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Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften.

BAfF-Recherche identifiziert Risiko- und Schutzfaktoren für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Sammelunterkünfte stellen keine sicheren Orte für Geflüchtete dar: Gerade Kinder und Jugendliche können besonders stark unter den eingeschränkten Lebensbedingungen leiden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Expertise der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) über die „Psychosozialen Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder“. Die derzeitigen Beschränkungen durch die Corona-Pandemie verstärken die Effekte: Kinder und Jugendliche dürfen nicht auf Spielplätze, es gibt kaum Rückzugsräume und psychische Symptomatiken können sich durch den zusätzlichen Stress verstärken.

Corona(schutz) in Sammelunterkünften kaum möglich

Während „Zu-Hause-Bleiben“ für viele Menschen mit dem Rückzug an einen sicheren Ort gleichzusetzen ist, sind Geflüchtete in Massenunterkünften allen Risikofaktoren ausgesetzt, die im Moment dringend vermieden werden sollen. Soziale Distanzierung, Selbstquarantäne und die Einhaltung von Hygienestandards sind durch die räumliche Enge und die fehlende Privatsphäre in den Sammelunterkünften in der Regel nicht realisierbar. In den Unterkünften herrscht große Angst vor Ansteckung und Quarantänezimmer reichen nicht aus. Viele Eltern sind verunsichert, wie sie unter diesen Bedingungen ihre Kinder schützen können:

„Das Eingesperrtsein, das gegenwärtige Maskentragen oder auch leere Supermarktregale können für Menschen mit Traumafolgestörungen Trigger sein und Retraumatisierungen auslösen, wodurch sich ihr psychischer Zustand deutlich verschlechtert. So wird u.a. berichtet, dass alleinerziehende Mütter große Angst haben, sich anzustecken und zu sterben und dadurch ihre Kinder alleine zu lassen.”

berichtet eine Mitarbeiterin eines Psychosozialen Zentrums.

Die Expertise der BAfF zu den psychosozialen Folgen des Lebens in Sammelunterkünften stellt deutlich heraus, dass gerade auch für Kinder und Jugendliche in Massenunterkünften meist schlechte räumliche Bedingungen bestehen: Sie leben mit vielen Personen auf engstem Raum mit einem dauerhaft erhöhten Lärmpegel, wodurch es schnell zu Konflikten kommen kann. Es gibt oft keine kindgerechte Tagesstruktur, keinen Raum zum Lernen und Spielen. Eine psychische Stabilisierung ist unter diesen Umständen nur schwer möglich, auch die Bildungschancen und damit ihre Zukunftsperspektiven werden durch diese Form der Unterbringung beeinträchtigt.

Vor Ort herrscht eine kinderfeindliche Umgebung. Der Schutz von Kindern ist gleich Null. Die Einrichtung befindet sich auf einem weitläufigen Gelände ohne Spielplatz. Die Räume können nicht abgeschlossen werden.”

berichtet eine Mitarbeiter*in über die Zustände in einer Sammelunterkunft.

Viele Geflüchtete leben jedoch monate- bzw. jahrelang auch mit ihren Kindern in solchen Sammelunterkünften. Diese Zentren sind meist geprägt durch Isolierung, mangelhafte Beschäftigungsmöglichkeiten und Fremdbestimmung. Geflüchtete Menschen haben oftmals massive Menschenrechtsverletzungen vor und während der Flucht erlebt, doch auch die Lebensumstände in diesen Unterkünften bringen die Menschen weiter an ihre innerlichen Grenzen. 

Die Recherche der BAfF ergab zudem, dass die Gesundheitsversorgung und die psychosoziale Versorgung in den Massenunterkünften für die meisten Einrichtungen als besorgniserregend unzureichend beschrieben wurden. Die Angst um eine Ansteckung mit dem Coronavirus verschärft die Situation zudem: Bei einem Ausbruch in einer Sammelunterkunft kann die mangelnde Gesundheitsversorgung erhebliche Folgen haben.

Forderungen der BAfF

Die BAfF stellt in der Recherche Forderungen auf, die den Rahmen für eine kind- und jugendgerechte Unterbringung ermöglichen. Zu diesen zählt, die maximale Aufenthaltsdauer in Sammelunterkünften auf ein Minimum zu reduzieren und die Empfehlung einer  dezentralen Unterbringung. Besonders Schutzbedürftige müssen frühzeitig als solche identifiziert werden und es bedarf einer grundlegenden Gesundheitsversorgung für alle Geflüchtete. Gerade traumatisierte Flüchtlinge brauchen eine niedrigschwellige, psychosoziale Beratung, die fest im Angebot in der Einrichtung verankert sein muss. Für Kinder und Jugendliche muss es kindgerechte Rückzugsräume sowohl zum Spielen, als auch zum Lernen geben. Nur unter diesen Umständen wäre es für sie möglich, kindgerecht aufzuwachsen und traumatische Erlebnisse zu verarbeiten.

Die Publikation kann hier als pdf heruntergeladen werden:

BAfF e.V.: Living in a box. Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder