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Forderungspapier: Mehr Behandlungskapazitäten durch Ermächtigung zur therapeutischen Behandlung?

Von praktischen und strukturellen Hürden beim Ausbau von Behandlungskapazitäten für Geflüchtete

[Das Forderungspapier als pdf-Datei]

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Viele Geflüchtete sind durch Erlebnisse von Folter, anderer Formen von Gewalt oder Krieg sowie langandauernder Flucht schwer traumatisiert. Sie benötigen spezialisierte Betreuung und Behandlung. Psychotherapeutische Behandlung für psychische Folgestörungen erhalten sie vor allem in den Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folteropfer. Die Gesundheitsregelversorgung hat bislang nur zögerlich auf die Probleme und Bedarfe geflüchteter Menschen reagiert und entsprechende Angebote entwickelt. Psychotherapien von Geflüchteten bei niedergelassenen TherapeutInnen stellenentsprechend eher die Ausnahme dar. Gründe hierfür sind die eingeschränkten Kapazitäten von PsychotherapeutInnen mit einem Kassensitz, aber auch mangelnde Expertise und Erfahrung in der Behandlung dieser besonderen Personengruppe, sowie Berührungsängste, Sprachbarrieren und bürokratische Hürden.

Die  32 Psychosozialen Zentren in Deutschland, die in der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) vernetzt sind, versorgen jährlich über 12.000 KlientInnen. Davon erhalten 35% (ca. 4.200 KlientInnen) eine Behandlung bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin. Die Wartelisten und damit verbundene Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind extrem lang.[1]

Die Psychosozialen Zentren versuchen mittlerweile seit über 40 Jahren die vorhandenen Versorgungsdefizite durch ein bedarfsgerechtes und niedrigschwelliges Behandlungsangebot aufzufangen. Sie agieren dabei in der Regel außerhalb der Gesundheitsregelversorgung. Finanziert werden die Gesundheitsleistungen insbesondere durch EU-Mittel, Stiftungen und Spendengelder, die jedes Jahr mit hohem administrativem Aufwand neu beantragt und akquiriert werden müssen.

Die BAfF engagiert sich politisch seit langem für eine Integration der psychotherapeutischen Behandlungsangebote in die Regelversorgung. Um die vorhandenen Lücken in der psychotherapeutischen Versorgung zu schließen, müssen dringend weitere PsychotherapeutInnen in die Versorgung einbezogen und die psychotherapeutischen Leistungen durch die zuständigen Leistungsträger finanziert werden.

Mit der stark gestiegenen Anzahl geflüchteter Menschen in Deutschland und damit auch einem zunehmenden Anteil traumatisierter Menschen mit Behandlungsbedarf wurde auf politischer Ebene versucht, den Versorgungsengpass auszugleichen. Mit der Änderung der Zulassungsverordnung für Ärztinnen und Ärztewurde ein wichtiger Schritt vollzogen, um das Versorgungssystem allgemein, aber insbesondere die Versorgung der Personengruppe der besonders schutzbedürftigen Geflüchteten zu stärken. Denn zum einen stehen nicht ausreichend Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit einem Kassensitz zur Verfügung, um Geflüchtete zu behandeln. Zum anderen wurde die bestehende Möglichkeit der Ermächtigung nach § 31 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) der Länder in der Vergangenheit äußerst restriktiv gehandhabt. Die neu geschaffene Regelung zur Ermächtigung ermöglicht es, Geflüchtete im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung zu behandeln und so dringend notwendige Behandlungskapazitäten zu schaffen.

 

Anspruch auf Ermächtigung § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV

Vor diesem Hintergrund wurde der Anspruch auf Ermächtigung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV eingeführt. ÄrztInnen mit einer für die Behandlung erforderlichen abgeschlossenen Weiterbildung sowie psychosoziale Einrichtungen mit einer fachlich-medizinischen ständigen ärztlichen Leitung können nun beim Zulassungsausschuss einen Antrag auf Ermächtigung stellen. Damit werden sie zur ambulanten psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von EmpfängerInnen laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes berechtigt, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.

