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Abschottung um jeden Preis? Wie sich die geplanten Ankerzentren auf Geflüchtete, Traumatisierte und die Gesellschaft auswirken

Stellungnahme der BAfF zum Konzept der Ankerzentren

Die Stellungnahme als pdf

Foto von MichaelGaida (CC0 / pixabay.de)

In den von der Bundesregierung geplanten Ankerzentren soll künftig das komplette Asylverfahren abgewickelt werden. Der Begriff des „Ankerzentrums[1]“ umfasst dabei den Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungsprozess. Nach den aktuell bekannten Plänen sollen im Spätsommer bis Herbst bis zu sechs Pilot-Zentren eröffnet und mit bis zu 1.500 Personen je Zentrum belegt werden. Erwachsene alleinstehende Asylsuchende sollen bis zu 18, Familien bis zu sechs Monate in den Ankerzentren bleiben.[2]

Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V. hat analysiert, welche Konsequenzen das Ankerkonzept auf Grundlage der bislang bekannten Eckpunkte für die Rechte und den Gesundheitszustand psychisch erkrankter und/oder traumatisierter Geflüchteter zu erwarten sind. Im Folgenden wird dargestellt,

 

  1. dass sich unter den Bedingungen, die für die geplanten Ankerzentren bislang bekannt sind, zahlreiche Faktoren identifizieren lassen, die in Wissenschaft und Behandlungspraxis als Risikofaktoren für die Gesundheit von Schutzsuchenden bekannt sind. Exklusion, fehlende Selbstbestimmung sowie der eingeschränkte Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereichen (Arbeit, Bildung, Gesundheitssystem, soziale Unterstützung) gelten als Bedingungen, die insbesondere bei bereits psychisch belasteten Personen zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustands führen können;
  2. dass die Identifizierung und Versorgung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter, wie sie u.a. die EU-Aufnahmerichtlinie vorsieht, insbesondere im Falle traumatisierter Geflüchteter Zeit, eine vertrauensvolle, geschützte Atmosphäre und fachkundiger Personen bedarf, die für die speziellen Bedarfe dieser Gruppe sensibilisiert sind. Es fehlt seit vielen Jahren an Konzepten zur Erkennung und bedarfsgerechten Unterstützung dieser besonders vulnerablen Personengruppe, so dass für die Ankerzentren zu erwarten ist, dass eine große Mehrheit der Betroffenen unerkannt bleibt und nicht den Schutz erhält, der ihnen zusteht;
  3. dass unklar bleibt, wie traumatisierten Asylsuchenden die Verfahrensgarantien gewährt werden sollen, die sie für die Bewältigung des Asylverfahrens benötigen und sie vor diesem Hintergrund auch im Asylverfahren massiv benachteiligt werden könnten;
  4. dass die Ghettoisierung von Geflüchteten außerhalb der kommunalen Infrastruktur voraussichtlich nicht allein den Betroffenen selbst zu schaden droht, sondern vielmehr zu befürchten ist, dass dadurch auch die gesellschaftliche Spaltung weiter verstärkt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit neuer Nährboden gegeben wird;
  5. dass eine migrationspolitische Relativierung des Menschenrechts auf Gesundheit zum Zwecke der „Anreizminimierung“ nur um den Preis massiver gesundheitlicher Folgeschäden zu haben sein wird, die in keiner Relation zum angestrebten Ziel steht und schwere Menschenrechtsverletzungen als Gründe der Schutzsuchenden für ihre Flucht verkennt.

 

Psychosoziale Folgen der Unterbringung in Ankerzentren – Risikofaktoren für die psychische Gesundheit

Die flächendeckende Kasernierung von geflüchteten Menschen, wie sie mit den Ankerzentren geplant ist, bedeutet für diese, dass sie in Zwangsgemeinschaft mit einer Vielzahl anderer Geflüchteter – angedacht sind Größenordnungen von 1.000 – 1.500 Menschen – über einen langen Zeitraum auf engstem Raum untergebracht werden. Sie müssen dort bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens und bei Ablehnung bis zur Abschiebung verbleiben. Ihre Bewegungsfreiheit wird für eine lange Zeit eingeschränkt, sie unterliegen der Residenzpflicht.

