d. h. bei Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG) bei der zuständigen Sozialbehörde beantragt werden. Es gibt Gerichtsentscheidungen dazu, dass wenn ein Anspruch auf Psychotherapie besteht, auch die dazugehörigen Sprachmittlungskosten übernommen werden müssen. Für Personen mit besonderem Schutzbedarf ist das Ermessen der Behörden zur Bewilligung einer Psychotherapie und der Sprachmittlungskosten auf null reduziert (siehe besondere Schutzbedürftigkeit).
Nach 36 Monaten Aufenthalt in Deutschland beziehen Geflüchtete in der Regel Leistungen nach § 2 AsylbLG, welche Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen entsprechen. Auch hier können die Sprachmittlungskosten beim Sozialamt beantragt werden mit Verweis auf § 73 S. 1 SGB XII. Die Behörden haben bei der Entscheidung über den Antrag jedoch einen Ermessensspielraum.
Nach positivem Ausgang des Asylverfahrens und wenn weiterhin Sozialleistungen bezogen werden, können im Einzelfall Dolmetscher*innenleistungen gem. § 21 Abs. 6 SGB II als Mehrbedarf beim Jobcenter beantragt werden.
Trotz der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, die Leistungen von Sprachmittler*innen für die Durchführung der Psychotherapie zu beantragen, stellen in der Praxis die langen Bearbeitungszeiten der Sozialbehörden das größte Problem dar. Daher kann es notwendig sein, bei zu langen Wartezeiten Klage und eventuell einen Eilantrag bei Gericht einzureichen.
In einzelnen Bundesländern gibt es Ansätze zur staatlichen Finanzierung von Sprachmittlungskosten für Therapie und Beratung, so z. B.
BAfF-Arbeitshilfe „Finanzierung von Sprachmittlungskosten für Geflüchtete“
Die BAfF stellt Arbeitshilfen und Musteranträge zur Beantragung von Sprachmittlungskosten bzw. Klagen zur Verfügung.
Zur ARBEITSHILFE der BAfF (Stand August 2020)
MUSTERANTRAG zur ÜBERNAHME der SPRACHMITTLUNGSKOSTEN
Leitlinien Sprachmittlung
Auf der 26. Ordentlichen Mitgliederversammlung der BAfF am 7. November 2022 wurden die „Leitlinien für Beratung und Therapie mit qualifizierter Sprachmittlung“ durch die Mitgliedschaft verabschiedet. Die Leitlinien wurden gemeinsam mit den Mitgliedern, den Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folterüberlebende, erarbeitet.
Video: „Beratung und Therapie mit Geflüchteten. Arbeit mit Sprachmittlung“
Professionelle Sprachmittlung ist für die Arbeit mit Geflüchteten in Beratungsstellen, Krankenhäusern, psychotherapeutischen oder ärztlichen Praxen unerlässlich. Die Arbeit mit Sprachmittlung bringt neben der sprachlichen Verständigung auch weitere Vorteile mit sich.
Die BAfF erklärt in einem Video, welche Regeln beachtet werden müssen, damit eine Therapie zu dritt gut funktioniert.
Regeln
Damit eine Beratung oder Therapie zu dritt gut funktioniert, sind einige Regeln (Hausmann, 2020) zu beachten:
- Für Sprachmittler*innen gilt wie für Berater*innen Schweigepflicht.
- Es gibt eine klare Rollenaufteilung. Sprachmittler*innen sind für die sprachliche Vermittlung zuständig. Therapeut*innen sind für den Prozess, die emotionale Belastung aller Gesprächsteilnehmenden und die Gesprächsführung verantwortlich.
- Therapeut*innen halten den Blickkontakt zu den Klient*innen und sprechen diese direkt an.
- Die Sprachmittlung erfolgt in direkter Rede (Ich-Form) und in kurzen Abschnitten. Alles Gesprochene muss übersetzt werden, inklusive Rückfragen, die der*die Sprachmittler*in nicht selbstständig beantwortet.
- Es besteht kein Kontakt zwischen Sprachmittler*in und Klient*in außerhalb der Therapie. Eine Sprachmittlung durch Familienangehörige und Freund*innen führt zu Rollenverwirrungen und mangelnder Vertraulichkeit des Gesprächs und sollte daher vermieden werden.
- Es gibt eine Vor- und Nachbesprechung des Gesprächs von Berater*in und Sprachmittler*in.
- Regelmäßige Teilnahme an Supervisionen und Schulungen der Sprachmittler*innen zur Entlastung, Vermeidung von Rollenkonfusionen und Sekundärtraumatisierung
Wenn diese Regeln eingehalten werden, kann eine Therapie oder Beratung zu dritt für alle Teilnehmenden zufriedenstellend ablaufen und die Klient*innen besser unterstützt werden als es ohne professionelle Sprachmittlung der Fall wäre.