Die Ermächtigungen sind auf formalen Antrag hin zu erteilen. Sie sind weder begründungspflichtig in dem Sinne, dass lokale Versorgungsbedarfe oder eine bestehende Unterversorgung dieser Personengruppe nachgewiesen werden muss, noch besteht bei dem Genehmigungsverfahren ein Ermessensspielraum!

 

Schwierigkeiten durch die Einschränkung des zu behandelnden Personen-kreises

Eine grundsätzliche Schwierigkeit in der Praxis ist die Beschränkung des zu behandelnden Personenkreises auf Geflüchtete, die

  1. Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben und
  2. Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalten.

 

Damit ist die Regelung unnötig eng gefasst und nur ein sehr begrenzter Personenkreis kann hiervon profitieren.

Traumatische Ereignisse, die Geflüchtete vor, während und nach der Flucht erleben, sind vielfältig. Auch Personen, die Zeuge von Gewalttaten geworden sind, die den gewaltsamen Tod ihrer Angehörigen miterleben mussten oder ihre Kinder auf der Flucht über das Mittelmeer verloren haben, wurden schwer traumatisiert und können in der Folge eine behandlungsbedürftige psychische Störung entwickeln. Wie in jeder anderen Population auch gibt es darüber hinaus einen Personenkreis, der unabhängig von einer etwaigen Traumatisierung psychisch erkrankt und ggf. eine Behandlung braucht.

Die Expertise der für die Behandlung von Opfern von Folter und anderen schweren Gewalttaten ermächtigten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weist zudem große Schnittmengen mit der Expertise auf, die Therapeutinnen und Therapeuten für die Behandlung psychisch erkrankter Geflüchteter im Allgemeinen haben sollten. Aus fachlicher Sicht halten wir es daher für sinnvoll und folgerichtig, den Personenkreis der durch ermächtige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu behandelnden Geflüchteten unabhängig davon zu definieren, welche konkrete psychische Störung vorliegt, welches traumatisches Ereignis ggf. mit dieser psychischen Erkrankung zusammenhängt und welchen Aufenthalts- bzw. Beschäftigungsstatus die Person zum Zeitpunkt der Therapie gerade innehat.

Solange die Behandlungsmöglichkeit über die Ermächtigung auf einen so eng begrenzten Personenkreis eingeschränkt bleibt, sind in der Praxis weiterhin hohe Unsicherheiten und komplizierte Schnittstellenprobleme zu erwarten.

 

Umsetzung in der Praxis

In der Praxis hat sich ein sehr uneinheitliches Bild ergeben, auf welche Weise die Ermächtigung erfolgt. Dies zeigen die Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage, die die BAfF bei den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder durchgeführt hat. An dieser Umfrage alle Kassenärztliche Vereinigungen teilgenommen.

Demnach wurden bis zum 30.06.2016 insgesamt 115 Anträge auf Ermächtigung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV[2] gestellt. Davon wurden 66 Anträge genehmigt[3], sechs Anträge wurden abgelehnt, 2 zurückgezogen und über die übrigen Anträge wird noch entschieden.

Hervorzuheben ist, dass allein in Berlin 49 Anträge auf Ermächtigung gestellt wurden, was bereits 43 % aller Anträge ausmacht. Im Gegensatz dazu wurden in den ostdeutschen Bundesländern insgesamt lediglich 6 Anträge (ca. 5 %) gestellt, zwei davon wurden positiv beschieden. Die Versorgungssituation für Geflüchtete stellt sich in den ostdeutschen Bundesländern ohnehin prekärer dar im Vergleich zu den anderen Bundesländern[4]. Mit der Neuregelung zur Ermächtigung können die eingeschränkten Behandlungskapazitäten kaum verbessert bzw. ausgebaut werden.

Die Ermächtigungen, die erteilt wurden, sind zu 98 % persönliche Ermächtigungen, von 9 Anträgen auf Institutsermächtigungen wurden bislang lediglich 2 bewilligt.[5]

Die Rückmeldungen aus den Psychosozialen Zentren sowie den Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis, die eine Ermächtigung beantragt haben, verweisen auf eine sehr lange Bearbeitungsdauer der Anträge. So warten viele Therapeutinnen und Therapeuten bereits seit über einem halben Jahr auf die Bescheidung.

