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Videodokumentation: „30 Jahre AsylbLG“

Das Jahr 2023 droht für geflüchtete Menschen mit den massivsten Entrechtungen zu Ende zu gehen, die seit dem Asylkompromiss vor 30 Jahren politisch umgesetzt wurden. Die Einschränkungen des schon heute verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) sollen geflüchtete Menschen künftig bis zu 3 Jahre im Zugang zum Menschenrecht auf Gesundheit behindern. Als von 48 Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Überlebende von Folter getragene Versorgungsstruktur haben wir Expert*innen aus Wissenschaft, Verwaltung und Gesundheitsversorgung gefragt:

  • Gibt es 30 Jahre nach dem Asylkompromiss noch belastbare Argumente, die FÜR dieses Gesetz sprechen? 
  • Vor welchen Herausforderungen steht unsere Gesellschaft tatsächlich?
  • Was muss eine faktenbasierte Migrationspolitik leisten?

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte veröffentlicht die BAfF gemeinsam mit „Ärzte der Welt“ und der „Amadeu Antonio Stiftung“ eine Videodokumentation zu den Folgen des Sondergesetzes. Sie zeigt auf, wie gesetzlich festgeschriebene Ungleichbehandlung und rassistische Gewalt in der Lebensrealität geflüchteter Menschen ineinandergreifen – zu einem Preis, den sowohl das Gesundheitssystem als auch die Gesellschaft als Ganzes zahlen müssen.

Dr. Nora Dalia Gottlieb, Versorgungsforscherin an der Universität Bielefeld, fasst die Datenlage wie folgt zusammen:

„Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht spricht nichts FÜR das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistungseinschränkungen haben negative Auswirkungen auf die Geflüchteten selbst, auf die Leistungserbringenden und auf das Gesundheitssystem.“ 

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Das Sondersystem des AsylbLG sorgt dafür, dass geflüchtete Menschen nicht den gleichen Rechtsanspruch auf ärztliche und psychotherapeutische Behandlungen haben wie Menschen, die in Deutschland gesetzlich krankenversichert sind:

Das Asylbewerberleistungsgesetz ist ein Gesetz gegen die Menschenwürde. Es beschneidet die Lebensbedingungen von Schutzsuchenden auf ein Niveau deutlich unterhalb der regulären Sozialleistungen, durch die Unterbringung in Sammelunterkünften, die Sachleistungen statt Geld und einen stark eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem.“, so Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF.   

Doch das Gesetz verursacht nicht nur enormes menschliches Leid – es produziert zugleich unnötigen bürokratischen Aufwand und hohe Handlungsunsicherheit in den Sozialbehörden, die (anders als die Krankenkassen) oft ohne die notwendige medizinische Ausbildung – über die Bewilligung von Arztbesuchen oder Psychotherapien entscheiden müssen:

„Die Verantwortung, die man hier auf Mitarbeitende der Verwaltung überträgt, ist eine sehr hohe Verantwortung und die Weitergabe einer Pflicht, die Mitarbeitende eigentlich gar nicht übernehmen können“

sagt Michael Hilbold aus der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung auf der Podiumsdiskussion zur Veranstaltung. Er spricht aus der Perspektive eines der wenigen Bundesländer, die sich freiwillig dafür entschieden haben, allen Geflüchteten unbürokratisch Zugang zu einer elektronischen Gesundheitskarte (eGk) zu gewähren.

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Auch zahlreiche Kommunen haben in den letzten Jahren bewiesen, dass Inklusion die bessere Systemantwort ist. Aktuell wird trotzdem ausschließlich darüber diskutiert, wie Anreize für eine Flucht nach Deutschland über möglichst menschenunwürdige Lebensbedingungen minimiert werden können.

Alle Fakten sprechen dafür, dass diese migrationspolitische Intention weder zielführend noch legitim ist:

„Es gibt rote Linien, die unsere Verfassung vorgibt: Es darf keine Grundrechte erster und zweiter Klasse geben. Wir müssen hier endlich über reale Probleme sprechen: Darüber, wie wir unser Gesundheitssystem für alle verbessern. Wir dürfen nicht zulassen, dass davon mit einer Scheindebatte abgelenkt wird. Wir alle haben ein Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, auf angemessenen Wohnraum und darauf, dass unsere Kinder eine angemessene Bildung erhalten. Mit all diesen Rechten geht es in Deutschland gerade bergab.“

konstatiert Sarah Lincoln, Rechtsanwältin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Alva Träbert, Referent*in für besondere Schutzbedarfe bei der BAfF, spitzt diese Einschätzung zu:

„Gesundheit an sich ist einer der Grundsteine menschenwürdigen Lebens und ein Menschenrecht. Aber darüber hinaus wird in der aktuellen Asyl- und Migrationsdebatte nicht weniger verhandelt als die Würde unserer Mitmenschen – und die Art und Weise, wie wir in der Migrationsgesellschaft zusammenleben wollen, die wir längst sind.“ 

Dr. Patrice Poutrus forscht seit Jahrzehnten dazu, wie das Asylrecht sich in Deutschland von der Nachkriegszeit über die Grundgesetzänderung von 1993 bis in die Gegenwart entwickelt hat. Auch er sieht aktuell mehr denn je, wie in der deutschen Asylrechtdebatte grundlegende Fragen der politisch-moralischen Orientierung unserer Gesellschaft verhandelt werden (zur Keynote von Patrice Poutrus):

„Am Ende ist es eine Auseinandersetzung darum, in welchem Land wir leben wollen. Wollen wir, dass Kälte und Härte im Umgang mit Außenstehenden das Klima bestimmen? Oder Menschenwürde und Solidarität?“

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Als Dachverband einer von 48 Behandlungseinrichtungen getragenen Versorgungsstruktur fordern wir die Bundesregierung auf, ihre Asyl- und Integrationspolitik endlich datengestützt, menschenrechtskonform und zukunftsfähig auszurichten. 


Videodokumentation „30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz“:

  • Highlights: 30 Jahre Asylkompromiss: „In welchem Land wollen wir leben?“ https://www.youtube.com/watch?v=sdZzqamXNrQ
  • Keynote: Dr. Patrice Poutrus: „Woher kommt die Ungleichbehandlung per Gesetz?“ https://www.youtube.com/watch?v=wfCBg6UVltw
  • Paneldiskussion „30 Jahre AsylbLG: Wohin führt die Ungleichbehandlung per Gesetz?“ https://www.youtube.com/watch?v=cTc1MTOolRk
    • Sarah Lincoln, Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF)
    • Dr. Nora Gottlieb, Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften / Arbeitsgruppe Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung
    • Imam-Jonas Dogesch, Sozialarbeiter, Landesintegrationsbeirat Mecklenburg-Vorpommern, Sprecher des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992
    • Michael Hilbold, Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Berlin

Pressekontakt:

Jenny Baron | Dipl.-Psych. | Referentin für Grundsatzfragen & Advocacy | BAfF e.V.
Tel.: +49 151 610 140 94 | E-Mail: jenny.baron@baff-zentren.org