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Berliner Erinnerung

Humanität verpflichtetErklärung der Psychosozialen Zentren für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht

Mehr als 84 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, so viele Menschen wie nie zuvor. Überlebende von Krieg, Folter und Flucht haben ein Recht auf Schutz, rechtlich bindend ist dies für Deutschland seit nunmehr 70 Jahren. Mit Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention stehen geflüchteten Menschen universelle Rechte im Asyl zu. Die Konvention war eine Antwort auf das Scheitern während der NS-Verfolgung, als Menschen, die vor den Verbrechen des NS-Regimes aus Deutschland fliehen wollten, kein Schutz und keine Hilfe geboten wurde.

Deutschland hat eine historische und humanitäre Verantwortung für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht. Im Rahmen internationaler Verpflichtungen und nationaler Gesetze hat sich Deutschland dazu verpflichtet, für die Gesundheit von schutzsuchenden Menschen Sorge zu tragen und Überlebenden von Folter ebenso medizinische und psychologische wie rechtliche und soziale Unterstützung zur Verfügung zu stellen.

Das deutsche Asylsystem bietet Geflüchteten aber nicht jenen Schutz und jene Versorgung, zu denen sich das Land selbst verpflichtet hat.Noch immer erhalten Geflüchtete in Deutschland nur unzureichenden Zugang zu psychosozialer Unterstützung. Schwere Erkrankungen und Traumata werden nicht ausreichend im Asylverfahren berücksichtigt, vielen Betroffenen droht Abschiebung trotz schwerer Krankheit und besonderer Schutzbedürftigkeit.

Als Psychosoziale Zentren für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht bilden wir die zentrale Säule in der Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland. Seit 25 Jahren bündelt die BAfF diese Kompetenzen als Bundesverband. Unser Wirken wird begleitet von Solidarität, aber auch gesellschaftlicher Abwehr gegenüber den Menschen, für die wir uns einsetzen. Wir beobachten mit Sorge und Fassungslosigkeit, wie die EU sich immer weiter abschottet und Menschen ihr Recht auf Asyl verwehrt. Es braucht einen respektvollen Umgang mit Geflüchteten.

Wir erwarten von der künftigen Bundesregierung, humanitäre Maßstäbe und nationale und internationale Verpflichtungen zum Schutz und zur Versorgung geflüchteter Menschen ernst zu nehmen, ihre Gesetzgebung davon leiten zu lassen und deren Umsetzung zu forcieren.

Wir fordern:

  • Ein Aufnahmeprogramm für Geflüchtete, die in Belarus und Polen unter unmenschlichen Bedingungen harren – wir müssen diese Menschen aufnehmen, um diese humanitäre Katastrophe zu beenden.
  • Die Asylrechtsänderungen durch das Asylpaket II und das Geordnete-Rückkehr-Gesetz müssen rückgängig gemacht werden, um den vollen Schutz und gleiche Rechte für alle Menschen in Deutschland einzuhalten und die kaum erfüllbaren Anforderungen an Atteste zurückzunehmen.

Geflüchtete Menschen haben bislang keinen Anspruch auf Sprachmittlung, die sie bei der Behandlung durch Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen unterstützen. Das führt oft zu Missverständnissen oder sogar Fehl- oder Nichtbehandlungen, die mitunter lebensgefährlich werden können.

  • Es braucht einen gesetzlich verankerten Anspruch auf professionelle Sprachmittlung in der Arbeit mit Geflüchteten.

Um besonders schutzbedürftige Menschen zu identifizieren und zu versorgen, fehlt ein bundeseinheitliches Konzept. Erkrankte und schwer traumatisierte Menschen müssen den für ihre Genesung notwendigen Schutz erhalten.

  • Die Identifizierung und Versorgung besonders schutzbedürftiger geflüchteter Menschen muss im Rahmen eines bedarfsgerechten, bundeseinheitlichen Konzeptes, das der EU-Aufnahmerichtlinie entspricht, gewährleistet werden.

Asyl ist kein Gefallen, sondern ein Menschenrecht. Dazu zählt auch, als Konsequenz aus 20 Jahren Afghanistan-Einsatz Verantwortung zu übernehmen und sich für sichere Fluchtwege und Aufnahmeprogramme einzusetzen. Zwei Jahrzehnte lang wurden Menschen dazu ermutigt, sich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in Afghanistan einzusetzen. Afghanistan ist nicht sicher und wird es unter einer Herrschaft der Taliban nicht werden.

  • Bedrohten Afghan*innen muss unbürokratisch geholfen werden.

Unsere Solidarität gilt allen Menschen in Afghanistan und den afghanischen Klient*innen und Mitarbeitenden in den psychosozialen Zentren, die Angst um ihre Angehörigen vor Ort haben und sich um die Zukunft des Landes ernsthaft sorgen.

Humanität leitet die freiheitliche demokratische Grundordnung Deutschlands auch aus historischer Verantwortung. Es braucht politische Entschlossenheit, diesen Verpflichtungen gerecht zu werden und den Umgang mit Geflüchteten neu zu denken: für eine menschenwürdige Behandlung mit Überlebenden von Krieg, Verfolgung und Folter.

Berlin, 18. November 2021
Mitgezeichnet von den 47 Mitgliedszentren der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF)


Hier finden Sie die „Berliner Erinnerung“ auch als PDF.