Die Bedarfe von geflüchteten Menschen und Überlebenden schwerer Gewalt, Krieg und Verfolgung sind vielschichtig und häufig nicht von einer Berufsgruppe allein abzudecken. In den Psychosozialen Zentren werden Klient*innen deshalb durch ein niedrigschwelliges, multiprofessionell organisiertes Leistungsspektrum unterstützt – umgesetzt durch divers zusammengesetzte Teams aus sozialarbeiterischen, rechtlichen, (psycho)therapeutischen, ärztlichen und weiteren Fachkräften.
Die Klient*innen der Psychosozialen Zentren
Die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer versorgten im Jahr 2020 insgesamt 19.352 Klient*innen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Rückgang von 25,5 %, was sich u.a. durch die Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie erklären lässt und die Tatsache, dass viele offene Angebote zeitweise eingestellt werden mussten. Nichtsdestotrotz konnten 8.376 neue Klient*innen aufgenommen werden (n = 40 PSZ). 43,2 % der Klient*innen weiblich, 55,8 % männlich, 0,7 % nicht-binär und 0,3 % haben zu ihrem Geschlecht keine Angabe gemacht.
Zu den Klientinnen der PSZ gehören häufig Personen mit besonderen (Schutz-) Bedarfen, die beispielsweise durch Erfahrungen mit Folter, Menschenhandel und/ oder Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität entstanden sind. Diese Klientinnen benötigen spezialisierte Unterstützung durch Fachkräfte, die in der Lage sind, die besonderen Bedarfe zu erkennen und zu adressieren. Den vorliegenden Daten zufolge waren 2020 18,9 % der Klientinnen Überlebende von Folter, 5,0 % Personen, die sich als LSBTIQ identifizieren und 2,8 % von Menschenhandel Betroffene (n = 16.117).
Der Großteil der Klient*innen wurde multiprofessionell unterstützt:
• Fast drei Viertel (73,4 %) der Klientinnen erhielten (psycho-)soziale und/oder asylrechtliche Beratung und wurden persönlich durch Sozialarbeiter+innen und Psycholog*innen unterstützt;
• ungefähr ein Drittel (36,6 %) befand sich – in der Regel zusätzlich zur Beratung – in psychotherapeutischer Behandlung. Lediglich 14,1 % wurden ausschließlich psychotherapeutisch versorgt und waren nicht in anderen Teilen des multimodalen Leistungsspektrums angebunden;
• 2,2 % wurden psychiatrisch versorgt und
• 20,2 % nahmen sonstige Angebote wie beispielsweise kreative, bewegungs- und/oder bildungsorientierte Angebote wahr (n = 16.117).
Aufenthaltsstatus
Ein Großteil der Klientinnen der PSZ hat einen prekären Aufenthaltsstatus, d.h. sie warten auf das Ergebnis eines Asylverfahrens oder besitzen lediglich eine Duldung mit der Unsicherheit, jederzeit abgeschoben werden zu können. Die PSZ nehmen prioritär Personen mit einem prekären Aufenthaltsstatus auf, da diese einen stark eingeschränkten Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung haben. Auch 2020 verfügten fast zwei Drittel (65,5 %) der Klientinnen lediglich über eine Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder befanden sich in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität. Nur ca. ein Viertel (27,9 %) besaß einen relativ sicheren Aufenthaltsstatus, d.h. eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis. Im Vergleich hierzu hatten drei Viertel (75,3 %) aller geflüchteten Menschen in Deutschland einen relativ sicheren Aufenthaltsstatus.
Hauptherkunftsländer
Im Jahr 2020 stammten die Klient*innen der PSZ aus über 100 verschiedenen Ländern. Die zehn häufigsten Herkunftsländer waren: Afghanistan, Syrien, die Russische Föderation, Iran, Irak, Nigeria, Guinea, die Türkei, Somalia und Eritrea. 6,3 % kamen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.
Sprachmittlung
Zum interdisziplinären Leistungsangebot der PSZ gehört die enge Zusammenarbeit mit Sprachmittler*innen, damit eine Versorgung von Menschen ohne oder mit geringen Deutschkenntnisse/n überhaupt stattfinden kann. 2020 fanden mehr als die Hälfte aller Beratungen/Therapien in den PSZ mit Sprachmittlung statt.
Klient*innen in Psychotherapie
Von den rund 6.000 Klient*innen, die 2020 psychotherapeutisch begleitet wurden, wurden die meisten im einzeltherapeutischen Setting behandelt (n = 39 PSZ mit 16.117 Klientinnen). Auch aufgrund der Covid-19-Pandemie mussten viele geplante Gruppentherapien als Einzeltherapien umgesetzt werden. 4,6 % nahmen ausschließlich an Gruppentherapien teil und 6,7 % wurden sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting behandelt.
Ungedeckter Versorgungsbedarf
Ginge man gemäß der Studienlage zu psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten davon aus, dass bei rund 30 % der in Deutschland lebenden geflüchteten Menschen ein Behandlungsbedarf abgeklärt werden[3] und bei Bedarf eine Versorgung erfolgen müsste, konnten die Psychosozialen Zentren und ihre Kooperationspartner 2020 nur 4,6 % des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken und mussten fast 10.000 Personen ablehnen.
Der ungedeckte Versorgungsbedarf ergibt sich wie folgt:
- 1.856.785 geflüchtete Menschen in Deutschland 2020,
- 557.036 geflüchtete Menschen mit Traumafolgestörung (bei 30 % Prävalenz),
- 19.352 Klient*innen in den PSZ,
- 6.113 Vermittlungen an weitere Akteur*innen.
Wartezeit
2020 betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz in einem PSZ 6,7 Monate (n = 39 PSZ mit 16.117 Klient*innen). Damit war sie höher als unter Patientinnen in der gesundheitlichen Regelversorgung (5,5 Monate, Deutsches Ärzteblatt, 2021). Hinzukommt, dass viele PSZ keine Wartelisten führen, weil sie auch dafür keine ausreichenden Ressourcen haben.
Auszug aus „Flucht & Gewalt. Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2022“ (Link zum PDF)