Close

Erklären, beraten, durchsetzen – Das Recht auf Gesundheit für Flüchtlinge und Folteropfer

Projektlaufzeit: 01.01.2017 bis 31.12.2017

1. Hintergrund: Die aktuelle flüchtlings- und gesundheitspolitische Situation

Geflüchteten ist es in Deutschland kaum möglich, Versorgungsangebote aus der gesundheitlichen Regelversorgung wahrzunehmen. Zwar wurde in einigen Teilen Deutschlands die elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Das erleichtert die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen insofern, als dass vor dem Arzt- oder Ärztinnenbesuch der Gang zum Sozialamt entfällt. Diese partielle bürokratische Vereinfachung führt jedoch nicht dazu, dass sich das Leistungsspektrum der medizinischen Versorgung verändert hätte. Nach wie vor können Behandlungen nur durchgeführt werden, wenn es sich um akute Erkrankungen und Schmerzzustände handelt. Psychotherapien werden trotz dringender Indikation nur selten bewilligt. Diese Praxis entspricht in vielen Fällen nicht dem geltenden Recht. Die Zentren müssen nunmehr neben der psychosozialen Betreuung die leistungsrechtliche Situation juristisch begutachten – eine Aufgabe, die offensichtlich bereits die zuständigen Fachbehörden vor große Herausforderungen stellt. Ähnliche Probleme bestehen hinsichtlich der Beantragung von DolmetscherInnen-Kosten, wobei sich die Rechtslage hier als noch komplizierter erweist.

Aufgrund fehlender Kapazitäten und mangelnder Unterstützung führen die Psychosozialen Zentren in der Regel Therapien durch, ohne für ihr Leistungsangebot durch die zuständigen Kostenträger finanziell vergütet zu werden. Die Psychosozialen Zentren, die sich zu großen Anteilen über Spenden, Stiftungs- und EU-Gelder finanzieren, sind für viele Geflüchtete die einzige Anlaufstelle im Bereich der psychosozialen Beratung und Betreuung.

Die BAfF hat hier eine wichtige Rolle zu erfüllen im Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Menschenrechtsarbeit. Aufgrund der speziellen Erfahrungen und der Daten aus der psychosozialen/therapeutischen/medizinischen Betreuung und Behandlung sind wir in der Lage, nicht nur die Probleme deutlich zu benennen, sondern in der Zusammenarbeit mit asyl- und aufenthaltsrechtlicher Expertise neben der Dokumentation auch an Lösungsstrategien mitzuwirken und diese –  zusammen mit PartnerInnen an Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung heranzutragen. Zur Zeit ist dies ganz besonders wichtig, denn gesetzliche Neuregelungen führten zu entscheidenden Veränderungen deren Auswirkung und das Ausmaß vielen noch nicht deutlich ist.

Hier einige Beispiele:

Die praktischen Erfahrungen aus den Zentren mit den Neureglungen im Asylpaket II, das am 17.03.2016 in Kraft getreten ist, zeigen deutliche Tendenzen auf. Die Tatsache, dass PTBS grundsätzlich keine schwerwiegende Erkrankung darstellen soll, verstößt gegen grundlegende Menschenrechte. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzes, festzulegen, was eine schwerwiegende Erkrankung darstellt. Besonders problematisch ist der Umstand, dass sich abzeichnet, dass rechtswidrig psychologische Stellungnahmen von Psychologischen Psychotherapeuten von Behörden und Gerichten auch für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses keine Berücksichtigung finden. Dagegen wollen wir weiter qualifiziert in Zusammenarbeit mit Rechtsanwältinnen vorgehen.