Es zeigte sich insbesondere ein sehr unterschiedliches Vorgehen in Bezug auf die Entscheidung über die Genehmigung der Ermächtigungen. In sieben Bundesländern (Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen (mit den KVs Nordrhein und Westfalen-Lippe), Rheinland-Pfalz, Saarland Sachsen, Berlin) wird die Ermächtigung unter Berufung auf den klaren Wortlaut der Norm für die Behandlung aller Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach § 2 AsylbLG erteilt.

In weiteren fünf Bundesländern (Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) wird die Ermächtigung ausschließlich zur Weiterbehandlung erteilt, das heißt, für Therapeutinnen und Therapeuten, die eine Person bereits vor dem Bezug von Leistungen gem. § 2 AsylbLG behandelt haben. Diese Bundesländer erklären ihre Praxis mit der Gesetzesbegründung: Es sei Sinn und Zweck des Gesetzes, eine Weiterbehandlung zu ermöglichen. Ein grundsätzlicher Bedarf, Behandlungskapazitäten für Geflüchtete zu schaffen, wird verneint. Die Weiterbehandlung muss von den Therapeutinnen und Therapeuten nachgewiesen werden. In Hessen müssen diese Nachweise als Grundlage für die Entscheidung über eine Ermächtigung vorgelegt werden.

In vier Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen) befindet man sich hinsichtlich des Vorgehens der Ermächtigung noch in der Prüfung und konnte keine abschließende Aussage treffen.

Rechtswidrige Praxis

Diese unterschiedliche Vergabepraxis von Ermächtigungen erfolgt obwohl der Wortlaut der Norm eindeutig ist: die Ermächtigung gilt für die Versorgung von EmpfängerInnen laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG.[6] Eine Ermächtigung, die nur der Weiterbehandlung dient, ist dort nicht festgehalten.

Hinzu kommt, dass das Ziel des Verordnungsgebers sich nicht auf die Weiterbehandlung beschränken lässt. Es sollen vielmehr zwei Zielsetzungen sichergestellt werden:

  1. Eine sichere und zeitnahe Behandlung,

„Ziel [der Ermächtigung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV] ist es, eine sichere, zeitnahe und kontinuierliche psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, die auf Grund des Erleidens von Folter, Vergewaltigung oder sonstiger schwerer Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt besonders schutzbedürftig sind, zu gewährleisten.“[7]

  1. Eine Weiterbehandlung.

„Ziel der Regelung ist es, sogenannte Versorgungsbrüche zu vermeiden, die entstehen können, wenn die Behandlung der betreffenden Personen in den ersten 15 Monaten durch Therapeuten erfolgt, die über keine Berechtigung zur Erbringung von Leistungen in der GKV verfügen (z.B. Psychotherapeuten in Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer). Hier muss gewährleistet werden, dass diese Therapeuten die Behandlung nach Ablauf von 15 Monaten, wenn die Versorgung gem. § 264 Abs. 2 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, fortsetzen können. Andernfalls müsste die betroffene Person den Therapeuten wechseln, wobei zu beachten ist, dass ein Therapeutenwechsel bei psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung ausgesprochen problematisch ist.“ [8]

Die Engführung auf eines dieser beiden Ziele, wie sie von einigen Kassenärztlichen Vereinigungen öffentlich vertreten und für die Entscheidungspraxis herangezogen wird, entspricht weder den Zielsetzungen des Gesetzgebers, wie sie in den Begründungen formuliert wurde, noch ist sie gesetzeskonform. Dies wird auch von der Bundesregierung geteilt: „Der Kreis der ermächtigten Leistungserbringer in § 31 Absatz 1 Satz 2 Ärzte-ZV ist nicht auf Ärzte und psychosoziale Einrichtungen in der Akutversorgung der ersten 15 Monate beschränkt.“[9] Das bedeutet, dass die Erteilung der Ermächtigung nicht an eine bereits erfolgte Behandlung innerhalb der ersten 15 Monate des Aufenthaltes geknüpft werden kann.

Die BAfF fordert eine Klarstellung gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder bzw. den Zulassungsausschüssen, dass die Ermächtigung nicht nur zur Weiterbehandlung erteilt werden darf. Die Anträge sind ermessensfrei und bedarfsunabhängig zu bescheiden und zeitnah zu bearbeiten.

