Close

Erster Bund-Länder-Dialog „Psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete“

Die BAfF hat letzte Woche den ersten Bund-Länder-Dialog zur psychosozialen Versorgung von Geflüchteten initiiert. Die Schirmherrschaft für dieses neue Veranstaltungsformat übernahm in diesem Jahr das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz – und damit eines derjenigen Bundesländer, die sich sowohl für die inzwischen sechs Psychosozialen Zentren (PSZ) für Geflüchtete als auch für die Interkulturelle Öffnung des Gesundheitswesens einsetzen.

Als Dachverband der 48 Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Überlebende von Folter haben wir diese Veranstaltung genutzt, um mit Bund und Ländern über strukturelle Herausforderungen im Aufnahme- und Versorgungssystem ins Gespräch zu gehen: Wir haben Impulse zur Verortung unserer multiprofessionellen Unterstützungsangebote zwischen Regel- und Spezialversorgung gesetzt, Modelle guter Praxis in der systematischen Identifizierung besonderer Schutzbedarfe vorgestellt und auf Grundlage gesundheitswissenschaftlicher Analysen diskutiert, wie die das „Versorgungsmodell PSZ“ künftig strukturell verankert werden kann.

Wie können geflüchtete Menschen mit besonderen Schutzbedarfen systematisch identifiziert werden?

„Geflüchtete Menschen haben einen Anspruch darauf, dass ihre Schutzbedarfe in Bezug auf Gewaltschutz, Sozialleistungen und gesundheitliche Versorgung frühzeitig in den Erstaufnahmeeinrichtungen identifiziert werden. Häufig liegt die Umsetzung von Identifizierungsmaßnahmen aber im Ermessen der Mitarbeitenden der Aufnahmeeinrichtungen.“

Lisa vom Felde, Referentin für besondere Schutzbedarfe und psychosoziale Versorgung

Anhand unserer Erfahrungen im Projekt „BeSafe“ haben wir vorgestellt, wie Bund und Länder, behördliche und nichtstaatliche Akteur*innen zusammenarbeiten können, damit vulnerable Geflüchtete frühzeitig und systematisch erkannt und auch von Mehrfachdiskriminierung Betroffene angemessen versorgt werden können. Was es dafür braucht, sind verbindliche Zuständigkeiten und ein intersektionales Verständnis von Schutzbedürftigkeit, das mit sensibler Sprachmittlung und kontinuierlicher Qualifizierung aller Fachkräfte in den Einrichtungen einhergeht. 

„Geflüchtete Menschen müssen im besten Fall drei bis 14 Tage nach ihrer Ankunft über ihre Rechte zur psychosozialen Versorgung aufgeklärt werden – mit qualifizierten Sprachmittler*innen. Angehörige oder gar Security-Mitarbeiter sind in keinem Fall zum Dolmetschen sensibler Inhalte zu verpflichten.“

Alva Träbert, Referent*in für besondere Schutzbedarfe & Advocacy

Wie ist qualitativ hochwertige Sprachmittlung zu gewährleisten?

Ein Aspekt, den zahlreiche Teilnehmende sowohl im Kontext der Aufnahme- als auch der Versorgungsstrukturen beschäftigte, war die Frage, wie geflüchtete Menschen angemessen versorgt werden können, solange es keine strukturellen Lösungen zur Finanzierung von Sprachmittlung gibt. Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag angekündigt, Sprachmittlung im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung im SGB V zu verankern. Von Seiten des Bundes wurde auf der Veranstaltung bestätigt, dass noch in dieser Legislatur eine gesetzliche Regelung zu erwarten sei:

„Wir sind dran. Wir haben eine Abfrage bei den Ländern durchgeführt, mit welchen Systemen sie arbeiten. Die Sprachmittlung wird in einem der nächsten Versorgungsgesetze geregelt werden“.

Sandra Baumeister, Referatsleiterin Z 24 – Migration und Integration, Bundesministerium für Gesundheit (BMG)

Aus Sicht der BAfF wurde diese Perspektive nachdrücklich begrüßt – unter der Voraussetzung, dass auch für den großen Teil derjenigen Geflüchteten, die (noch) keinen Anspruch auf Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben, eine bedarfsgerechte Regelung gefunden werde.

Welche Potentiale gibt es zur strukturellen Verankerung des Versorgungsmodells „Psychosoziales Zentrum“?

Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz für traumatisierte Geflüchtete betragen in den PSZ im Durchschnitt mehr als sieben Monate, so zeigen es die Versorgungsdaten, die Yukako Karato jährlich für die BAfF erhebt.

„Wäre die Finanzierungslage dieser Versorgungsstruktur weniger prekär, könnten deutschlandweit deutlich mehr Geflüchtete unterstützt werden.“

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF

Ergänzt wurde diese Einschätzung aus der Versorgungspraxis erstmals durch eine Analyse aus der Versorgungsforschung: Prof. Dr. Thomas Gerlinger und Leyla Polat, Versorgungsforscher*innen an der Universität Bielefeld präsentierten erste Ergebnisse zu Leistungen, Finanzierung und ökonomischem Nutzen der Psychosozialen Zentren. Ihre Schlussfolgerung:

„Für eine bedarfsgerechte und verlässliche Struktur braucht es eine bundeseinheitliche Gesetzgebung zur Finanzierung der PSZ. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es ökonomisch rational, die Kosten aus Steuermitteln zu finanzieren.“

Prof. Dr. Thomas Gerlinger, Professor für Gesundheitswissenschaft an der Universität Bielefeld

Einen ausführlichen Einblick in die Veranstaltung gibt auch ein Bericht des Ärzteblatts.