Die Lebensbedingungen in derartigen Unterkünften sind strukturiert durch die Unterbringung in Mehrbettzimmern und beengten Wohnverhältnissen, Privatsphäre gibt es nur sehr unzureichend, ebenso gibt es keinerlei Rückzugsräume. Den Bewohner*innen ist es untersagt, sich selber das von ihnen bevorzugte oder gewohnte Essen zuzubereiten, die Mahlzeiten und Essenszeiten sind vorgegeben. Eigene Kochmöglichkeiten existieren nicht, Lebensmittel dürfen nicht mit in die Unterkünfte genommen werden. Den Bewohner*innen ist es außerdem verboten, eine Arbeit, Ausbildung oder ein Studium aufzunehmen, für Kinder und Jugendliche ist der Besuch einer Regelschule untersagt. Die Anwesenheit in den Unterkünften wird kontrolliert, der Ein- und Ausgang in die Unterkünfte wird bewacht und reglementiert. Die Tagesstruktur der Bewohner*innen wird auf Basis all dieser Vorgaben bestimmt durch erzwungene Untätigkeit und Warten. Es gibt nichts zu tun, nichts wofür sie sich einbringen oder engagieren können. Ihre Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf ihre weitere Perspektive, ihr berufliches und existentielles Dasein wird beschränkt auf das Ausharren in der Unterkunft.

Es konnte in mehreren wissenschaftlichen Studien gezeigt werden, dass das Leben von Geflüchteten in Unterkünften, die die beschriebenen Merkmale aufweisen, einen negativen Einfluss auf ihre gesundheitliche Situation hat. Eine derartige Unterbringung führt zu massiven psychischen Belastungen bzw. verstärkt vorhandene Belastungen.[3] Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen sind Probleme bei der Arbeitssuche und damit zusammenhängend eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten, Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung sowie Schwierigkeiten bei der Familienzusammenführung[4] – Bedingungen, von denen auch die Bewohner*innen in den geplanten Ankerzentren betroffen wären.

Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist: Wirken mehrere dieser Faktoren zusammen, entsteht ein erhöhtes Risiko für die Betroffenen psychisch zu erkranken.[5] In den Ankerzentren fließen Risikofaktoren konzeptionell zusammen. Damit wird eine massive gesundheitliche Gefährdung der Bewohner*innen in Kauf genommen. Dabei weisen viele Geflüchtete vor dem Hintergrund der traumatischen Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht ohnehin bereits eine erhöhte Vulnerabilität für die Entwicklung psychischer Krankheiten auf.[6]

Der systematische Ausschluss von Geflüchteten aus Gesellschaft, Bildungs- und Arbeitssektor ist mit langfristigen negativen Auswirkungen auf ihre sozialen, materiellen und kulturellen Teilhabechancen verbunden, auch dann, wenn später ein sicherer Aufenthalt und damit verbunden eine weitreichendere rechtliche Gleichstellung erhalten wird.[7] Wer keine Regelschule besuchen oder eine Arbeit aufnehmen darf, wem der Zugang verhindert wird zum Aufbau von sozialen Kontakten oder Unterstützung etwa durch Nachbar*innen oder Ehrenamtliche, wer nicht aktiv werden oder sich in der Kommune engagieren kann, dem oder der wird es schwer fallen, die deutsche Sprache zu lernen und in diesem für sie oder ihn fremden Land anzukommen. Zivilgesellschaftlichen Akteur*innen wie Nichtregierungsorganisationen oder Ehrenamtlichen, die Unterstützung oder Begleitung anbieten möchten, wird in den Einrichtungen, die als Vorbild für die Ankerzentren gelten, der Zugang verweigert bzw. erschwert. Die Bewohner*innen bleiben weitestgehend isoliert. Die von der gesellschaftlichen Infrastruktur der Kommunen abgeschotteten Einrichtungen laden nicht zum Engagement ein.

Dabei gilt soziale Unterstützung als eine der wichtigsten psychotraumatologischen Schutzfaktoren.[8] Das umfasst nicht nur die konkrete Hilfeleistung durch die Mitglieder eines sozialen Netzwerkes, sondern Menschen erleben sich durch soziale Unterstützung auch zugehörig zu anderen Menschen bzw. einer Gemeinschaft, erhalten Anerkennung für ihre Schwierigkeiten, ihr Leiden und entwickeln in der Folge das Gefühl von Sicherheit oder Aufgehobensein. Dies alles wird in den Ankerzentren verunmöglicht und ist mit psychosozialen Folgekosten für die Bewohner*innen verbunden.

