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#Kürzungspolitik: Folgen für die PSZ vor Ort

Menschen, die Bombenangriffe in der Ukraine, Inhaftierungen im Iran, Folter, sexualisierte Gewalt und Unterdrückung in den zahlreichen Diktaturen dieser Welt überlebt haben, werden die Folgen dieser Extremerfahrungen ein Leben lang begleiten. Die Bundesregierung will inmitten einer der größten Menschenrechtskrisen unserer Zeit die Finanzierung der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten um fast 60 Prozent kürzen.

Wir zeigen hier und in den sozialen Medien, was es für traumatisierte Geflüchtete vor Ort bedeuten würde, wenn die Finanzierung des Bundes ab 2024 wegbricht.

Welche Folgen drohen traumatisierten Geflüchteten vor Ort?

Die Psychosozialen Zentren äußern sich gerade bundesweit dazu, welche Konsequenzen sie für ihre Bundesländer erwarten. Wir geben hier zunächst unseren Kolleg*innen aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg das Wort.

Demnächst folgen Eindrücke aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Rheinland-Pfalz.

Die Versorgungssituation in Hessen

Unter den hessischen Psychosozialen Zentren für Geflüchtete befinden sich mit dem Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie am Weißen Stein und dem Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil (FATRA) zwei der bundesweit ältesten PSZ. Seit 1979 bzw. 1993 engagieren sie sich mit ihren Versorgungsangeboten dafür, dass Überlebende schwerer Gewalt therapeutische und psychosoziale Unterstützung bekommen. Das Psychosoziale Zentrum FATRA ist zugleich Vorreiter in der Vermittlung von Geflüchteten an niedergelassene Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen: Die Kolleg*innen wissen also seit vielen Jahren, wie gering der Anteil ist, dem sie einen Platz in der Regelversorgung organisieren können – und dass ein großer Teil der Klient*innen gleichzeitig an das PSZ angebunden bleiben muss oder auch erst nach vielen Jahren wieder hier Hilfe sucht.

Den Kolleg*innen vor Ort würden im nächsten Jahr durch die Kürzungen vollkommen unerwartet 80.000 Euro fehlen – im Interview mit der Frankfurter Rundschau erklären sie, was dies für die Zukunft bedeuten würde. Die fachliche Leitung des Zentrums, Jenny Schellberg, fasst für uns zusammen, wie sich diese unvorhersehbare, prekäre Situation auf die klinische Arbeit ihres Teams auswirken würde:

„Das Spannungsfeld in dem wir seit Jahrzehnten als Psychosoziales Zentrum arbeiten, das auf öffentliche Mittel angewiesen ist, spitzt sich weiter zu. Wenn wir die Zeit und Energie, die es kostet, immer wieder um den Erhalt unserer Stellen zu kämpfen, in die Behandlung von Geflüchteten investieren könnten, wäre einiges gewonnen. Die Kürzungspläne treten das Recht der Geflüchteten auf eine angemessene Behandlung, in der es um eine Anerkennung ihrer Traumata und deren Auswirkungen auf ihr aktuelles Leben geht, mit Füßen. Sie widersprechen all unseren humanitären Werten.“

Dipl.-Psychologin Jenny Schellberg, Fachliche Leitung | FATRA

Besonders hart träfen weitere Kürzungen Kinder und ihre Familien – und das, obwohl gerade ihnen und allen weiteren besonders vulnerablen Gruppen nach europäischem Recht (u. a. durch die EU-Aufnahmerichtlinie) adäquate Unterstützungsangebote gewährt werden müssen:

 „Geflüchtete Familien haben das Recht, in schweren Zeiten therapeutisch begleitet zu werden. Aktuell melden sich sehr viele Familien bei uns an: Sie kommen auf die Warteliste – und brauchen viel Hoffnung, um die lange Wartezeit zu überstehen. Durch die Kürzungen hätten Tausende betroffene Familien in Deutschland noch geringere Chancen, irgendwann einmal versorgt zu werden. Die psychische Belastung der Eltern und des gesamten Familiensystems wird sich zuspitzen – und die Leidtragenden sind vor allem Kinder.“

