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Die Menschenwürde wird migrationspolitisch relativiert

Die Würde des Menschen... ( Foto von Dontworry CC BY-SA 3.0 )
Die Würde des Menschen… ( Foto von Dontworry CC BY-SA 3.0 )

Die TeilnehmerInnen der 20. Jahrestagung der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) wenden sich mit aller Schärfe gegen die migrationspolitischen Entwicklungen und Gesetzesänderungen des vergangenen Jahres. Auch mit dem neuen Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht[1] zeigt sich wiederholt, dass die Politik mit ihrer Gesetzgebung den Leitsatz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 konsequent missachtet: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar“. Dies zeigt sich beispielhaft an folgenden aktuellen Entwicklungen:

  • Schwerer Zugang in die EU: Mit „Schließung“ der Balkanroute und dem „Türkei-Deal“ ist der Zugang zu Schutz in Europa de facto nur noch sehr begrenzt und nur unter Lebensgefahr möglich. Allein in diesem Jahr sind bereits fast 4.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Sichere und legale Fluchtrouten in die EU sind beinahe nicht vorhanden.
  • Aufnahmeregelungen innerhalb der EU: Das geplante Dublin IV-Verfahren wird die Aufnahmeregelungen für Flüchtlinge erneut beschränken. Für diejenigen Flüchtlinge, die es noch nach Deutschland schaffen, wird der Zugang zu einem regulären Asylverfahren massiv erschwert.
  • Keine Verfahrensgarantien für besonders Schutzbedürftige: Anstatt die EU-Aufnahmerichtlinie und die Verfahrensrichtlinie umzusetzen und die besondere Schutzbedürftigkeit zu berücksichtigen, werden in den neuen Gesetzen wie auch dem Asylpaket II insbesondere den vulnerablen Geflüchteten weder die Zeit, noch der Raum gegeben, um ein faires Asylverfahren durchzuführen.[2] Hierauf wurde von der BAfF und weiteren Fachverbänden hingewiesen und eine besondere Berücksichtigung von vulnerablen Geflüchteten eingefordert.
  • Klassifizierung von Flüchtlingen nach „Bleibeperspektive“: Die politisch eingeführte Klassifizierung durch die Festlegung auf Fluchtweg (Dublin-Regelung) und Herkunft lässt es kaum noch zu, dass das individuelle Menschenrecht auf Asyl umgesetzt wird. Die Flüchtlinge werden eingeteilt nach ihrer angenommenen „Bleibeperspektive“ mit dem Ergebnis, dass ein Teil von ihnen einen schlechteren Zugang zu einem fairen Asylverfahren, medizinischer Versorgung, Unterbringung und Integration hat. Dies führt zu einer systematischen Ausgrenzung bestimmter Flüchtlingsgruppen.
  • Gefahr der Abschiebung von kranken und traumatisierten Geflüchteten: Die Berücksichtigung von Traumatisierung und psychischen Störungen im Asyl- und Aufenthaltsverfahren wird zunehmend erschwert: So dürfen nach §60a AufenthG psychologische und psychotherapeutische Gutachten trotz fachlicher Kompetenz nicht berücksichtigt werden. Diese restriktiven Regelungen werden zunehmend regelwidrig und ohne Gesetzesgrundlage auf das Asylverfahren angewandt. Zum Teil sind die Fristen so verkürzt worden, dass eine Diagnosestellung kaum möglich ist und Traumatisierung und erlittene Gewalt müssen zu einem Zeitpunkt geltend gemacht werden, an dem dies für die Geflüchteten nur selten möglich ist.
  • Einschränkung der UN-Kinderrechtskonvention: Es zeigt sich, dass die ohnehin bisher defizitäre Umsetzung der UN-KRK weiterhin beschnitten wird durch die Einteilung der Jugendhilfe in ein Zweiklassensystem, die enorme Begrenzung des Familiennachzuges und die mit dem aktuellen Kommissionsentwurf zur Dublin-IV-Verordnung geplante Möglichkeit, auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den EU-Staat abschieben zu können, der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Diese Art der Politik und die ergriffenen Maßnahmen führen zu einer Polarisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft. Die enorme Hilfsbereitschaft und Unterstützung für Geflüchtete, die wir in den letzten zwölf Monaten gesehen haben, wird dadurch entwertet. Indem ganze Gruppen von Geflüchteten unter Generalverdacht gestellt werden, werden Ängste geschürt und einer rechtspopulistischen und rassistischen Stimmung in der Gesellschaft Vorschub geleistet.

Immer restriktivere Aufenthaltsregelungen und Abschiebemaßnahmen werden dazu führen, dass ein wesentlicher Teil der Flüchtlinge untertauchen wird, da eine Rückkehr keine Alternative für sie ist. Als Papierlose haben sie in unserer Gesellschaft kaum noch Zugang zu Versorgungsstrukturen, legalen Arbeitsmöglichkeiten und Integration. Diese Ausgrenzung wird zu Ausbeutung und Verelendung führen.

Menschen, die Folter und Menschenrechtsverletzungen erlebt haben, haben ein Anrecht auf unsere Solidarität und konkrete Hilfen. Besorgt beobachten wir die Art der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die den Schutz von besonders Schutzbedürftigen und unsere Arbeit in erheblichem Maße erschwert.

Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen hier nicht wieder zu Opfern von struktureller Gewalt werden.

 

Die Resolution wurde auf der BAfF-Jahrestagung in Jena am 08.11.2016 von den TeilnehmerInnen verfasst und beschlossen. Die Resolution als pdf

 

[hr]

[1] Der Gesetzentwurf wurde von ProAsyl veröffentlicht: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/161007-GEzur-besseren-Durchsetzung-der-Ausreisepflicht_Ressortabstimmung-.pdf

[2] „Menschen, die schwere Gewalterfahrungen erlebt haben, brauchen Zeit und Schutz, um ihre Geschichte und die von ihnen erlittenen Menschenrechtsverletzungen als Asylgründe vorbringen zu können. Dafür reicht die Zeit gerade in einem beschleunigten Verfahren nicht aus.“ Stellungnahme der BAfF zum Gesetzentwurf vom 1.2.2016 („Asylpaket II“), https://www.baff-zentren.org/news/stellungnahme-m-asylpaket-ii/