Geflüchtete, die in abgelegenen oder abgeschirmten Unterkünften untergebracht sind, sind vorrangig auf die anderen Bewohner*innen verwiesen und leiden sehr unter dem sozialen Ausschluss. Viele wünschen sich private Beziehungen zu Deutschen bzw. zu Menschen, die nicht ihrer Herkunftsregion entstammen. Insbesondere Menschen, die aus Konfliktgebieten geflohen sind oder einer Minderheit angehören (ethnisch, religiös, sexuell, etc.) meiden häufig explizit Kontakt zu Menschen aus ihrer Herkunftsregion, um sich zu schützen. Mit den Ankerzentren wird ein System etabliert, welches genau die Faktoren verhindert, die geflüchteten Menschen dabei helfen, ihre schwerwiegenden Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht zu überwinden und Gesundheit bzw. psychische Adaption und Stabilisierung ermöglichen.

Diese Form verordneter Untätigkeit, fehlender Möglichkeiten, die Zukunft zu planen oder zu gestalten und für die eigene Sicherheit zu sorgen, führt zu Gefühlen der Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein und die Situation nicht kontrollieren zu können, wiederholt sich im Aufnahmeland, dort wo Geflüchtete Sicherheit und Schutz erwarten. Ohne äußere Sicherheit kann keine psychische Stabilisierung erfolgen. Gerade für Menschen, die traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, sind diese Aspekte von besonderer Bedeutung für ihre Genesung. Die Situation stellt sich für die Bewohner*innen in den geplanten Ankerzentren jedoch als Fortdauer von Unsicherheit und Gefahr dar, sie bleiben im Gefahrenmodus. Auch die räumlichen Gegebenheiten in den Unterkünften bieten keine ausreichende Sicherheit: Das eigene Zimmer ist beengt und bietet keine Ruhe. Häufig gibt es keine Möglichkeit die Türen abzuschließen. Die Sanitäranlagen werden gemeinschaftlich genutzt, was dazu führt, dass der Weg nachts dorthin oftmals nicht von Frauen alleine beschritten wird. Alleinreisende Frauen nehmen teilweise ihre Kinder mit, um mit dieser Situation des Ausgeliefertseins und der Angreifbarkeit umzugehen. Möglichkeiten und Räume der Entspannung oder Erholung existieren nicht. Der Stresslevel bleibt unter den gegebenen Lebensbedingungen in den geplanten Ankerzentren dauerhaft hoch.

Die Unsicherheit und der fehlende Schutz werden für die Bewohner*innen darüber hinaus dadurch verstärkt, dass sie immer wieder die Abschiebung von Bewohner*innen dieser Unterkünfte miterleben. Auch wenn Menschen (noch) nicht selber von einer erzwungenen Rückkehr in ihr Herkunftsland betroffen sind, führt das Miterleben der unfreiwilligen, meist nächtlich durchgeführten Abschiebungen anderer zu einer Situation permanenter Angst und Bedrohung. Dies ist für alle Bewohner*innen, insbesondere aber für Kinder und Jugendliche, in den Unterkünften äußerst belastend und führt zu einem Zustand andauernder Angst und Panik.[9] Für Traumatisierte setzt sich der Traumatisierungsprozess fort, das Gefühl von existentieller Unsicherheit, Ohnmacht und Ausweglosigkeit bleibt bestehen.

Unter den geschilderten Bedingungen steigt der psychische Druck für die Bewohner*innen derartiger Unterkünfte und kann sich krisenhaft zuspitzen. Die starke Zunahme der Fälle von Suiziden und Suizidversuchen von Geflüchteten[10] ist besorgniserregendes Abbild davon, was passiert, wenn Geflüchtete derart verzweifelt sind und keine Lebensperspektive (mehr) haben.

