Berlin, 2.1.2023
Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen
Pressemitteilung der BAfF zum gemeinsamen Statement von 62 Organisationen
Viele Geflüchtete erhalten in Deutschland seit fast 30 Jahren Leistungen, die unter dem menschenwürdigen Existenzminimum liegen und haben nur eingeschränkt Zugang zum Gesundheitssystem. Daran ändert auch das neue Bürgergeld nichts, das seit gestern die Hartz-IV-Leistungen ersetzt. Die BAfF als Dachverband der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer hat zusammen mit PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Berlin einen von 62 Organisationen unterzeichneten Appell initiiert, der die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und gleiche Rechte auf Sozialleistungen für alle in Deutschland lebenden Menschen fordert.
Seit 1993 gilt für asylsuchende und geduldete Menschen mit dem Asylbewerberleistungsgesetz ein diskriminierendes Sonderrecht unterhalb des sozialrechtlichen Existenzminimums. Das betrifft auch die Gesundheitsversorgung, die durch das AsylbLG anders als bei gesetzlich krankenversicherten Personen nach wie vor auf akute und schmerzhafte Erkrankungen beschränkt wird. Psychisch erkrankten oder traumatisierten Personen werden deshalb in der Praxis nur äußerst selten die Behandlungen gewährt, die nötig wären, damit die Betroffenen sich hier in Deutschland ein neues Leben aufbauen können.
Die Psychosozialen Zentren für geflüchtete Überlebende von Folter, Krieg und Verfolgung kompensieren diese Ausschlüsse aus dem Gesundheitssystem seit mehreren Jahrzehnten durch Angebote unabhängig vom Aufenthalts- oder Versicherungsstatus der hilfesuchenden Menschen. Aber die Behandlungsplätze in den Zentren sind extrem begrenzt und werden in den seltensten Fällen durch die eigentlich verantwortlichen Leistungsträger finanziert. Die Menschenwürde kennt nicht zweierlei Maß.
Lukas Welz, Geschäftsleiter des Dachverbands BAfF zur Versorgungssituation in den 47 spezialisierten Einrichtungen
Diese Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetztes dienen vor allem der Abschreckung und widersprechen damit dem Grundsatz der Gleichbehandlung: Ein autonomes und selbstbestimmtes Leben ist mit den niedrigen Geldbeträgen, durch die Versorgung nach dem Sachleistungsprinzip und den Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung nicht möglich – und soll Menschen auf der Suche nach Sicherheit, Schutz und neuen Perspektiven zur Ausreise bewegen.
Bereits vor zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht dieser migrationspolitisch motivierten Relativierung der Menschenwürde eine deutliche Absage erteilt und in einer wegweisenden Entscheidung dafür gesorgt, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zumindest vorübergehend annähernd dem Hartz-IV-Niveau entsprachen. Doch die Einschränkungen der Gesundheitsversorgung bestehen nach wie vor. Der Anwendungszeitraum wurde durch die große Koalition sogar auf die ersten 18 Monate nach Einreise ausgeweitet.
Die Bundesregierung will das Asylbewerberleistungsgesetz nun zwar laut Koalitionsvertrag von 2021 „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ überarbeiten.
Doch das reicht nicht aus. Letztlich bleibt es beim doppelten Standard. Es ist Zeit für eine Neuregelung, die allen Menschen, die in Deutschland leben, ein menschenwürdiges Existenzminimum und gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährt.
Lukas Welz an die für die Überarbeitung zuständigen Verantwortlichen
Die Forderungen der 62 Organisationen:
Es kann nicht zweierlei Maß für die Menschenwürde geben. Wir fordern das gleiche Recht auf Sozialleistungen für alle in Deutschland lebenden Menschen, ohne diskriminierende Unterschiede. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden. Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem einbezogen werden. Dies erfordert insbesondere folgende Änderungen:
- Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Einbeziehung Geflüchteter ins Bürgergeld bzw. die Sozialhilfe (SGB II/XII). Auf migrationspolitisch motivierte Kürzungen und Sanktionen ist gemäß dem Urteil des BVerfG aus 2012 ausnahmslos zu verzichten.
- Einbeziehung aller Geflüchteten in die Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsinstrumente des SGB II.
- Einbeziehung geflüchteter Menschen in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (SGB V/XI). Dabei muss sichergestellt sein, dass auch Menschen ohne Papiere jederzeit ohne Angst vor Abschiebung Zugang zum Gesundheitssystem haben. Insbesondere muss ein Anspruch auf Sprachmittlung bei Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen verankert werden.
- Von Krankheit, Traumatisierung, Behinderung, Pflegebedürftigkeit Betroffene sowie schwangere, alleinerziehende und ältere Menschen und geflüchtete Kinder müssen – entsprechend ihrem Recht aus der EU-Aufnahmerichtlinie – einen Anspruch auf alle aufgrund ihrer besonderen Situation erforderlichen zusätzlichen Leistungen erhalten (insbesondere nach SGB IX, SGB VIII u.a.).
- Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sind als Geldleistungen auszugestalten.
Das gemeinsame Statement als pdf
Kontakt:
Lukas Welz steht für Interviews und Statements gerne zur Verfügung. Wenden Sie sich dafür bitte an Jenny Baron (jenny.baron@baff-zentren.org oder Telefon +49 (0) 30 – 31012463).