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Pressemitteilung: Integrationsgesetz schafft neue Integrationshindernisse

Pressemitteilung, 03.06.2016

Integrationsgesetz schafft neue Integrationshindernisse

Trotz vehementer Kritik findet heute – bereits eineinhalb Wochen nach dem Beschluss des Bundeskabinetts – im Bundestag die erste Lesung zum geplanten Integrationsgesetz statt.

Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) kritisiert, dass das vorliegende Gesetz nicht im Einklang mit dem Integrationsbedürfnis von Geflüchteten steht. Es ist vielmehr zu befürchten, dass die vorgesehenen Mechanismen der Selektion (zwischen Geflüchteten mit guter und denjenigen mit vermeintlich schlechter Bleibeperspektive), der Verunsicherung (durch strengere Voraussetzungen für sichere Aufenthaltsbedingungen), der Kontrolle (des Wohnsitzes sowie der Integrationsbereitschaft) und der Sanktionierung verhindern, dass Geflüchtete sich hier in Deutschland selbstbestimmt ein neues Leben aufbauen und mit ihren Ressourcen zu unserer Gesellschaft beitragen können.

Die BAfF kritisiert den Gesetzesentwurf speziell in folgenden Punkten:

Keine Lösung für die Sprachbarriere: Integration ohne Verständigung ist nicht möglich. Doch die Sprachbarrieren werden bleiben – anders als ursprünglich geplant, ist im Gesetz nicht mehr vorgesehen, die Übernahme von Dolmetscherkosten durch die Sozialhilfeträger zu erleichtern.

Unsichere Perspektiven durch aufenthaltsrechtliche Verschärfungen: Mit dem Integrationsgesetz soll die Zeit, bis ein anerkannter Flüchtling eine Niederlassungserlaubnis erhält, von drei auf fünf Jahre verlängert werden. Zudem werden die Voraussetzungen für deren Erteilung deutlich strenger geregelt als bisher. Aus der Praxis der Psychosozialen Zentren wissen wir, dass für Menschen, die Gewalt, Verfolgung und eine lebensbedrohliche Zeit der Flucht erlebt haben, Sicherheit, Stabilität und Möglichkeiten für eine Rückkehr in ein möglichst normales Leben zu den wichtigsten Schutzfaktoren gehören. Dafür ist möglichst früh ein fester Aufenthalt nötig.

Kein Recht auf freie Wohnsitzwahl: Drei Jahre lang müssen anerkannte Flüchtlinge an dem Ort leben, der ihnen im Asylverfahren zugewiesen wurde – auch wenn es dort für sie keine familiären, religiösen, politischen oder kulturellen Netzwerke gibt, die Stabilität geben und als Brücke in die Gesellschaft wirken könnten. So können Geflüchtete auch gezwungen werden, weiterhin dort zu leben, wo sie diskriminierend oder rassistisch beleidigt oder angegriffen wurden.

Verpflichtende Arbeitsangelegenheiten: Der Ausbau von „1 Euro Jobs“ für Asylsuchende ist kein wirksames Instrument zur Arbeitsmarktintegration – dies zeigen bereits entsprechende Maßnahmen für Langzeiterwerbslose. Als Interessenvertretung für Geflüchtete, die bereits im Herkunftsland und auf der Flucht existentielle Entwertungs- und Entmächtigungserfahrungen machen mussten, fordern wir stattdessen eine Investition in Maßnahmen, die tatsächlich zu einer Inklusion in den regulären Arbeitsmarkt führen.

Anspruchseinschränkungen im AsylbLG: Das Integrationsgesetz sieht leistungsrechtliche Sanktionen für vermeintlich geringe Integrationsbereitschaft vor. Aus den Erfahrungen der psychosozialen Zentren wissen wir, dass es für die meisten Geflüchteten eine große Bedeutung hat, die Sprache zu lernen und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Allen Flüchtlingen nun einen generellen Integrationsunwillen zu unterstellen, ist ein falsches Signal, das allenfalls rechtspopulistischen AkteurInnen in die Hände spielt und der Entwicklung einer inklusiven Anerkennungs- und Willkommenskultur entgegensteht.

Die BAfF fordert die Bundesregierung auf, an den aufgeführten Stellen nachzuarbeiten. Ein großer Teil der Geflüchteten hat extreme Erfahrungen des Kontrollverlusts, der Repression und des Zwangs überlebt und ist dadurch psychisch schwer belastet. Ein inklusiver Ansatz muss sich zur Aufgabe setzen, diesen demütigenden Erfahrungen Ressourcen gegenüberzustellen, die es den Betroffenen erleichtern, Sicherheit und Kontrolle wiederzugewinnen und sich hier eine selbstbestimmte, menschenwürdige Perspektive aufzubauen. Das Integrationsgesetz, wie es heute im Bundestag gelesen wird, kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Damit setzt der Gesetzgeber alle positiven Chancen aufs Spiel, die eine Integration Geflüchteter in unsere Gesellschaft birgt.

Die ausführliche Kritik finden Sie in unserer Stellungnahme zum Integrationsgesetz.