Wie können Anzeichen von psychischer Belastung oder einer psychischen Krise in Massenunterkünften, wie sie mit den Ankerzentren geplant sind, wahrgenommen und erkannt werden? In derartigen Massenunterkünften kann ein Beratungs- oder Behandlungsbedarf nur in Einzelfällen gesehen werden. Die Anzahl der untergebrachten Menschen sowie der sehr niedrige Personalschlüssel verunmöglichen eine systematische Identifizierung von psychisch belasteten Menschen und damit die Einleitung von weiterer Hilfe und Behandlung. Externe Hilfe oder psychosoziale Beratung steht den Menschen in den Unterkünften vor dem Hintergrund restriktiver Zugangskontrollen nicht zur Verfügung. Es besteht kein Zugang zur Versorgung von traumatisierten, behandlungsbedürftigen Geflüchteten. Sie bleiben mit ihren psychischen Belastungen, Störungen und Krisen allein.

 

 

Nichtberücksichtigung der besonderen Situation von Traumatisierten und Überlebenden von Folter

Das Asylverfahren stellt besondere Anforderungen an Geflüchtete. Abhängig von biographischen Erlebnissen und der jeweiligen Vulnerabilität einer Person z.B. aufgrund ihres Gesundheitszustands oder ihres Alters können geflüchtete Menschen diese Anforderungen unterschiedlich gut bewältigen. So leiden Menschen, die z.B. aufgrund ihrer Gewalterfahrungen im Herkunftsland oder auf der Flucht traumatisiert sind, in vielen Fällen unter psychischen Störungen, die sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten im Asylverfahren behindern können.

Das europäische Recht trägt dieser Problematik Rechnung und zählt Asylsuchende mit psychischen Erkrankungen sowie Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben oder Opfer von Menschenhandel geworden sind, zu den besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden. Auf deren speziellen Unterstützungsbedarf muss sowohl im Rahmen der sozialen Rechte bei der Aufnahme, wie z.B. in Bezug auf die Unterbringung und die Versorgung als auch bezogen auf die Bewältigung des Asylverfahrens, angemessen reagiert werden.

 

Keine angemessene Berücksichtigung der besonderen Aufnahmebedürfnisse

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass beurteilt werden muss, ob eine Person als besonders schutzbedürftig gilt und welche Bedarfe daraus folgen. In einigen Bundesländern gibt es vereinzelte Modelle[11], wie dies auch bei schwer erkennbaren psychischen Erkrankungen erfolgen kann. Doch die Mehrzahl der Bundesländer verfügt bislang über keine tragfähigen Vorgehensweisen, wie die besondere Schutzbedürftigkeit und die daraus resultierenden besonderen Bedürfnisse bei der Aufnahme überprüft werden. Außerdem greifen einige Modelle erst nach der Verteilung auf die Kommunen[12], was bedeutet, dass diese Modelle nicht für Ankerzentren anwendbar sind.

Die Erfahrungen der BAfF und der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer zeigen, dass es stark vom individuellen Engagement, dem Personalschlüssel und der Qualifikation der Sozialdienste in den Erstaufnahmeeinrichtungen sowie dem Einsatz ehrenamtlicher Unterstützer*innen abhängig ist, ob Hinweise auf besondere Belastungen und Bedarfe erkannt und verfolgt werden. Für die betroffenen Geflüchteten sind damit oft Zufall, Glück und Beharrlichkeit die entscheidenden Weichen auf dem Weg in die Hilfesysteme. In der Praxis werden allenfalls extreme Verhaltensweisen wie deutlich (auto)aggressives Verhalten bemerkt und weniger die leiser, unsichtbarer, allerdings mindestens ebenso häufig auftretenden depressiven Reaktionen auf Belastung.

Die zentrale und isolierte Unterbringung aller Geflüchteten in Ankerzentren droht diese Situation weiter zu verschärfen. So ist aus Einrichtungen wie den bayrischen Transitzentren bekannt, dass die Bewohner*innen aufgrund der abgeschotteten Lagerunterbringung kaum Zugang zu Strukturen haben, die eine Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit erleichtern könnten.

