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© Wolfgang Eckert / pixabay.de

Über Traumatische Erfahrungen

Traumatische Erfahrungen hinterlassen verschiedene Spuren auf individueller, zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Ebene. Einige dieser Spuren sind besser sichtbar als andere und je nach Kontext werden diese Folgen von Trauma unterschiedlich beschrieben und interpretiert. Im Folgenden werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – verschiedene Aspekte von Trauma und seinen Folgen vorgestellt und später mit dem Konzept Empowerment in Verbindung gebracht. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es bis heute eine deutliche Lücke in der Praxis und Forschung zur Verbindung von Rassismus sowie anderen Formen der Diskriminierung und Trauma gibt (Berger & Quiros, 2014; Quiros et al., 2019).


Verlust von Vertrauen und Verbindung – Veränderung von Welt- und Menschenbild

Bei menschengemachtem Trauma – also von anderen Menschen (bewusst) hergestellten traumatischen Situationen – kann es bei den Betroffenen zu einer Veränderung ihres Welt- und Menschenbilds kommen. Dies ist vor allem der Fall, wenn eine traumatische Situation länger andauert oder sich wiederholt. Wenn körperliche und psychische Gewalt, das Überschreiten von Grenzen oder das Ignorieren von Bedürfnissen erlebt wird, sich ein Mensch selbst nicht ausreichend wehren kann und keine oder nicht ausreichende Hilfe von anderen Menschen zur Verfügung steht, schwindet das Vertrauen in sich selbst und in andere. Die vorherige Annahme, dass die Welt ein sicherer, vorhersehbarer Ort ist, wird massiv in Frage gestellt, wenn sich jemand nicht selbst schützen kann und andere Menschen im Umfeld es auch nicht tun (können). In der Folge fühlt der Mensch sich in der Regel nachhaltig ausgeliefert und geht immer davon aus, dass etwas Bedrohliches passieren könnte, dass sie*er sich wieder nicht wehren oder selber helfen kann und erneut niemand eingreifen wird (Janoff-Bulman, 1989).

Diese ständige Wachsamkeit ist anstrengend. Die Gedanken drehen sich häufig um mögliche Bedrohungen, auch vermeintlich harmlose Situationen werden zum sogenannten „Trigger“ und lösen eine Reihe von Reaktionen aus: Intrusionen (Gedanken und Gefühle die sich auf die traumatische Erfahrung beziehen, drängen sich auf und können zu starken physiologischen Reaktionen führen); Flashbacks (eine besonders schwere Form der Intrusion mit allen Sinnen, es fühlt sich an wie damals und kann nur schwer vom „jetzt“ getrennt werden); Dissoziationen (die Abspaltung von Wahrnehmung, Bewusstsein und Gedächtnis, die Betroffenen wirken häufig wie weggetreten, in schweren Fällen findet auch eine Abspaltung der Identität statt). Als Folge dieser Reaktionen und mit den andauernden Gefühlen von Hilflosigkeit und Fremdbestimmung, ziehen sich die Betroffenen häufig zurück, um sich zu schützen. Sie sind eventuell schneller gekränkt, misstrauisch und resignieren schneller, weil die Möglichkeit eines verständnisvollen und vertrauenswürdigen Gegenübers so unwahrscheinlich erscheint. Nicht selten werden die eigenen Ressourcen übersehen und die Fähigkeiten anderer wiederum überschätzt (vgl. Hantke et al., 2012; Sequeira, 2015).

In dieser emotionalen Notlage, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt, entstehen starke Gefühle und unter Umständen Wut sich selbst oder auch anderen gegenüber. Zur Beruhigung greifen die Betroffenen in einigen Fällen zu Alkohol und anderen Drogen. Eine (Co-)Regulation der Emotionen (alleine oder im Kontakt) erfordert Übung auf Seiten der betroffenen Person, einen einigermaßen sicheren Rahmen und ein unterstützendes Umfeld, welches aber häufig nicht zur Verfügung steht (Baron & Flory, 2019; Kleefeldt & Meyeringh, 2017).

Wenn die Betroffenen aufgrund ihrer gesellschaftlichen oder sozialen Position, z. B. als geflüchtete Person, tatsächlich Grund zur Sorge bezüglich ihrer Perspektiven und der Intentionen ihres Umfelds haben müssen, wird dies zu einer sehr schwierig zu überwindenden Dynamik. Nicht zuletzt, wenn nicht nur die eigene Selbsteinschätzung unter Umständen negativ ist, sondern auch das Umfeld aufgrund von rassistischen Annahmen über Geflüchtete bestimmte negative Verhaltensweisen oder Charakteristika projiziert. Das passiert zum Beispiel, wenn von einem jungen geflüchteten Menschen in der Schule weniger erwartet wird oder bei einer Auseinandersetzung sofort davon ausgegangen wird, dass die geflüchtete Person aggressiv agiert hat. Um sich in von Diskriminierung geprägten Kontexten von traumatischen Gewalterfahrungen zu erholen, bedarf es dann nicht nur der Arbeit der Betroffenen an ihrem Selbstwert, sondern einer solidarischen, also kollektiven Korrektur dieser verletzenden Annahmen, damit die betroffene Person berechtigterweise ihrsein Welt- und Menschenbild wieder positiv verändern kann (siehe auch Sequeira, 2015; Stauffer, 2015).

Des Weiteren muss beachtet werden, dass im Diskurs über Selbstwert und Gewalterfahrungen unter anderem rassistische Stereotype reproduziert werden können, wenn pauschalisierend davon ausgegangen wird, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrungen einen geringen Selbstwert und psychologische Probleme haben, und nicht etwa (auch) besonders viele Ressourcen, einen adaptiven Umgang etc. (vgl. Thomas & Sillen, 1972).