Gabriela García-Pérez, Psychologin & Migrationswissenschaftlerin | FATRA

„Kinder, Frauen und Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt erlitten haben, wie z. B. Überlebende von Menschenhandel oder Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien, sollten nicht alleine gelassen werden. Sie sind besonders schutzbedürftig – auch nach europäischem Recht. Eine Mittelkürzung wäre für sie bei ohnehin schon zu knapper Versorgungsstruktur fatal.“

Alice Stadler, Fachberaterin für Psychotraumatologie | FATRA

Hält die Bundesregierung an ihren Kürzungsplänen fest, dann bleiben zahlreiche Menschen unversorgt und es sind schwere gesundheitliche und soziale Folgen zu erwarten, prognostiziert der Koordinator der Einrichtung:

„Die Bundesregierung handelt hier unverantwortlich und lässt die Menschen im Stich, die besonders hilfs- und schutzbedürftig sind. Mit der derzeitigen Finanzierung ist die Versorgungslage schon prekär.

Die Ausmaße weiterer Einsparungen in Form von z. B. unbehandelten lebensbedrohlichen Krisen, zunehmender Isolation und Chronifizierungen von psychischen Leiden lassen sich nicht beziffern.“

Thomas Brandt, Koordinator | FATRA

Die Psychiaterin und Vorsitzende des Zentrum fasst zusammen, dass auch wir alle als Gesellschaft von der psychosozialen Unterstützung Schutzsuchender profitieren – und betont, wie essenziell es ist, jetzt zumindest die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ressourcen in diesen Bereich zu investieren:

„Die Psychosozialen Zentren unterstützen Geflüchtete, die unter den seelischen Verletzungen von Krieg, Folter und Verfolgung leiden. Sie setzen sich in jedem Einzelfall für die Durchsetzung ihrer Rechte ein. Sie tragen zur Teilhabe der Geflüchteten in unserer Gesellschaft bei und zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit unserer menschenrechtlichen Verantwortung. Hier zu sparen, heißt essenziell notwendige Investitionen für unser aller Zukunft zu verhindern.“

Dr. med. Barbara Wolff, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Vorstand FATRA Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil und im Vorstand der BAfF

Die Versorgungsituation in Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen gibt es ein Netzwerk aus insgesamt 16 kleineren und größeren Psychosozialen Zentren, die sich dafür einsetzen, dass Überlebende von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland neue Lebensperspektiven entwickeln können – die von der Bunderepublik geplanten Kürzungen unterminieren diese Arbeit – mit fatalen, nicht nur gesundheitlichen Konsequenzen, so das Team von Refugio Münster:

„Ein sicherer Ort – wie die PSZ für geflüchtete Menschen – ist eine unbedingt notwendige Voraussetzung für neue Lebensperspektiven. Kürzungen bei den PSZ führen zu einer Verschiebung in andere gesellschaftliche Systeme, die nicht ausreichend auf die Bedarfe Geflüchteter vorbereitet sind. Psychische Erkrankungen werden chronifizieren und es wird künftig noch mehr Krisen und Akutfälle geben.

das Team der Psychosozialen Flüchtlingshilfe von Refugio Münster

Auch in Bochum würde eine Kürzung der Bundesmittel zum Abbruch vieler Therapien führen, so die Kolleg*innen vor Ort, Sabrina Hackmann und Sara Hamuda, die in der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum vor allem Folterüberlebende begleiten:

„Die sowieso prekäre Versorgung von Folterüberlebenden, die in Deutschland ohne PSZ realistisch gesehen kaum die Möglichkeiten haben, psychotherapeutisch versorgt zu werden, halte ich für grob fahrlässig und menschenunwürdig. Die Regierung würde damit nicht nur ihren eigenen Ankündigungen widersprechen, sondern sich auch ganz klar gegen ein solidarisches Miteinander aussprechen und die jahrelange Arbeit vieler Kolleg*innen aberkennen.

