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Bundesregierung versagt in der Umsetzung der UN-Antifolterkonvention

PRESSEMITTEILUNG
26. Juni 2023

Zum internationalen Tag der Unterstützung von Folterüberlebenden veröffentlicht die BAfF, der Dachverband der 47 Psychosozialen Zentren für Überlebende von Folter, Flucht und Gewalt, ihren neusten Versorgungsbericht: Nur 4,1 % der Schutzsuchenden mit einem potenziellen Versorgungsbedarf werden in Deutschland durch die Psychosozialen Zentren (PSZ) versorgt. Die Leistungsträger im Gesundheits- und Sozialsystem kommen nur zu 6% für ihre Versorgungsangebote auf. Damit kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus der am 26.6.1987 in Kraft getretenen UN-Antifolterkonvention in keiner Weise nach. Die BAfF erwartet, dass sich diese untragbare Situation angesichts der gefährlicheren Fluchtwege infolge der Reformen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) weiter zuspitzt und fordert Veränderungen auf europäischer, nationaler und Länderebene.

Schutzsuchende Folterüberlebende treffen auf der Suche nach psychosozialer Unterstützung in Deutschland auf ein Versorgungssystem, das überlastet und finanziell nicht ausreichend abgesichert ist. Yukako Karato, Referentin für Versorgungsanalyse bei der BAfF, zum Status Quo:    

„Unsere Daten zeigen, dass die PSZ und ihre Kooperationspartner im Regelsystem nur 4,1% der Schutzsuchenden mit einem potenziellen Versorgungsbedarf begleiten können. Auf einen Therapieplatz in den PSZ müssen Klient*innen im Durchschnitt 7,2 Monate warten – und das, obwohl die Mitarbeiter*innen häufig bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten. Es braucht einen deutlichen Ausbau der Ressourcen, um geflüchtete Menschen angemessen zu versorgen.“

Der Versorgungsbericht der BAfF leitet aus den Daten umfassende Lösungsvorschläge ab, mit denen das Versorgungsdefizit adressiert werden kann.

Bedrohungs- und Gewalterfahrungen schutzsuchender Menschen werden infolge der GEAS-Reform weiterhin massiv zunehmen und die Anfälligkeit für psychische Belastungen deutlich ansteigen.

Dabei ist die UN-Antifolterkonvention völkerrechtlich bindend und verpflichtet Deutschland, allen Folterüberlebenden freien und unverzüglichen Zugang zu Rehabilitationsangeboten zu gewähren: Es braucht ganzheitliche Angebote, die je nach Bedarf z.B. medizinische und psychologi­sche Betreuung sowie rechtliche und soziale Beratung umfassen. Sie sind gemeinsam mit den Überlebenden an ihren Bedarfen auszurichten [1]:

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF, fordert die Bundesregierung zum Handeln auf:

„Die Versorgungssituation zeigt unübersehbar, dass die Bundesregierung bis heute – 36 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Antifolterkonvention – keiner einzigen ihrer Verpflichtungen zur Rehabilitation von Folterüberlebenden nachkommt. Sie muss dieses Versäumnis endlich ernst nehmen, sich von diskriminierenden Sondergesetzen verabschieden und das etablierte Rehabilitationsangebot der Psychosozialen Zentren bedarfsgerecht, nachhaltig und flächendeckend absichern.“

Darüber hinaus fordert die BAfF:

  1. Die Einschränkungen der Gesundheitsversorgung durch das AsylbLG müssen – zumindest im Sinne einer Gleichstellung mit gesetzlich Krankenversicherten – aufgehoben werden.
  2. Die Benachteiligungen für Überlebende mit geringen Sprachkenntnissen sind durch einen gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung auszugleichen.
  3. Das ganzheitliche, multiprofessionell organisierte Leistungsspektrum der Psychosozialen Zentren muss nachhaltig und flächendeckend durch Bund und Länder finanziert werden.
  4. Bedarfsorientierte, traumasensible und diskriminierungskritische Rehabilitationsansätze müssen in Fortbildungs- und Sensibilisierungsarbeit mit Fachkräften im Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und Behördenwesen eingebunden werden, u.a. im Rahmen der entsprechenden Ausbildungscurricula.
  5. Die Folgen der für die GEAS-Reform vorgesehenen Instrumente erzeugen schon heute massives psychisches Leid. Die Reform muss gestoppt und Vorschläge für eine menschenrechtskonforme, faktenbasierte und solidarische Asylpolitik erarbeitet werden.

FAKTENCHECK: DIE ANTIFOLTERKONVENTION IN DER VERSORGUNGSREALITÄT

Für die UN-Antifolterkonvention wird sehr genau formuliert, wie diese Rehabilitationsangebote für Folterüberlebende ausgestaltet sein müssen[2]:

Es braucht ganzheitliche Angebote, die je nach Bedarf z.B. medizinische und psychologi­sche Betreuung sowie Rechts- und Sozialdienste umfassen. Sie sind gemeinsam mit den Überlebenden an ihren Bedarfen auszurichten.

Die Realität:

  • Die Psychosozialen Zentren haben 2021 mehr als 21.700 Klient*innen ganzheitlich begleitet, davon
    • 2/3 durch (psycho-)soziale und/oder asylrechtliche Beratung
    • 1/3 in der Psychotherapie
    • 1/5 in kreativen, bewegungs- und/oder bildungsorientierten Gruppenangeboten
    • 5% in psychiatrischer Behandlung.

Sie sollten so früh wie möglich nach dem Folterereignis zur Verfügung stehen.

Die Realität:

  • Die Wartezeit auf einen Therapieplatz in den PSZ betrug im Durchschnitt 7,2 Monate.
  • Ein einheitliches, systematisches und flächendeckendes Verfahren zur frühen Identifizierung und Dokumentation von Folterfolgen existiert nicht.

Angebote für Überlebende müssen verfügbar, geeignet und diskriminierungsfrei zugänglich sein.

Die Realität:

  • Die Verfügbarkeit der Angebote in den PSZ begrenzt sich auf einen Anteil von 4,1 % der Schutzsuchenden mit einem potenziellen Versorgungsbedarf.
  • Die Zugänglichkeit des Gesundheitssystems wird für Asylsuchende und Geduldete in Deutschland seit 30 Jahren durch das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeschränkt.

Die Angebote sind durch die zuständige Regierung zu finanzieren.

Die Realität:

  • 6% der PSZ-Finanzierung konnte regulär über die theoretisch gesetzlich verantwortlichen Leistungsträger (Sozialämter, Krankenkassen und Jugendämter) abgerechnet werden,
  • 7% der Finanzierung stellte der Bund,
  • knapp 41% die Länder – in der Regel über zeitlich begrenzte Projektmittel.

Der Versorgungsbericht zum Download: https://www.baff-zentren.org/publikationen/versorgungsberichte-der-baff/

INTERVIEWS UND PRESSEANFRAGEN

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF und Yukako Karato, Referentin für Versorgungsanalysen, stehen für Interviews und Statements gerne zur Verfügung. Für Presseanfragen wenden Sie sich bitte an Jenny Baron: jenny.baron@baff-zentren.org | Tel.: +49 151 610 140 94


[1] Die Verpflichtung, Folterüberlebenden Zugang zu Rehabilitationsangeboten zu gewähren, wird in General Comment Nr. 3 zur Konvention spezifiziert.

[2] Weitere Informationen zu den Verpflichtungen durch die Konvention, der Spezifizierung im General Comment Nr. 3 sowie dem Umsetzungsstand finden sie u.a. unter: https://folterfolgen.de/folter/