Schuld, Scham und Selbstbild – Den traumatischen Erfahrungen Bedeutung geben

„Wenn Opfer nach traumatischen Ereignissen ihr eigenes Verhalten reflektieren und beurteilen, entstehen praktisch immer Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle. Die ‚Schuld des Überlebenden‘, so stellt Robert Jay Lifton fest, kennen alle, die Krieg, Naturkatastrophen oder einen Atomangriff überlebt haben. Eine Vergewaltigung hat im Wesentlichen die gleiche Wirkung: Das Opfer, nicht der Täter, fühlt sich schuldig. Schuld kann als Versuch verstanden werden, doch noch eine sinnvolle Lehre aus dem grauenhaften Geschehen zu ziehen und zumindest teilweise Macht und Kontrolle zurückzugewinnen. Die Vorstellung, man hätte es besser machen können, ist unter Umständen leichter erträglich, als sich der Tatsache absoluter Ohnmacht zu stellen.“

Judith Herman: Die Narben der Gewalt: Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, 2018, S. 65

Wie Judith Herman hier eindringlich beschreibt, entwickeln Betroffene als Reaktion auf menschengemachtes Trauma in sehr vielen Fällen Schuld- und Schamgefühle. Zum einen scheint dies, wie beschrieben, eine Art des Selbstschutzes darzustellen. Das Gefühl der Kontrolle über das, was mit uns passiert, ist höher, wenn es vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten folgt. Das heißt also zum Beispiel, dass es Gründe für die erfahrene Gewalt geben muss (Herman, 2018). Wenn wir die Gründe für Gewalt in unserem eigenen Verhalten suchen, entgehen wir damit der vielleicht schwerwiegenderen Einsicht, dass Gewalt zum Beispiel mit struktureller Diskriminierung(Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen), Homo/Bi/Transphobie und Hass auf viele weitere selbst oder fremd zugeschriebene Zugehörigkeiten), mit Kriegsstrategien, mit persönlichen Problematiken der Täter*innen, oder einer Mischung aller dieser Aspekte zu tun hat. Es wurde in einigen Fällen bekannt, dass sich beispielsweise politisch Verfolgte, die ihrer Verfolgung und Folter eine Sinnhaftigkeit (den politischen Widerstand) zugesprochen haben, ihre Erfahrungen besser verarbeiten konnten (Brunner, 2015).

Der Mensch muss also sein Selbstbild, die Interpretation dessen, wer sie*er ist und wie diese Person mit dem Rest der Welt interagiert, nach einer traumatischen Erfahrung anpassen. Wenn die gewaltvollen Erlebnisse bereits in jungem Alter stattfinden, verläuft diese Anpassung verwoben mit wichtigen Entwicklungsaufgaben und kann daher noch tiefgreifendere Effekte auf das Selbstbild haben.

Wenn Menschen Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind, internalisieren, also verinnerlichen sie die expliziten und impliziten Aussagen über ihren eigenen Selbstwert (und den von anderen Menschen in einer ähnlichen Position). Denn die Entwicklung als auch die Veränderung unseres Selbstbildes verläuft notwendigerweise unter Einbezug unseres Umfeldes und dem was andere Menschen uns spiegeln (vgl. Sequeira, 2015; Stauffer, 2015). Wenn Überlebende von Trauma also Schuld- und Schamgefühle entwickeln, ihr Selbstwertgefühl beschädigt wird oder sie aber Sinnhaftigkeit in ihrer Erfahrung finden, hängt das immer auch davon ab, was Täter*innen oder ihr Umfeld ihnen implizit oder explizit kommunizieren. José Brunner erklärt dazu:

„Wann ich absolute Hilflosigkeit erlebe und wie ich sie verarbeiten kann, hängt davon ab, unter welchen Machtverhältnissen ich lebe, wie ich sozial positioniert und vernetzt bin und ob und wie ich dadurch unter Umständen aufgefangen werden kann. Zugleich hängt es auch davon ab, welche sinnstiftenden Erzählungen mir für das geschehene zur Verfügung stehen, ob mein Leiden von mir Nahestehenden, eventuell aber auch von Tätern und Täterinnen anerkannt wird, und ob ich mich zumindest im Nachhinein irgendwie sicher und geschützt fühle – oder ob all diese stützenden Momente eben nicht gegeben sind.“

José Brunner: Trauma und gesellschaftlicher Kontext. Betreuung und Belastung. Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung von Überlebenden der Shoah, 2015, S. 8–9

Es ist in diesem Sinne also nicht verwunderlich, dass sich Menschen zunächst als minderwertig wahrnehmen oder als hätten sie keine körperliche und psychische Unversehrtheit verdient, wenn sie dementsprechend behandelt werden. Ebenso können Menschen nur dann positive Selbstbilder und Identitäten als Antwort auf traumatische Erfahrungen annehmen, wenn diese zur Verfügung stehen. Dies kann durch eine entsprechende community oder Gemeinschaft, die die traumatische Erfahrung anerkennt und einordnet, massiv erleichtert werden. Es wird deutlich, dass eine (ehemals) von Gewalt und Diskriminierung betroffene Person nicht völlig autonom an ihren*seinen Schuld- und Schamgefühlen arbeiten kann. Es bedarf der gemeinschaftlichen Auseinandersetzung – nicht, weil die Person Hilfe benötigt, sondern weil das ihr*ihm widerfahrene Unrecht und die damit verbundenen Verletzungen ebenfalls gemeinschaftlich und gesellschaftlich gedacht werden müssen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in der Publikation „Trauma, Empowerment und Solidarität“ der BAfF e.V.