 

Versorgungssituation für Geflüchtete verbessern – Behandlungskapazitäten ausbauen

Durch die Ermächtigung ausschließlich zur Weiterbehandlung verbessert sich die Versorgungssituation kaum und führt in der Praxis zur Aushebelung der neu geschaffenen Ermächtigungsregelung. Denn in der Praxis gibt es nahezu keine Patientinnen und Patienten, die diese Voraussetzungen erfüllen. Nicht nur sind geflüchtete Menschen nach der langen Zeit der Flucht und bei Ankunft in Deutschland über einen langen Zeitraum mit der Erledigung existentieller Aufgaben befasst (Registrierung, Asylantragstellung, Suche nach Unterkunft, Organisierung des Alltags, Einfinden in ein fremdes Land mit fremder Sprache, etc.). Die gesundheitliche, insbesondere psychische Verfasstheit kann zwar auch in dieser Zeit brüchig oder desolat sein. Die meisten Geflüchteten kommen in den ersten Monaten jedoch nicht dazu, sich um ihr psychisches Befinden zu kümmern, insbesondere in der aktuellen Situation überforderter Behörden und übervoller Unterkünfte. Das Finden geeigneter Therapeutinnen und Therapeuten mit freiem Therapieplatz nimmt darüber hinaus selbst für deutsche Patientinnen und Patienten häufig viele Monate in Anspruch.[10] Nicht zuletzt beträgt die Bearbeitungsdauer von Anträgen auf Kostenübernahme von Psychotherapien nach § 4 und 6 AsylbLG bei den entsprechenden Landesbehörden in der Regel viele Monate – insbesondere da es an Vorgaben zu Entscheidungsfristen mangelt, wie sie es Rahmen der GKV-Versorgung gibt. In manchen Bundesländern warten TherapeutInnen wie PatientInnen bis zu 9-12 Monate darauf, dass der Antrag auf Kostenübernahme beschieden wird.

Eine Ermächtigung an die Weiterbehandlung zu binden verhindert das eigentliche Ziel: den Ausbau von Behandlungskapazitäten für geflüchtete Menschen.

Klarstellung im Rahmen der Institutsermächtigung – „psychosoziale Einrichtungen mit einer fachlich-medizinischen ständigen ärztlichen Leitung“

Neben der persönlichen Ermächtigung ist es nach den Neuregelungen zur Ermächtigung auch möglich, dass sich psychosoziale Einrichtungen für die Behandlung von Geflüchteten ermächtigen lassen. Diese sogenannte Institutsermächtigung ist nach Zulassungsverordnung an das Vorhandensein einer fachlich-medizinischen ständigen ärztlichen Leitung gebunden. Die Formulierung dieser Bedingung  führt in der Praxis immer wieder zu Missverständnissen und Unklarheiten – sowohl bei den Einrichtungen, die eine solche Ermächtigung beantragen wollen, wie auch bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, die über diese Anträge entscheiden.

Die BAfF begrüßt die Klarstellung der Bundesregierung[11], dass es sich dabei nicht nur um Ärztinnen und Ärzte handelt, sondern dass die Leitung auch von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten übernommen werden kann.

Die Berufe der Psychologischen PsychotherapeutInnen und der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen sind durch das Psychotherapeutengesetz in das System der bundeseinheitlich geregelten Heilberufe eingebunden und diese Berufsgruppen den Ärzten mit Wirkung ab 1.1.1999 gleichgestellt. Die Gleichstellung findet sich auch im SGB V wieder: Nach § 72 Abs. 1 SGB V wirken „Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren und Krankenkassen [wirken] zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten zusammen. Soweit sich die Vorschriften dieses Kapitels auf Ärzte beziehen, gelten sie entsprechend für Zahnärzte, Psychotherapeuten und medizinische Versorgungszentren, sofern nichts Abweichendes bestimmt ist.“

Übertragen auf die Regelung in § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV bedeutet dies, dass psychosoziale Einrichtungen mit einer ständigen ärztlichen Leitung auch durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geleitet werden können, um die Voraussetzung für eine Institutsermächtigung zu erfüllen. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV, wie dieser in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird. Demnach sollen die bereits eingebundenen Leistungserbringer wie spezielle Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer ermächtigt werden können. Gewollt war also die Stärkung des bereits bestehenden Versorgungsangebotes durch die Psychosozialen Zentren. Diese halten, wie sie es bereits in ihrer Bezeichnung mit sich führen, schwerpunktmäßig psychosoziale Angebote für Geflüchtete vor und beschäftigen entsprechende Fachkräfte aus den psychotherapeutischen, psychologischen und sozialarbeiterischen Berufsfeldern.

