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Kürzungen der Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge

Psychosoziale Betreuung braucht finanzielle Sicherheit

Viele Geflüchtete sind durch Erlebnisse von Folter, anderer Formen von Gewalt oder Krieg sowie langandauernder Flucht schwer traumatisiert. Sie benötigen spezialisierte psychosoziale Betreuungs- und Behandlungsangebote – die bislang fast ausschließlich von den Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) angeboten werden. Die Finanzierung dieser Zentren erfolgt größtenteils mithilfe von Spenden und Projektmitteln und ist grundlegend unzureichend für den großen Bedarf an Unterstützung von Seiten der traumatisierten Flüchtlinge. Eine Hilfe schaffte das Bundesfamilienministerium, indem sie für das Jahr 2016 drei Millionen Euro in den Ausbau der Psychosozialen Zentren investierte. Doch für 2017 ist dieses Geld im Bundeshaushalt bereits nicht mehr vorgesehen.

Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) kritisiert, dass die Kürzung der Finanzierung der PSZ im Jahr 2017 weitreichende Auswirkungen auf die Basisversorgung von traumatisierten Geflüchteten haben wird. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass in Zeiten dieses großen Bedarfs an psychosozialer Unterstützung, Beratung und Therapie die Finanzierung der Behandlungszentren nicht fortgesetzt wird. Dabei hatte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig erst im Juni erklärt, wie wichtig die Beratung und Betreuung für traumatisierte Geflüchtete in den Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer ist – auch um eine gute Integration zu ermöglichen. Dies wird mit dem plötzlichen Wegfall der Finanzierung aufs Spiel gesetzt.

Die BAfF fordert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auf, die Finanzierung der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge 2017 fortzusetzen und dadurch die Fortführung der Behandlung für traumatisierte Geflüchtete zu ermöglichen. Der Wegfall der Bundeszuwendungen würde für viele Zentren erhebliche Einschnitte mit sich bringen und einen großen Schritt zurück bedeuten: Eingestellte und eingearbeitete PsychotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen müssten wieder entlassen werden, die Weiterbehandlung von Traumatisierten kann nicht gewährleistet werden und die Gesamtzahl an Behandlungs- und Betreuungsangeboten sinkt erheblich. Von diesen drohenden Einschnitten ist gleichermaßen die BAfF betroffen, die durch ihre Aktivitäten die gute Arbeit der Zentren mit ermöglicht.

 

Hintergrund:

Versorgungssituation

Die Gesundheitsregelversorgung hat bislang nur zögerlich auf die Probleme und Bedarfe geflüchteter Menschen reagiert. Psychosoziale Versorgung für Geflüchtete bieten fast ausschließlich die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) an[1]. Diese Initiativen versuchen seit über 40 Jahren, Versorgungsdefizite mit bedarfsgerechten Behandlungsangeboten aufzufangen.

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Foto von Flabber DeGasky

Die gesetzlich verantwortlichen Leistungsträger beteiligen sich nur zu einem sehr geringen Anteil an der Finanzierung dieses Leistungsangebots. Die PSZ arbeiten daher spenden- und projektfinanziert, mit stark begrenzter Kapazität und unsicherer Perspektive. Schon immer übersteigt die Nachfrage Hilfe suchender Geflüchteter das Angebot der PSZ um ein Vielfaches. Die Psychosozialen Zentren haben seit Jahrzehnten lange Wartelisten und konnten noch nie alle Hilfe suchenden KlientInnen in ihre Behandlungsprogramme aufnehmen. Ansätze zum Abbau des Versorgungsengpasses wie die Möglichkeit, sich als TherapeutIn bei der Gesetzlichen Krankenkasse für die Behandlung von Geflüchteten ermächtigen zu lassen, sind auf Grund vielfältiger struktureller Hürden, in der Praxis kaum relevant.[2]

Die Bundesregierung ist durch die EU-Aufnahmerichtlinie verpflichtet, besonders schutzbedürftige Asylsuchende entsprechend ihren Bedarfen medizinisch und psychosozial zu versorgen. Zu dieser Gruppe gehören u.a. Menschen, die in ihren Herkunftsländern Opfer von schwerer Gewalt, von Folter oder anderen Menschenrechtsverletzungen geworden sind, aber auch alle Geflüchteten, die an schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen leiden. Diese Versorgung erfolgt aber nach wie vor hauptsächlich durch die Psychosozialen Zentren.