Die Änderung der Zulassungsverordnung für ÄrztInnen – die sog. „Ermächtigungsregelung“ – sollte von der Idee her für mehr Kapazität in der Psychotherapeutischen Versorgung schaffen. Sie scheitert jedoch an bürokratischen Hürden. Offizielle – aber nicht zitierbare  Aussagen – von Seiten der Kassen: Die Praxen sind leer. Therapeuten wissen nicht, wie sie an Klienten kommen und erst Recht nicht, wie an Dolmetscher und wie sie diese bezahlen sollen. Die BAfF ist die einzige Stelle in Deutschland, die strukturiert die Praxisprobleme aufarbeitet.

Darüber hinaus befinden sich viele Psychosozialen Zentren im Aus- und Aufbau aufgrund des steigenden Bedarfs innerhalb Deutschlands. Eine große Herausforderung für die BAfF stellt dabei die Aufgabe dar, die Mitgliedszentren über Folgen der rechtlichen Entwicklungen für die psychosoziale Arbeit auf dem Laufenden zu halten, aber auch  Informationsmaterialien zu entwickeln, die auf die speziellen Bedürfnisse der Mitgliedszentren zugeschnitten sind.

2. Ziele und Aktivitäten

Unser Projektziel ist es, die Voraussetzungen für die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten zu verbessern. Wichtig ist uns dabei, das bestehende Recht und die Neuerungen durch die Erstellung von Arbeitshilfen für die PSZ und ihre KlientInnen zu erklären und sie inhaltlich bei der Durchsetzung von Therapieansprüchen für Geflüchtete zu unterstützen. Zudem wollen wir uns mit RechtsanwältInnen fachlich zu den Änderungen aus dem Asylpaket II austauschen und diesen bei Klagen zur Beachtung von psychologischen Stellungnahmen zuarbeiten. Außerdem möchten wir auch weiterhin die Praxistauglichkeit der Ermächtigung evaluieren und PraktikerInnen zur Nutzung dieses Instruments beraten.

Zu all diesen Themengebieten sollen darüber hinaus Fallbeispiele aus der Praxis in die Öffentlichkeit getragen werden. So sensibilisieren wir zugleich für die Lebenssituation von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland und tragen zu einem geschärften Bewusstsein für die Notwendigkeit bedarfsgerechter Behandlungs- und Betreuungsangebote bei.

3.Konkrete Leistungsbeschreibung | messbare Projektziele

a)Erstellung von Arbeitshilfen

Um die Zentren zu unterstützen und zu entlasten, sollen im Jahr 2017 Arbeitshilfen erstellt werden, die an die konkreten Bedürfnisse der Zentren angepasst sind. Dabei ist geplant, eine Arbeitshilfe zur Beantragung und Abrechnung von Therapien im Allgemeinen und speziell für begleitete und unbegleitete minderjährige Geflüchtete zu erstellen.

Zudem wird geplant, die Auswirkungen der neuen Einführung der elektronischen Gesundheitskarte auf die Beantragung und Durchführung von Psychotherapien für Geflüchtete zu untersuchen.

Die Komplexität der Rechtslage durch das Zusammenspiel verschiedener Rechtsbereiche stellt die Praxis vor große Herausforderungen. Für die Bearbeitung der Fragestellungen sind Kenntnisse des Asylrechts, Asylbewerberleistungsgesetzes und des SGB V erforderlich. Hinzu kommt, dass für die Bestimmung des Umfangs der gesundheitlichen Versorgung Kenntnisse des Europarechts unerlässlich sind. Nur sehr wenige öffentlich zugängliche Quellen stehen zur Verfügung, die die Bandbreite des Themas abbilden. Darauf möchten wir reagieren, um die Handlungsfähigkeit der BeraterInnen und TherapeutInnen in den Zentren zu unterstützen.

b) Beratung, Unterstützung bei Widersprüchen, Übersicht der Rechtsprechung

Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts liegt in der Beratungstätigkeit, die den PSZs auch weiterhin zur Verfügung stehen soll. Dabei sollen gemeinsam mit den Mitarbeitenden in den PSZ konkrete Fragen zu den Rahmenbedingungen von Therapie und Beratung, zum Spannungsfeld Krankheit als Abschiebehindernis aus psychologischer wie juristischer Perspektive sowie zu leistungsrechtlichen Besonderheiten geklärt werden. Außerdem möchten wir vermehrt Unterstützung bei der Formulierung von Widersprüchen und Klagen im Hinblick auf die Ablehnung von Kosten der Therapien, auf die in einigen Fällen ein Rechtsanspruch besteht, und auf DolmetscherInnen-Kosten durchführen.

