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Aktuelles zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten

Zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland gibt es noch immer nur wenige belastbare empirische Befunde (Frank et al., 2017). Die Angaben zu Prävalenzen von Traumafolgestörungen bei Geflüchteten variieren deutlich in Abhängigkeit z. B. von der untersuchten Gruppe oder auch von den eingesetzten Erhebungsinstrumenten. Die wenigen Studien berichten aber ähnliche hohe Prävalenzen wie sie auch aus internationalen Studien zur Verbreitung psychischer Erkrankungen bei geflüchteten Personen bekannt sind (Belz, Belz, Özkan, & Graefcalliess, 2017; Georgiadou, Zbidat, Schmitt, & Erim, 2018; Kröger, Frantz, Friel, & Heinrichs, 2016; Winkler, Brandl, Bretz, Heinz, & Schouler-Ocak, 2019). Für den internationalen Kontext kommen sowohl die bislang umfangreichste Metaanalyse zur Prävalenz von Traumafolgestörungen bei Geflüchteten (Steel et al., 2009) – eine Untersuchung, die sich auf Daten von mehr als 81.000 Personen aus 40 verschiedenen Ländern bezieht – als auch der aktuellste systematische Review mit Untersuchungsdaten für über 6.000 Geflüchtete (Lindert, Ehrenstein, Wehrwein, Brähler, & Schäfer, 2018) zu Prävalenzraten von rund 30 % sowohl für die Posttraumatische Belastungsstörung als auch für depressive Erkrankungen.

Neben Forscher*innen haben sich der Thematik inzwischen aber auch Institutionen wie Krankenkassen sowie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) angenommen und Erhebungen durchgeführt, um zu gesicherten Daten zu kommen. Darunter ist auch eine aktuelle Studie (Schröder, Zok, & Faulbaum, 2018), die vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO) durchgeführt wurde.

Nicht ohne Folgen. Prävalenz und Versorgung Geflüchteter in Deutschland – aktuelle Zahlen der WidO-Studie

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) hat im Sommer 2018 eine repräsentative Erhebung zur Gesundheit von Geflüchteten durchgeführt. Die Autor*innen befragten 2.021 Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die größten Gruppen der nach Deutschland kommenden Geflüchteten in den letzten Jahren. Die Personen waren mindestens 18 Jahre alt, lebten bereits bis zu zwei Jahre in Deutschland und wohnten noch in Aufnahmeeinrichtungen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass rund drei Viertel der Schutzsuchenden (74,7 %) unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren haben und oft mehrfach traumatisiert sind. Etwa 60 % der Geflüchteten haben Krieg und 40 % Angriffe durch Militär miterlebt. Bei jeder dritten Person sind Angehörige verschleppt worden oder verschwunden. Nur 22 % der Personen berichteten in der Befragung von keinen traumatischen Erfahrungen. Bei mehr als 40 % aller Befragten dieser Studie zeigten sich Anzeichen einer depressiven Erkrankung: Mutlosigkeit, Trauer und Bedrückung (42,7 %) sowie Nervosität und Unruhe (42,9 %). Erst danach folgten körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen (36,6 %) oder Kopfschmerzen (36,4 %) wie auch Müdigkeit und Erschöpfung (31,0 %) sowie Schlafstörungen (29,4%). Im Vergleich zu Geflüchteten, die keine traumatischen Erfahrungen angegeben hatten, traten diese Beschwerden bei traumatisierten Personen doppelt so häufig auf. Auch die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands sei bei Geflüchteten im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung deutlich schlechter – obwohl Geflüchtete seltener angaben, an chronischen Krankheiten zu leiden.

Die deutlich schlechtere Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands bewerten die Autor*innen u. a. im Zusammenhang mit der schlechteren Lebenssituation in den Aufnahmeeinrichtungen durch die räumliche Enge, die belastende Lautstärke und mangelnde Privatsphäre, aber auch mit Ängsten und Sorgen angesichts der Situation in den Herkunftsstaaten. Auch der Alltag in den Unterkünften, der oft von Langeweile und fehlender sinngebender Beschäftigung geprägt ist, und die Ungewissheit über die eigene Zukunft könnten sich negativ auf den Gesundheitszustand der Geflüchteten auswirken.

Psychische Belastung von Geflüchteten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – aktuelle Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP)

Auch in der Längsschnittbefragung, die das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) gemeinsam durchführen (Brücker et al., 2019), werden Indikatoren zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland erfasst. Die Befragung ist repräsentativ – die Stichprobe wurde aus dem Ausländerzentralregister gezogen und ist die bislang umfassendste Haushaltsbefragung von Geflüchteten in Deutschland. In die Analysen, in denen auch Gesundheitsindikatoren untersucht wurden, gingen die Daten von insgesamt 2.447 Geflüchteten ein. Eine erste Kurzanalyse durch das Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des BAMF (Brücker et al., 2019) liefert Hinweise darauf, dass für Geflüchtete im Vergleich zur deutschen Bevölkerung ein höheres Risiko besteht, an Posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen zu erkranken.

Eine große Mehrheit der in der Erhebung befragten Geflüchteten (87 %) gab an, dass sie potentiell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt haben. Über die Hälfte derjenigen Personen, die darüber Auskunft geben wollten (56 %), nannten (meist zusätzlich) Schiffbruch, Gewalterfahrungen, sexuellen Missbrauch, willkürliche Gefängnisaufenthalte und ähnliche Erfahrungen. Knapp 1/3 der Befragten wollte diese Frage jedoch nicht beantworten. Die Autor*innen gehen davon aus, dass diese Gruppe überdurchschnittlich betroffen ist: Für genau diese Personen zeigte sich in den Gesundheitsindikatoren später auch ein hohes Risiko für PTBS- und depressionsbezogene Symptome.

Als Gesundheitsindikatoren wurden psychisches Wohlbefinden allgemein, Indizes für depressive Erkrankungen & Ängstlichkeit und der Grad der emotionalen Belastung – im Sinne eines Indikators für das Risiko, an einer PTBS zu erkranken – mit dem Refugee Health Screener (RHS-15) erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Geflüchteten das psychische Wohlbefinden schlechter und depres-sionsbezogene Symptome stärker waren als im Bevölkerungsdurchschnitt. Ältere Geflüchtete waren dabei stärker betroffen, einen vergleichbaren Trend in der Gesamtbevölkerung gab es nicht. Auch das Risiko, an einer PTBS zu erkranken, war in allen Altersgruppen hoch. Es lag zwischen 35 und 40 % bei jüngeren Geflüchteten, bei Frauen über 35 Jahren bei 56 % und bei Frauen über 45 Jahren sogar bei 69 %. Geflüchtete aus Afghanistan wiesen das höchste PTBS-Risiko auf (59 %), gefolgt von Menschen aus Syrien (31 % für Männer, 44 % für Frauen) und dem Irak (32 % für Männer, 37 % für Frauen). In allen Herkunftsländern lag das PTBS-Risiko über 20 % (siehe Abb. 3) – also weit höher als für den Bevölkerungsdurchschnitt zu erwarten. In Deutschland liegt die 12-Monats-Prävalenz für eine Posttraumatische Belastungsstörung in der Allgemeinbevölkerung bei 2,3 % (Jacobi et al., 2014).

Dieser Text ist zuerst erschienen im 5. Versorgungsbericht der BAfF e.V.