Akutprogramm des BMFSFJ: 3 Millionen Euro für die PSZ in 2016 – 0 Euro in 2017?

Im Haushaltsjahr 2016 wurde aufgrund der akuten Notsituation der Haushaltstitel 684 05 – Bundeszuwendung für Beratung und Betreuung ausländischer Flüchtlinge um insgesamt 6 Millionen Euro auf insgesamt 8,214 Millionen Euro aufgestockt. Drei Millionen Euro davon wurden in den Ausbau der psychosozialen Versorgung investiert. Mit diesem Geld werden 37 Psychosoziale Zentren[3] unterstützt, die nach den Leitlinien der BAfF arbeiten müssen – 32 von ihnen sind in der BAfF vernetzt. Auch wird die BAfF aus diesem Topf mit unterstützt.

Der aktuelle Haushaltsentwurf für das Jahr 2017 sieht jedoch für den betreffenden Haushaltstitel vor, die Mittel wieder auf 2,214 Millionen zu reduzieren. Dies würde einen enormen Einschnitt in die erst in diesem Jahr verbesserte Versorgung für traumatisierte Geflüchtete bedeuten. Die meisten Psychosozialen Zentren müssten das gerade erst eingestellte Personal wieder entlassen, Beratungs- und Betreuungsangebote müssten wieder eingeschränkt und Aufnahmestopps verhängt werden. Die Weiterführung laufender Psychotherapien wäre in Gefahr.

Ausbau der PSZ durch Bundeszuwendung – Wegfall der Strukturen ohne weitere Finanzierung

Mit der Erhöhung der Flüchtlingszahlen im letzten Jahr haben sich die Versorgungsdefizite in diesen Einrichtungen massiv zugespitzt. Das im Haushaltsjahr 2016 aufgelegte Akutprogramm des BMFSFJ konnte einen Teil des Versorgungsengpasses auffangen. Zahlreiche der 32 Psychosozialen Zentren, die in der BAfF vernetzt sind, konnten so zusätzliche Stellen für PsychologInnen, PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen u.a. schaffen. Bei einer Förderung von 37 Zentren erhält ein Zentrum im Schnitt 81.000 Euro. Das entspricht bei einer Besetzung mit je einer/einem Psychotherapeuten und je einem/einer Sozialarbeiterin knapp einer 75% Stelle (knapp 30h/ Woche) für diese 2 Mitarbeitenden. Dieser wichtige Finanzierungsanteil erlaubte es den Zentren Anfang 2016 zumindest im Ansatz auf die auch vor dem Anstieg der Flüchtlingszahlen bereits gravierenden Kapazitätsprobleme zu reagieren. Flächendeckende nachhaltige Versorgungsstrukturen sind dadurch noch nicht entstanden.

In Deutschland leben im Moment mindestens 950.000 Geflüchtete. Für 2016 rechnet das BAMF mit 300.000 weiteren Asylanträgen. In der Versorgungsforschung herrscht ein Konsens darüber, dass Geflüchtete eine hochvulnerable Population sind mit hohem Risiko für die Entwicklung verschiedener Traumafolgestörungen sind und dass dadurch ein besonderer Bedarf für zielgruppenspezifische Angebote besteht.[4] Es besteht entsprechend ein besonderer Bedarf an Betreuung und Behandlung für die Menschen, die in Deutschland angekommen sind und hier Schutz suchen.

Qualitätssicherung und Beratung durch die BAfF e.V.

