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Gesundheitsversorgung für Geflüchtete: Die Realität in der Praxis

Pressemitteilung, 29.09.2023

Die am 28.09.2023 von Friedrich Merz ausgelöste Debatte um die Gesundheitsversorgung von Schutzsuchenden fußt auf Argumenten, die durch die Migrationsforschung seit vielen Jahren widerlegt sind. Doch auch die menschenrechtswidrigen Einschränkungen im AsylbLG, die die Innenministerin als vermeintliches Gegenargument ins Feld führt, blenden die Datenlage aus der Versorgungsforschung und die Realität in der Praxis aus.  

Es ist hinreichend bekannt, dass der für Asylsuchende eingeschränkte Zugang zur Gesundheitsversorgung in den ersten 18 Monaten nicht nur krank macht, sondern ökonomisch sinnlos und teurer ist, als es ein geregelter Zugang zum Gesundheitssystem wäre. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürfen Gesundheitsleistungen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.  

Das AsylbLG schränkt dieses zur Existenzsicherung nötige Mindestmaß menschenrechts- und verfassungswidrig ein. Das gefährdet die Gesundheit und das Kindeswohl einer ohnehin besonders vulnerablen Personengruppe und verursacht langfristig höhere Gesundheits-, Verwaltungs- und Integrationskosten. Aber es hält niemanden davon ab, in Deutschland Schutz zu suchen. Länder, in denen der Zugang zur Gesundheitsversorgung nicht eingeschränkt wird, sind nicht attraktiver als Deutschland (Lancet Correspondence: Bozorgmehr & Razum, 2016).

Die Realität in der Praxis 

„In den Psychosozialen Zentren kommen täglich massiv psychisch belastete Geflüchtete an, die durch die Einschränkungen im AsylbLG keine Chance haben, im Gesundheitssystem versorgt zu werden. Viele von ihnen haben einen monate- oder jahrelangen erfolglosen Kampf hinter sich – im Versuch, ihre schweren auch körperlichen Folterfolgen behandeln zu lassen. Unsere ärztlichen Kolleg*innen verzweifeln genauso wie wir an den diskriminierenden Sonderregelungen für Geflüchtete, die die Innenministerin nun als vermeintliches Argument gegen den Rechtspopulismus ins Feld führt. Niemand setzt sein Leben aufs Spiel, um in Deutschland zum Zahnarzt zu gehen im Gegenteil: Ärzt*innenbesuche sind nach Folter, sexualisierter Gewalt und anderen demütigenden Gewalterfahrungen für die meisten unserer Klient*innen so scham- und angstbesetzt, dass sie lange dazu ermutigt werden müssen, sich ihnen überhaupt zu stellen. In der Praxis werden selbst falsch verheilte Knochenbrüche und massive körperliche Funktionseinschränkungen nicht oder viel zu spät behandelt. Doch die Symptome unserer Klient*innen verschwinden nicht, weil die Politik sie nicht sehen will. Sie spitzen sich zu – in vielen Fällen irgendwann so stark, dass stationäre Behandlungen notwendig werden.“ 

Jenny Baron | Diplom-Psychologin, Referentin für Grundsatzfragen

Aus der Versorgungsforschung ist lange bekannt: Ein geregelter Zugang zum Gesundheitssystem käme uns allen zugute. Diskriminierung kostet uns alle mehr als sie zu sparen vorgibt.

Das weiß auch die Bundesregierung. Deshalb hat sie sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, das diskriminierende Sondergesetz verfassungskonform zu reformieren:  

„Wir werden das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln. Wir wollen den Zugang für Asylbewerberinnen und Asylbewerber zur Gesundheitsversorgung unbürokratischer gestalten.“  

Es ist jetzt an der Zeit, genau das umsetzen, statt sich erneut dem Rechtsruck zu beugen und auf dem Rücken der Schwächsten die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. 

Was es jetzt braucht: 

Die unklare Rechtslage der reduzierten Gesundheitsleistungen im AsylbLG und der hohe bürokratische Aufwand durch die Leistungserbringer verzögern oder verhindern die Versorgung zu Lasten der Betroffenen. Sozialbehörden machen in der Bewilligung von Gesundheitsleistungen restriktiv von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch, Behandlungsscheine werden nicht ausgestellt und Anträge, z. B. auf Kostenübernahmen für Psychotherapien, rechtswidrig abgelehnt. Für die leistungspflichtigen Kommunen entsteht durch das Sondersystem erheblicher zusätzlicher administrativer und finanzieller Aufwand. Ein vereinfachter Zugang zum Gesundheitssystem baut Hürden ab, ohne Kosten zu steigern. Es gibt keine Hinweise auf eine übermäßige Inanspruchnahme der medizinischen Infrastruktur, während gleichzeitig Abrechnungsprozesse für Leistungserbringer erleichtert werden.   

Regelungsbedarfe  

Die Aufhebung der Leistungseinschränkungen für Geflüchtete aus der Ukraine zeigt, dass eine andere Richtung möglich ist: Sie muss für alle Schutzsuchenden gelten – dafür spricht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb muss angelehnt an die Regelungen für den Rechtskreiswechsel für vorübergehend schutzberechtigte Geflüchtete aus der Ukraine im Asylbewerberleistungsgesetz ein Anspruch auf Leistungen nach SGB II oder SGB XII und damit der Zugang zum Leistungskatalog der GKV geregelt werden.  


Presseanfragen: Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF, und Jenny Baron, Referentin für Grundsatzfragen, stehen Ihnen für Interviews und Hintergrundgespräche gern zur Verfügung.
Bitte kontaktieren Sie uns dafür unter +49 151 610 140 94 oder jenny.baron@baff-zentren.org.