Die Aufnahmerichtlinie bestimmt, dass nachdem die besondere Schutzbedürftigkeit festgestellt wurde, geprüft werden muss, ob besondere Bedürfnisse bei der Aufnahme während des Asylverfahrens bestehen. So muss beispielsweise gewährleistet werden, dass eine traumatisierte Person Zugang zu einer psychologischen Behandlung erhält, wenn sie einer solchen bedarf. Dass in der Umgebung der Ankerzentren jedoch hinreichend Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen für die erforderliche Behandlung zur Verfügung stehen werden, ist nicht abzusehen. Außerdem ist nicht klar, wie die für die Therapie erforderliche Sprachmittlung sichergestellt werden soll.

Außerdem muss sichergestellt werden, dass Personen ihren psychischen Erkrankungen entsprechend adäquat untergebracht werden. Für traumatisierte Personen ist es essentiell, dass etwa Rückzugsorte gewährleistet sind.

 

Keine ausreichende Berücksichtigung der besonderen Verfahrensgarantien

Asylsuchende sind verpflichtet, in der Anhörung die eigene Fluchtgeschichte vollständig darzulegen.[13] Menschen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, können dieser Verpflichtung nicht immer vollständig ohne Unterstützung nachkommen.

Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass Menschen, die aufgrund des Erlebten eine Traumafolgestörung entwickelt haben, in vielen Fällen nicht ad hoc und ohne psychosoziale Unterstützung in der Lage sind, in einem konsistenten Narrativ über diejenigen Aspekte des eigenen Schicksals zu sprechen. Dies ist für das Asylverfahren allerdings relevant. Die Betroffenen können aus Angst, Scham oder aufgrund störungsspezifischer Vermeidungsprozesse häufig nur karge Aussagen machen.

Es muss aber sichergestellt werden, dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, ihre Fluchtgründe sowie ihre Furcht vor einer Rückkehr in ihr Herkunftsland darlegen zu können. Dies kann z.B. durch den Einsatz von Anhörer*innen geschehen, die für die Anhörung Traumatisierter geschult wurden, und durch die Gewährung von mehr Zeit.

Um zu wissen, wer diese besonderen Verfahrensgarantien benötigt, sieht auch die Verfahrensrichtlinie[14] vor, dass die Mitgliedstaaten innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Stellung des Asylantrages prüfen, ob besondere Verfahrensgarantien benötigt werden.  In der Praxis ist aber bekannt, dass eine solche Prüfung seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht durchgeführt wird. Ein Konzept, wie die Prüfung erfolgen soll, gibt es nicht.[15] Das hat zur Konsequenz, dass insbesondere bei Personen mit psychischen Erkrankungen sowie Überlebenden von Folter, Vergewaltigung und/oder anderer schwerer Gewalt Hinweise auf ihre besondere Schutzbedürftigkeit für Außenstehende häufig unerkannt bleiben. Wird aber nicht erkannt, dass der oder die Asylsuchende traumatisiert ist, wird der Asylvortrag nicht selten als unglaubhaft abgelehnt. Das entspricht nicht den klaren gesetzlichen Anforderungen.

Beispiel: Ein junger Afghane ist alleine mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen. Sein Vater wurde entführt, sein Bruder von den Taliban erschossen. Er kann nicht schlafen, sich nicht konzentrieren. Um seine Gedanken zu betäuben, drückt er sich Zigaretten auf dem Arm aus. In der Anhörung gibt er an, dass er sich an Detailfragen des Geschehens nicht erinnert und dass er sich insgesamt nur noch sehr schlecht an Dinge erinnern kann. Niemand hat geprüft, ob der Junge an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden könnte. Der Asylantrag wurde abgelehnt.

Dieses Problem ist nicht neu[16], es wird sich aber durch die Einrichtung von Ankerzentren weiter zuspitzen.

Wie bereits dargelegt, werden in der Praxis viele der Hinweise darauf, dass eine Person beispielsweise traumatisiert ist, durch Ehrenamtliche, Sozialarbeitende oder Rechtsanwält*innen dem BAMF mitgeteilt. Durch die weitere Beschleunigung der Asylverfahren in den Ankerzentren und den Ausschluss der Zivilgesellschaft ist abzusehen, dass gerade im Falle von psychischen Erkrankungen nicht erkannt wird, dass eine Person besondere Unterstützung zur Durchführung des Asylverfahrens benötigt. Das führt dazu, dass Asylanträge abgelehnt werden, ohne dass die Fluchtgründe tatsächlich geprüft werden konnten.