Die Psychosozialen Zentren, die von der Bundeszuwendung profitieren, sind zum überwiegenden Teil Mitglied der BAfF. Die BAfF vernetzt die Zentren und bündelt die Expertise. Gemeinsam mit den Psychosozialen Zentren entwickelt sie fachliche Standards für die Behandlung von Geflüchteten und transportiert diese in den fachöffentlichen Raum. Mit einheitlichen Standards und einer gemeinsamen Qualitätssicherung kann die gute Versorgung von traumatisierten Geflüchteten sichergestellt werden. Die Standards und Qualitätskriterien sind in den Leitlinien der BAfF dokumentiert. Alle geförderten Einrichtungen sind dazu verpflichtet, nach den Leitlinien der BAfF zu arbeiten[5]. Dadurch kann die Einhaltung von Qualitätsstandards sichergestellt werden. Auch unterstützt die BAfF die Zentren durch Beratungs- und auch Aufbauhilfe, sie bietet Fortbildungen und Evaluationen an. Die BAfF sensibilisiert und informiert MitarbeiterInnen der Gesundheitsregelversorgung und trägt so entscheidend zum Ausbau von Behandlungskapazitäten für Geflüchtete bei. Der Bedarf an der besonderen Expertise der BAfF zeigt sich nicht zuletzt deutlich an den täglichen Anfragen aus allen gesellschaftlichen Bereichen (ÄrztInnen, TherapeutInnen, MitarbeiterInnen aus Schulen, und Kitas, KrankenpflegerInnen, Erstaufnahmeeinrichtungen, Politik und Verwaltung). Es besteht ein enormer Qualifizierungs- und Informationsbedarf angesichts der Herausforderungen, denen Deutschland in Bezug auf die Inklusion geflüchteter Menschen gegenübersteht, der Suche nach einem Umgang mit traumatisierten Geflüchteten und einer angemessenen gesundheitlichen Versorgung. Die BAfF benötigt hierfür die entsprechenden Ressourcen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden und ihre spezifische Expertise zu verbreiten.

 

 

[1] Wir wissen aus den Erfahrungen der Psychosozialen Zentren und ihrer Vermittlungsnetzwerke, dass die Aussichten auf einen Therapieplatz in der gesundheitlichen Regelversorgung für Geflüchtete noch immer sehr gering sind. Trotz der jüngst deutlich gestiegenen Bereitschaft niedergelassener PsychotherapeutInnen an der Behandlung Geflüchteter sowie kontinuierlicher Fortbildungs-, Beratungs- und Vernetzungsarbeit können die Psychosozialen Zentren pro Jahr noch immer lediglich 6% der Hilfe suchenden KlientInnen an niedergelassene PsychotherapeutInnen weitervermitteln.

[2] Mehr Informationen zur Ermächtigungsregelung im Forderungspapier der BAfF: „Mehr Behandlungskapazitäten durch Ermächtigung zur therapeutischen Behandlung?“ unter https://www.baff-zentren.org/news/forderungspapier-mehr-behandlungskapazitaeten/

[3] BT.-Drs. 18/9009: „Verbesserung der gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung von Geflüchteten zur Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie“.

[4] Bei Flüchtlingen und Asylsuchenden liegen die Prävalenzen für die PTSD in populationsbasierten Studien zwischen 16 und 55% – so ein aktueller Review zur Studienlage der letzten 25 Jahre in Deutschland (Bozorghmer et al., 2016). Diese Schätzungen decken sich mit denen aus internationalen Metaanalysen.

Quelle: Bozorgmehr, K., Mohsenpour, A., Saure, D., Stock, C., Loerbroks, A., Joos, S., & Schneider, C. (2016). Systematische Übersicht und „Mapping “empirischer Studien des Gesundheitszustands und der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland (1990–2014). Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 59(5), 599-620.

[5] Die Leitlinien der BAfF können eingesehen werden unter https://www.baff-zentren.org/ueber-die-baff/leitlinien/