 

Notwendigkeit von Übergangslösungen

Nach Abschluss des Asylverfahrens oder bei Aufnahme einer Arbeit bzw. Ausbildung entfällt für die Geflüchteten der Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG. Dies stellt ein großes Problem dar, da dadurch auch die Möglichkeit der Behandlung unter Ermächtigung (gem. § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV) entfällt und der Behandlungserfolg eingeschränkt wird. Dabei ist die Herstellung von Sicherheit, wie sie insbesondere durch einen sicheren Aufenthaltstitel erreicht wird, eines der wichtigsten Elemente im therapeutischen Prozess und die Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit ein wichtiges Behandlungsziel im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung. Bislang ist ungeklärt, wie bereits bewilligte Therapien im Rahmen der Ermächtigung auch nach Wegfall des Anspruchs auf Leistungen gem. § 2 AsylbLG fortgeführt bzw. beendet werden können.

Die BAfF fordert die Schaffung von bundesweit geltenden Übergangslösungen für die Fälle, in denen eine psychotherapeutische Behandlung aufgenommen wurde und die Patientin oder der Patient keine Leistungen mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält. Es sind Vereinbarungen zu treffen, die die Krankenkassen zu der weiteren Kostenübernahme in den geschilderten Situationen verpflichten.

In Betracht kommt die Abrechnung über das Kostenerstattungsverfahren. Die praktische Umsetzung des Kostenerstattungsverfahrens erfolgt in den verschiedenen Bundesländern und bei den verschiedenen Krankenkassen sehr unterschiedlich. So gibt es Krankenkassen, die der Abrechnung über das Kostenerstattungsverfahren grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Zudem ist das Kostenerstattungsverfahren mit hohen bürokratischen Hürden und langen Wartezeiten für die Patientinnen und Patienten verbunden. Dies ist im Rahmen des therapeutischen Prozesses für die Patientinnen und Patienten nicht nur äußerst belastend, sondern es verhindert die Umsetzung des Behandlungsplanes und die Erreichung der Therapieziele.

Die BAfF fordert unbürokratische Regelungen im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens, unabhängig von dem Wohnort und der Kassenzugehörigkeit der Patientinnen und Patienten, zur Vermeidung von Versorgungslücken und Therapieabbrüchen

 

 

Der Weg in die Praxis

In der Praxis zeigt sich zudem ein Problem mit der Koordination und Vermittlung. Wird eine Ermächtigung erteilt, kommen Geflüchtete dennoch häufig nicht in den Praxen der ermächtigten Kolleginnen und Kollegen an. Zum einen liegt dies sicherlich daran, dass Hausärztinnen und Hausärzte und weiteren Schlüsselpersonen keine Kenntnis über die ermächtigten Therapeutinnen und Therapeuten haben, so dass die Vermittlung von Patientinnen und Patienten an ermächtigte Kolleginnen und Kollegen nur sehr erschwert stattfindet. Zudem stellen die Besonderheiten der Behandlung von Geflüchteten wie z.B. das therapeutische Arbeiten mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern, die Kontaktaufnahme zu entsprechenden Dolmetscherdiensten – die es in vielen Bundesländern nicht gibt – spezifische Hürden für ermächtigte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dar. So erreichen die BAfF wie auch die Psychosozialen Zentren vermehrt Anfragen von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen die in der Praxis diese verschiedene Problemlagen erkennen lassen: so z.B. Knappheit an verfügbaren Dolmetscherinnen und Dolmetschern bis hin zu Leerlauf, weil Geflüchtete nicht in den Praxen ankommen, nicht vermittelt werden. Einige Therapeutinnen und Therapeuten gehen auch davon aus, dass die Psychosozialen Zentren eine Art Vermittlungsagentur seien und den Kontakt zu den behandlungsbedürftigen Geflüchteten und Dolmetschenden organisieren würden.