In Fällen, in denen ein*e Asylsuchende*r schwere körperliche Gewalt oder Folter erlebt hat, ist es zuträglich, wenn Dokumente über die noch bestehenden Verletzungen und Narben vorgelegt werden. Dies ist in den Ankerzentren nicht möglich.

Beispiel: Ein junger Somalier wurde in seinem Heimatland von der Al Shabaab-Terrormiliz festgehalten und von einem Kämpfer mit dem Gewehr in den Nacken geschlagen, um ihn dafür zu bestrafen, dass er sich der Miliz bislang nicht angeschlossen hat. Der junge Mann erlitt eine schwere Schädigung der Halswirbel und leidet seither an starken Schmerzen. Er konnte über die Verletzungen keine ärztliche Dokumentation vorlegen. Der Asylantrag wurde abgelehnt.

 

Keine Möglichkeit der Beibringung von ärztlichen oder therapeutischen Stellungnahmen im Asylverfahren

Asylsuchende sind im Rahmen des Asylverfahrens neben der Darlegung der Fluchtgeschichte verpflichtet, Nachweise vorzulegen, die ein krankheitsbedingtes Abschiebeverbot belegen können.[17] Hierfür verlangt das BAMF vermehrt – entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes –, dass es erforderlich sei, eine sogenannte qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorzulegen, um krankheitsbedinge Abschiebungsverbote im Asylverfahren zu begründen.[18] Hierbei handelt es sich um ärztliche Bescheinigungen, die die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.

Da in den Ankerzentren nicht vorgesehen ist, dass die Asylsuchenden Zugang zu niedergelassenen Ärzt*innen und Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer haben, ist es ihnen quasi unmöglich, der Pflicht zur Beibringung von Bescheinigungen nachzukommen. Laut Berichten des Bayerischen Flüchtlingsrates besteht im Transitzentrum in Bamberg, welches als Modell für die Einführung von Ankerzentren gilt, lediglich eine medizinische Sprechstunde.[19] Außerhalb der Sprechstundenzeiten ist eine medizinische Versorgung nicht sichergestellt Eine weitergehende Versorgung oder Vermittlung an Fachärzt*innen findet in den Ankerzentren nicht statt. Zum Teil entscheiden Sicherheitskräfte in diesen Fällen, wie dann weiter zu verfahren ist.[20] Es wird somit nahezu unmöglich sein, die hohen Anforderungen der Dokumentationspflicht für die Gewährung eines Abschiebeverbots aus gesundheitlichen Gründen zu erfüllen.

 

Gesellschaftliche Folgen der Exklusion

 

Die flächendeckende Kasernierung von geflüchteten Menschen ist nicht nur für diese selber mit massiven Auswirkungen für die psychische Gesundheit verbunden und hat eine extreme Beschneidung ihrer Möglichkeiten zur gesellschaftlicher Teilhabe und Entwicklung von (Überlebens-)perspektiven zur Folge. Eine Kasernierung von Geflüchteten, wie sie in den Ankerzentren geplant ist, ist auch mit negativen Auswirkungen für die Gesellschaft verbunden.

Die gezielte Ausgrenzung einer Gruppe von Menschen – den Geflüchteten – prägt die Art und Weise des Zusammenlebens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts mit negativer Folge. Der Stellenwert und das Ausmaß der Heterogenität von Menschen, deren Anerkennung und damit einhergehend die Ermöglichung von Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen oder Interessen wird verschlechtert. Die Ausgrenzung beeinflusst auch das Potential und die Bereitschaft der Gesellschaft, in Notsituationen über die eigene Bedürfnisbefriedigung hinaus zu gehen und anderen Menschen Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen.

Die Unterbringung von Geflüchteten in lagerähnlichen Massenunterkünften führt dazu, dass der einzelne Mensch, der oder die einzelne Schutzsuchende unsichtbar wird. Sichtbar ist nur das Lager. Die geplanten Ankerzentren sind in diesem Zusammenhang nicht nur Orte der Unterbringung, sondern stehen für eine institutionelle Ausgrenzung aus der Gesellschaft.