Sabrina Hackmann, Klinische Psychologin, Psychologische Beratung & Therapie | Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

„Im Vordergrund der Arbeit mit Folterüberlebenden stehen Menschenrechtsverletzungen, die sich durch ökonomische, gesellschaftliche Strukturen und politische Entscheidungen verschärfen. Die Bundesregierung trägt die Hauptverantwortung, Arbeitsbedingungen für Fachkräfte zu schaffen, um das psychosoziale Wohlbefinden der Überlebenden zu gewährleisten. Dafür ist eine Aufstockung der Mittel für die Psychosozialen Zentren notwendig, keine Kürzung!“

Sara Hamouda, Psychologin | Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

Ihre Kolleginen Sarah Steden und Nadiia Khmeliuk wissen vor allem aus der Arbeit mit Kindern, wie wichtig zeitnahe psychotherapeutische Unterstützung ist:

„Geflüchtete traumatisierte Kinder brauchen dringend zeitnahe psychotherapeutische Unterstützung. Ohne Behandlung drohen anhaltender emotionaler Stress und chronifizierte psychische Erkrankungen. Die prekäre Versorgungslage darf nicht verschlimmert werden – Kürzungen in Psychosozialen Zentren gefährden die Zukunft der Kinder!“

Sarah Steden, Psychologische Psychotherapeutin | Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

„Heute erfahren Kinder mitten in Europa Erlebnisse, von denen man nie gedacht hätte, dass sie im 21. Jahrhundert stattfinden: Ihre Mütter wurden vor ihren Augen von russischen Militärs vergewaltigt und getötet, Tausende Familien wurden getrennt und haben die Hoffnung verloren, sich lebend wiederzusehen. Verletzte Kinder müssen mit drei Jahren wieder laufen lernen – nun aber mit Prothesen

Die Unterstützung der Arbeit von Psychosozialen Zentren, die Flüchtlingen, Überlebenden von Folter, Krieg und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen helfen, ist daher ein unabdingbares Zeichen der Solidarität in einer demokratischen Gesellschaft. In einer Gesellschaft, in der jeder Mensch nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit haben soll, eine angemessene psychosoziale Versorgung zu erhalten.“

Nadiia Khmeliuk, Psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete aus der Ukraine | Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum  

Eike Leidgens sieht seit vielen Jahren, dass außerhalb der Psychosozialen Zentren keine Anlaufstellen für traumatisierte Geflüchtete existieren und mahnt, die Verpflichtungen im Koalitionsvertrag einzuhalten:

„Jede Woche müssen wir aufgrund unserer begrenzten Kapazitäten entscheiden, wen wir aufnehmen können und wen nicht. In dem Wissen, dass viele derjenigen, die wir nicht aufnehmen, keine andere Versorgung finden werden. Und dadurch in absehbarer Zeit nicht gesund werden, nicht ohne Angst und Trauer leben können, die deutsche Sprache nicht lernen und an der Gesellschaft nicht teilhaben können. Diese knappen Kapazitäten entgegen der Ankündigungen des Koalitionsvertrages noch weiter zu reduzieren, ist absolut unverantwortlich.“

Eike Leidgens, Dipl.-Psychologe, Psychologische Beratung | Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

Die gleichen Prognosen zeigen sich für die Versorgungssituation in Düsseldorf, wo die Kolleg*innen sich ebenso seit Jahren mit steigenden Anfragen konfrontiert sehen, ohne diesem Bedarf mit ihren Kapazitäten nachkommen zu können:

„Im PSZ behandle ich besonders vulnerable Geflüchtete wie Folterüberlebende, queere Personen und Minderjährige, die Sicherheit und Perspektiven brauchen, um heilen zu können. Wenn nun noch die geplanten Einschränkungen durch die Bundesregierung durchgesetzt werden, finden selbst diejenigen, welche die Flucht überstehen, keinen ausreichenden Schutz und Behandlung.“

Carina Heyde, Psychologische Psychotherapeutin | PSZ Düsseldorf

„Im PSZ beraten und behandeln wir Geflüchtete, die schwere Gewalt und Menschenrechtsverletzungen überlebt haben. Nur diejenigen, die keinen anderen Behandlungsplatz finden, nehmen wir auf und können doch nur einen Bruchteil der anfragenden Geflüchteten versorgen! Aktuell steigt die Anzahl der Menschen auf der Flucht weltweit an, die Unterkünfte sind überfüllt, die Regelversorgung überlastet. Die geplanten Kürzungen für die spezialisierten PSZ zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten eine katastrophale Verschlechterung der Versorgungslage die bereits jetzt völlig unzureichend ist.