Die BAfF fordert die Einrichtung einer zentral geregelten Koordinierungsstelle auf Länderebene, um eine kontinuierliche Informierung, Vermittlung und Behandlung zu ermöglichen.

 

 

Psychotherapie erfordert sprachliche Verständigung

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an der Versorgung geflüchteter Menschen teilnehmen können, ohne dass zugleich eine unbürokratische Lösung für die Finanzierung der häufig notwendigen Dolmetschenden gefunden wurde. Die Möglichkeit der Übernahme der Dolmetschendenkosten durch die Sozialbehörden ist wenig praktikabel, da die Bearbeitungsdauer mehrere Monate bis hin zu einem Jahr beträgt und die Anträge häufig abgelehnt werden, da es sich um Ermessensleistungen handelt. Faktisch können Psychotherapien bei Geflüchteten, die von der GKV genehmigt wurden, in der Folge nicht durchgeführt werden, da die dafür notwendigen Kosten für Dolmetschende nicht übernommen werden.

Die BAfF fordert die Anerkennung der Kosten für Übersetzungsleistungen als notwendiger Bestandteil der Krankenbehandlung. Die Finanzierung muss in das SGB V aufgenommen werden.

Mit dem Instrument der Ermächtigung sollte auf den vorhandenen Bedarf der häufig traumatisierten Geflüchteten an psychotherapeutischer Versorgung reagiert und Versorgungslücken geschlossen werden. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Barrieren sieht die BAfF die Gefahr, dass das Instrument der Ermächtigungsregelung in der Praxis sein Ziel verfehlen könnte und ins Leere läuft, wenn nicht weitere Schritte eingeleitet werden.

 

 

[1] Vgl. Versorgungsbericht zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland, 2. aktualisierte Auflage (2016).https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2016/05/Versorgungsbericht_ 2015.pdf. Zugriff am 11.07.2016.

[2] Gestellte Anträge: Bayern: 2; Baden-Württemberg: 7, Berlin: 49, Brandenburg: 2; Bremen:4; Hamburg: 4; Hessen: 7; Mecklenburg-Vorpommern: 0; Niedersachsen: 6; Nordrhein: 8; Rheinland-Pfalz: 9; Sachsen: 3; Sachsen-Anhalt: 0; Schleswig-Holstein: 1; Thüringen: 1; Westfalen-Lippe: 10; Saarland: 2.

 

[3] Genehmigte Anträge: Bayern:1; Baden-Württemberg:3 ; Berlin: 36, Hamburg: 1; Niedersachsen: 6; Rheinland-Pfalz:7; Sachsen: 2; Westfalen-Lippe: 9; Saarland: 1.

 

[4] Vgl. Flory, L., Schriefers, S., Baron, J. et. al: Abgewiesen. Weitergeschickt. Vertröstet. Verloren im deutschen Gesundheitssystem. Versorgungsbericht zur Situation von Geflüchteten in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. (2016). https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2008/05/BAfF_Abgewiesen-Weitergeschickt-Vertroestet.pdf Zugriff am 17.08.2016.

 

[5] Sachsen: 1, Berlin: 1.

 

[6] Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 21.05.1952, 2 BvH 2/52) ist maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung ergibt. Der Wortlaut der Norm spricht davon, dass die Ermächtigung für die Versorgung von Empfängern laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG erteilt wird.

 

[7] BR-Drucksache 447/15, S. 14.

 

[8]Ebenda.

 

[9] BT-Drs. 18/9009, S. 17, Frage 27.

 

[10] Die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz beträgt bundesweit durchschnittlich etwa 6 Monate. Vgl. http://www.bptk.de/uploads/media/20151022_BPtK_Ratgeber_Ermaechtigung_Fluechtlinge_sichtbar.pdf Zugriff am 17.08.2016.

[11] Bundesministerium für Gesundheit, Annette Widmann-Mauz, Schriftliche Fragen im August 2016, Arbeitsnummer 8/264,  08.09.2016.