Es ist aufgefallen, dass Therapien durch die Sozialbehörden abgelehnt werden, ohne die Nennung nachvollziehbarer Gründe. In einigen Fällen war offensichtlich, dass die Behörde die einschlägige Rechtsgrundlage nicht vollständig geprüft hatte. Geflüchtete mit starker Symptombelastung und hohem Leidensdruck erhalten so nicht die Behandlung, die aus fachlicher Sicht indiziert wäre. Psychische Störungen drohen zu chronifizieren und auch die Teilhabe der betroffenen KlientInnen am gesellschaftlichen Leben bleibt erschwert. Aufgrund der Komplexität der Materie und des erheblichen Aufwandes der Durchführung von Widerspruchs- und Klageverfahren, ist es geboten, die Psychosozialen Zentren bei der Rechtsdurchsetzung zu unterstützen.

Aktuelle Rechtsprechung ist auf diesem Gebiet nur sehr eingeschränkt vorhanden und öffentlich kaum zugänglich, weshalb die Begründung von Widersprüchen und Klagen für die Mitarbeitenden in den Zentren äußerst schwer ist. Ziel ist es, durch das koordinierte Sammeln behördlicher Entscheidung, Argumentationsgrundlagen für die Zentren zu erstellen, um in den einzelnen Zentren langfristig Ressourcen zu sparen, wodurch mehr Kapazitäten für die Behandlung von KlientInnen zur Verfügung stehen soll.

Darüber hinaus erhält die BAfF durch die Begleitung der Einzelfälle in der Telefonsprechstunde, aber auch durch die Unterstützung bei Widersprüchen und Klagen Zugang zu Fallbeispielen. Diese Einzelfälle werden wir gezielt auch für die Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit nutzen. So kann auch die (Fach-)Öffentlichkeit darüber informiert werden, welche Folgen es hat, wenn Geflüchtete, die infolge schwerer Gewalt psychisch belastet sind, keinen Zugang zu bedarfsgerechten Behandlungsangeboten erhalten. Auf diese Weise kann auch die breitere Zivilgesellschaft für das Menschenrecht auf Gesundheit sowie entsprechende Defizite in der Umsetzung sensibilisiert werden.

c) Erstellung einer Expertise zu medizinischen Abschiebehindernissen

Da sich in der Praxis abzeichnet, dass das Bundesamt und auch Gerichte bundesweit therapeutische Stellungnahmen im Rahmen von medizinischen Abschiebehindernissen nicht mehr beachten, streben wir eine Zusammenarbeit mit der Bundespsychotherapeuten- und Ärztekammer an, um eine rechtliche Expertise zu diesem Thema zu erstellen, auf die RechtsanwältInnen in laufenden Verwaltungsverfahren zurückgreifen können.

d) Bündelung von Erfahrungen und Austausch zur Ermächtigung

Bereits 2016 wurden Umfragen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen gestartet und Gespräche mit dem BMG und der KBV geführt. Da die Praxiserfahrungen der PSZ ein Jahr nach der Einführung der Ermächtigung zeigen, dass sich bislang keine Besserung der Versorgungssituation abzeichnet, möchten wir weiter daran arbeiten, die Praxiserfahrungen zu bündeln und diese Erfahrungen an das BMG und die Kassenärztliche Bundesvereinigung zurück zu spiegeln, um konstruktiv an Lösungswegen zu arbeiten.

Dieses Projekt wird gefördert durch Amnesty International.