Die dort untergebrachten Menschen sollen nur übergangsweise dort sein, so lange, bis ihr Asylanliegen kontrolliert und geprüft und beschieden worden ist. Entsprechend haben diese Unterkünfte provisorischen Charakter; sie sind nicht zum dauerhaften Aufenthalt, zum Leben und Wohnen gedacht. Ihre baulichen Gegebenheiten, beengten Wohnverhältnisse ohne Privatsphäre, die vorhandenen niedrigen Standards in Bezug auf Hygiene und Versorgung, markieren dies auch nach außen. Und dass, obwohl eine Vielzahl von Menschen über viele Monate in den Ankerzentren leben müssen.

Die Ankerzentren haben somit einen deutlich appellativen Charakter, nach innen und nach außen: Den Bewohner*innen signalisieren sie, dass sie nicht willkommen und Teil der Gesellschaft sind, sie verfügen nicht über die gleichen Rechte und Ansprüche, ihre Lebensbedingungen sind ausgerichtet auf einen geringen Standard. Sie wurden lediglich aufgenommen, um die Glaubhaftigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Anliegens zu prüfen. Bis dahin haben sie auszuharren und zu warten.

Nach außen hin markieren die Lager ebenso eine Grenze: sie grenzen ab von der umliegenden Gesellschaft, den dort geltenden Regeln und Gesetzen, den gesellschaftlich erreichten Lebensbedingungen und Lebensmöglichkeiten.[21] Sie grenzen insbesondere ab von den Menschen „draußen“, der umgebenden Bevölkerung. Die Ankerzentren symbolisieren Orte der Abgrenzung.

Die Charakteristika dieser lagerartigen Unterbringung beziehen sich jedoch nicht alleine auf die Einrichtung als solche und die dort geltenden Bedingungen. Vielmehr übertragen sie sich auch auf die Menschen, die in diesen Einrichtungen untergebracht sind. Durch ihre besondere Unterbringungsform wird ihre Andersartigkeit betont. Sie werden kategorisiert als „Fremde“ und „Andere“, vor allem sind sie anders als „wir“, die Gesellschaft, der sie nicht angehören. Damit verbunden sind Abwertungsprozesse, die ihre Ungleichbehandlung legitimiert: die Schutzsuchenden werden zu Objekten, die kontrolliert und geprüft werden und zu diesem Zwecke besonders verwahrt werden müssen. Ihre soziale Stellung ist durch die Unterbringungs- und Lebensbedingungen abgewertet und führt zu öffentlicher Stigmatisierung.[22] Diese Lebensrealität produziert Bilder von Menschenmassen, die in Armut leben, nicht arbeiten dürfen, unter unhygienischen Bedingungen leben, oder sich aus unrechten Gründen in Deutschland aufhalten. Die weiteren mit solchen Lagern verbundenen Strukturen und Maßnahmen wie die Umschließung mit Stacheldraht, die Ausstattung mit Sicherheitspersonal sowie strengen Ein- und Ausgangskontrollen legen einen Bedeutungszusammenhang nahe, dass Geflüchtete potentiell gefährlich sind und von der Gesellschaft abgeschottet werden müssen. [23]

Eine derartige Symbolik kann nur Angst erzeugen: Angst vor dem Anderen. Die Bewohner*innen sind in dieser Logik und unter diesen Bedingungen nicht mehr sichtbar als Schutzsuchende, die ihre Heimat, ihre Besitztümer, ihr soziales Umfeld, ihre Arbeit und Verdienstmöglichkeiten vor dem Hintergrund von Krieg, politischer Verfolgung und Gewalt verlassen mussten. Sie sind auch nicht mehr sichtbar als Menschen: als Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern, als Freund*innen, die füreinander da sind, als begeisterte Sportler*innen oder begnadete/r Koch/Köchin. Sie sind nicht mehr sichtbar in ihrer Individualität und ihrer Unterschiedlichkeit in Bezug auf ihre Religion, ihre Herkunft, ihrem sozialem und Bildungshintergrund, ihren Fähigkeiten und Interessen. Sie werden zu einer Masse von Gleichen, die anders sind. Unsere Wahrnehmung verschiebt und verengt sich.