Quellen
Wolf, V. & Özkan, I. (2012). Dolmetschen in der Psychotherapie – Ergebnisse einer Umfrage. Psychotherapeutenjournal, 4, 325-27.
Literaturempfehlungen
BAfF e.V. Arbeitshilfe: Finanzierung von Dolmetscherleistungen bei ambulanter Psychotherapie (Stand November 2021). In der Arbeitshilfe werden die Rechtsgrundlagen zur Beantragung von Sprachmittlungskosten abhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und Aufenthaltsdauer in Deutschland aufgezeigt. Es werden praktische Hinweise zur Beantragung der Kosten gegeben, außerdem gibt es Musteranträge und Musterklagen. PDF zum Download
Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband (2020): Sprachmittlung in der Migrations- und Flüchtlingsberatung. Eine Arbeitshilfe für Fachkräfte der Migrationssozialarbeit. In der Arbeitshilfe sollen Fachkräfte der Migrationssozialarbeit für die Veränderung der Beratungssettings durch den Einsatz einer dolmetschenden Person sensibilisiert werden, um einen bewussten und sichereren Umgang mit Sprachmittlung in der Beratungspraxis zu unterstützen. pdf zum Download
Grundmann, K. (2019). Bescheid wissen. Gesund bleiben. Wirklich helfen. Psychotherapie zu Dritt. Universitätsverlag Hildesheim. Diese Broschüre ist in Kooperation mit dem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. (NTFN) entstanden. Darin wird neben grundsätzlichen Informationen zum Themenfeld Trauma und Psychotherapie auch auf Gefahren der Sekundärtraumatisierung von Sprachmittler*innen eingegangen und wie diesen vorgebeugt werden kann. Die Broschüre ist als konkrete Handreichung für Sprachmittler*innen gedacht und auch für jene geeignet, die bislang wenig Erfahrung mit dem Thema hatten. Die Broschüre kann gegen eine Spende über den NTFN e.V. bezogen werden, Kontakt: info@ntfn.de. Mehr Informationen unter https://www.ntfn.de/therapie-mit-dolmetschenden/
Loos, K. (Hrsg., aktual. Neuauflage 2015). Psychotherapie zu Dritt. Über die Arbeit mit Dolmetschern in therapeutischen Gesprächen. Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. Die Beiträge des Readers sind praxisorientiert und beziehen verschiedene Blickwinkel – sowohl die der Psychotherapeut*innen als auch der Dolmetschenden und der Klient*innen – mit ein. Neben Beiträgen und Interviews finden sich verschiedene Materialien im Anhang, darunter Musteranträge für ambulante Psychotherapie nach § 4 und § 6 AsylbLG. Es werden Fragen zu Rahmenbedingungen von Sprachmittlung in Behandlungsgesprächen, sowie zur Finanzierung von Dolmetschkosten und zur Prävention sekundärer Traumatisierungen von Sprachmittler*innen behandelt. Der Reader wird gegen eine Spende plus Versandkosten abgegeben. Bestellungen unter info@ntfn.de. Mehr Informationen unter https://www.ntfn.de/therapie-mit-dolmetschenden/
Schriefers, S. & Hadzic, E. (Hrsg.):Sprachmittlung in Psychotherapie und Beratung mit geflüchteten Menschen. Wege zur transkulturellen Verständigung. In diesem Buch stellen Praktiker*innen aus Psychosozialen Zentren in ganz Deutschland die Grundlagen der Arbeit mit Sprachmittlung in Beratung und Therapie mit Geflüchteten dar. Der Praxisleitfaden von Fachkräften für Fachkräfte enthält Hintergrundwissen und konkrete Hinweise für die alltägliche psychosoziale Praxis. Schwerpunkte liegen auf den Rahmenbedingungen der Beratung und Therapie mit Sprachmittlung, der Darstellung des Übersetzungsprozesses, Beziehungsdynamiken, Herausforderungen und auch Tabus, die sich aus der Konstellation mit Sprachmittler*innen ergeben können.
[1] Der Begriff „Sprachmittler*in“ betont die kulturelle Dimension in der Kommunikation zwischen Klient*innen und Behandler*innen. Außerdem kommen in der Praxis häufig sogenannte Laiendolmetscher*innen zum Einsatz, die keine einschlägige Ausbildung haben, sich aber durch ihre Erfahrung und persönliche Eignung auszeichnen (Hausmann, 2020).