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Koalitionsvertrag: Aufbruch zu einer menschenwürdigen Versorgung geflüchteter Überlebender, die Umsetzung bleibt aber unklar

Viele der Forderungen, die wir als Bundesverband der Psychosozialen Zentren für Überlebende von Folter, Krieg und Verfolgung formuliert haben, finden sich im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wieder. Andere Forderungen fehlen oder sind bislang zu ungenau.

  • Verstetigung der psychosozialen Hilfe für geflüchtete Menschen

„Wir halten es für erforderlich, die psychosoziale Hilfe für geflüchtete Menschen zu verstetigen.“

Wir begrüßen es, dass die Koalitionäre dieses wichtige Thema aufgriffen haben, jedoch bleibt die Formulierung zu wage. Die momentan mangelnde Finanzierung der Psychosozialen Zentren führt dazu, dass nur 5% der behandlungsbedürftigen Überlebenden psychosoziale Unterstützung finden. Hier braucht es eine strukturelle Neuaufstellung, die sich vor allem an der Aufstockung der finanziellen Mittel für die Psychosozialen Zentren und einen Ausbau flächendeckender Versorgung orientiert.

  • Gesetzlicher Anspruch auf die Übernahme von Dolmetscher*innen-Kosten: Sprachmittlung soll Bestandteil des SGB V werden.

„Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen wird im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V.“

Dies ist ein wichtiges Signal und würde zur Qualitätssicherung und Professionalisierung der notwendigen Übersetzungsleistungen im therapeutischen Kontext beitragen. Die psychosoziale Behandlung schwertraumatisierter Menschen sehen wir dabei als „notwendige medizinische Behandlung“ an, wie es im Koalitionsvertrag steht – unabhängig vom Asylstatus der geflüchteten Überlebenden. Bleibt zu hoffen, dass die Koalitionäre das genauso sehen.

  • Vulnerable Gruppen sollen besser identifiziert und unterstützt werden.

„Vulnerable Gruppen wollen wir von Anfang an identifizieren und besonders unterstützen.“

Bislang fehlt es an einem bundeseinheitlichen Konzept zur Identifizierung und bedarfsgerechten Versorgung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter, darunter Traumatisierte, ältere Menschen, LGBTIQ*, Frauen und Kinder. Wichtig wäre die Einbindung kompetenter Berufsgruppen und eine von Beginn an rechtsfeste Dokumentation von Schutzbedürftigkeit. Die derzeitige Praxis von Behörden oder Gerichten macht die Einbeziehung psychotherapeutischer Expertise seit den Asylrechtsverschärfungen praktisch unmöglich und erschwert die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichem Engagement.

Andere Forderungen werden im Koalitionsvertrag bislang nicht berücksichtigt oder bleiben zu unkonkret. In einem breiten Bündnis aller Wohlfahrtsverbände, von Fachverbänden und Menschenrechtsorganisationen haben wir in einem Appell eine Neuaufstellung der medizinischen Versorgung Geflüchteter gefordert.

  • Unabhängig vom Aufenthaltsstatus sollten allen der Leistungsanspruch der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden.

Hier bleibt der Koalitionsvertrag zu undeutlich. Es wird lediglich die Weiterentwicklung des Asylbewerberleistungsgesetzes angestrebt und der Zugang zur Gesundheitsversorgung soll unbürokratischer gestaltet werden. Diskriminierung im Gesundheitssystem muss beendet und das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden. Mindestens bedarf es geringerer Hürden beim Zugang zur Gesundheitsversorgung durch die flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete von Anfang an.

  • Schwere Erkrankungen werden nicht ausreichend im Asyl- und Aufenthaltsverfahren berücksichtigt, es kommt zu Abschiebungen trotz Krankheit.

Zum einen verbleibt vielen Betroffenen keine Zeit zur Beibringung von ärztlichen und therapeutischen Attesten bei der Asylanhörung. Zum anderen ist den Betroffenen durch die überhöhten Anforderungen in unzumutbarer Weise die Beweislast für das Vorliegen ihrer Erkrankung auferlegt. Zudem wird die psychologisch psychotherapeutische Begutachtung in der Praxis durch Behörden und Gerichte ausgeschlossen. Hierdurch wurden circa zwei Drittel der Fachkräfte ausgeschlossen, die Stellungnahmen ausstellen könnten. Für den Ausschluss der Expertise psychologischer Psychotherapeut*innen besteht kein sachlicher Grund.

Die Richtung stimmt, jetzt kommt es darauf an, was daraus gemacht wird. SPD, Grüne und FDP untermauern ihr Bekenntnis zur humanitären Verantwortung für geflüchtete Überlebende von Folter, Krieg und Verfolgung. Das lässt uns hoffen, dass die neue Bundesregierung den Schutz und die Versorgung geflüchteter Menschen und die Rehabilitation für Opfer von Folter ernst nimmt.

Elise Bittenbinder, Vorsitzende der BAfF

Gesundheit ist ein Menschenrecht. Die Versorgung erkrankter und traumatisierter Geflüchteter in Deutschland muss oben auf der Agenda der neuen Bundesregierung stehen. Es ist unbegreiflich, wie ein so reiches Land bislang so wenige Kapazitäten für dieses Grundrecht bereitstellt. Wir als Bundesverband und als Psychosoziale Zentren in Deutschland begleiten diesen Prozess in Richtung realer und sinnvoller Verbesserung der Hilfe für Überlebende an der Schnittstelle zwischen Asyl-, Gesundheits- und Menschenrechtspolitik gerne, aber kritisch.

Lukas Welz, Geschäftsführender Leiter der BAfF