Eva van Keuk, Psychotherapeutische Leitung | PSZ Düsseldorf

Die Versorgungssituation in Brandenburg

In einigen Regionen versorgen die Teams der PSZ das gesamte Bundesland, zum Beispiel unsere Kolleg*innen aus Brandenburg. Die Finanzierung des PSZ setzt sich hier aus verschiedenen Projekten vom Bund, dem Land und der EU zusammen: Ausnahmslos allen genehmigten Geldern liegt die Begründung einer mangelnden psychosozialen Regelversorgung in der Region zugrunde.

„Wir leisten Grundversorgung, damit Menschen überhaupt in der Lage sind, an der Gesellschaft teilzuhaben. Unsere Angebote sind niedrigschwellig, regional und werden auf der Muttersprache oder mit Sprachmittlung geführt. Wir schließen Lücken im strukturschwachen Bundesland Brandenburg und bauen, sofern möglich, Brücken in die Regelversorgung.“

Johanna Kinzel Zukova, KommMit | PSZ Brandenburg

Die PSZ sind in Brandenburg die entscheidende Anlaufstelle für die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten. Die schon jetzt prekären Bedingungen in der Versorgung von Schutzsuchenden würden durch Kürzungen nur noch verschärft:

„Die Kürzung der Mittel macht die psychosoziale Versorgung geflüchteter Menschen im Land Brandenburg unmöglich. Dadurch verwehrt die Bundesregierung den schutzsuchenden Menschen aktiv das Recht auf ein sicheres Leben.“

Kathrin Le und Sören Schröder, KommMit | PSZ Brandenburg

Die tägliche Arbeit, bei der kontinuierliche Begleitung und Planungssicherheit notwendig sind, würde durch die Kürzungen zusätzlich erschwert:

Wir treten regelmäßig und verlässlich mit geflüchteten Menschen in Kontakt. Wir ermitteln die Bedarfe in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Wir begleiten Menschen mit Traumata, Verlusterfahrungen und Zukunftsängsten sozialarbeiterisch, psychologisch und psychotherapeutisch. Dadurch werden langfristige gesundheitliche und soziale Schäden vermieden oder minimiert. Gerade Kinder brauchen diese Unterstützung, damit ihre Entwicklung und auch ihre Gesundheit nicht nachhaltig beeinträchtigt werden.

Irena Petzoldova, KommMit | PSZ Brandenburg

Zu ihnen in die Beratung kommen Menschen, die in ihrem Heimatland, auf der Flucht und bei der Ankunft in Deutschland wiederholt Menschenrechtsverletzungen erlebt haben und erleben. Häufig haben sie multiple Traumatisierung erlebt.

„In einem vertraulichen Rahmen über solche Erfahrungen zu sprechen und spezialisierte Beratungsangebote oder die Anbindung an soziale und gesellschaftliche Angebote zu bekommen, ist meiner Ansicht nach das Mindeste, was diesen Menschen zustehen muss.

Laura Rissel, KommMit | PSZ Brandenburg

Es folgen Eindrücke aus Niedersachsen, Schleswig Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Rheinland-Pfalz.

Wir berichten hier und auf Social Media:

Was braucht es jetzt?

  • Eine frühzeitige, zuverlässige psychosoziale und therapeutische Versorgung für Schutzsuchende durch Einrichtungen mit Fachwissen und Erfahrung.
  • Eine finanzielle Absicherung der psychosozialen Zentren und ihrer Fachkräfte wie es der Koalitionsvertrag vorsieht.