Indem das „Wir“ und „Ihr“ besondere Betonung erfährt, spalten wir unsere Gesellschaft. Das Narrativ der Geflüchteten, die anders sind, in gesonderten Unterkünften untergebracht, kontrolliert werden müssen, erfährt ständige Reproduktion. Eine differenziertere Betrachtung von Fluchtursachen, den psychischen Auswirkungen des Erlebens von Folter, Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen und dem besonderen Schutzbedarf kann in diesem Diskurs nur noch schwer wahrgenommen werden. Aktivitäten der Gesellschaft, die Mitgefühl und Solidarität ausdrücken für Menschen, die Not erlitten haben und Schutz suchen, werden unter der Prämisse der Notwendigkeit der Abgrenzung von Geflüchteten unterdrückt und verhindert.

Die Abwertung von Geflüchteten als die „Anderen“ und die damit verbundene Angst vor diesen „Anderen“ führt nicht nur dazu, dass diese unter der Ausgrenzung und Absonderung massiv leiden und sich psychische Belastungen weiter verstärken. Eine solche aktiv betriebene Spaltung der Gesellschaft in „Deutsche“ und „Geflüchtete“ befördert Ungleichheitsideologien und bereitet damit den Nährboden für Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt. Umgekehrt lässt sich feststellen, dass in den Bundesländern und Kommunen, in denen einer solche Spaltung auf struktureller Ebene entgegen gewirkt wird, indem Geflüchtete dezentral untergebracht werden, die Bevölkerung in Bezug auf die Aufnahme von Geflüchteten informiert und beteiligt wird sowie Geflüchtete in das Leben vor Ort eingebunden werden, die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung steigt und unterstützende Reaktionen hervorgerufen werden.[24] Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt ohne Hass und Gewalt erfordert die Überwindung der Spaltung und die Bereitstellung von Räumen zwischenmenschlicher Begegnung.

Das mit den Ankerzentren betriebene institutionelle Othering durch Ausgrenzung, Ungleichbehandlung und nach außen betriebene Abwertung beraubt einer Gesellschaft ihrer Möglichkeiten, notleidenden Menschen zu begegnen und sich solidarisch über die eigenen Bedarfe hinaus für eine tragfähige und stabile Gemeinschaft zu engagieren. Eine Gesellschaft ohne Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt gegen „Fremde“ oder „Andere“ braucht entsprechende gesellschaftliche und psychologische Voraussetzungen für Akzeptanz: Kategorisierungen und Abwertungen von Menschengruppen, konkret geflüchteten Menschen, sind für dieses Ziel zu vermeiden.[25]

Wenn sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran zeigt, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht, ist eine Gesellschaft, die flächendeckend Ankerzentren einführen möchte, als unmenschlich zu diagnostizieren.

 

Begrenzung des Rechts auf Gesundheit als Anreizminimierung

 

Als zentrales Argument für die Unterbringung von Geflüchteten in den Ankerzentren prägt bisher vor allem die Erleichterung von Abschiebungen die Debatte. Darüber hinaus signalisieren insbesondere Akteur*innen, die die bayrischen Transitzentren als Vorbilder für die bundesweite Einrichtung von Ankerzentren empfehlen, dass man bei der Ausgestaltung der Aufnahme- und Versorgungsbedingungen auch darauf achten müsse, die Anreize für eine Flucht nach Deutschland zu minimieren.[26] Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird in jüngster Zeit wieder verstärkt als sogenannter „Pull-Faktor“ diskutiert[27] – obwohl er für Asylsuchende in Deutschland ohnehin mit hohen Barrieren behaftet ist. Die Debatte geht inzwischen bis hin zu Forderungen, den Zugang zum Gesundheitssystem auf eine Akutversorgung zu beschränken, damit kein Anreiz bestehe, den Aufenthalt in Deutschland im Falle eines abgelehnten Asylantrages durch eine Klage zu verlängern.[28]

Diese Argumentation ist nicht nur medizinethisch problematisch. Hier wird eine migrationspolitische Relativierung des Menschenrechts auf Gesundheit für eine gesamte Personengruppe gefordert, ohne dass es empirische Belege dafür gäbe, dass Gesundheitsversorgung tatsächlich zu den Gründen gehört, für die Menschen eine lebensgefährliche Flucht auf sich nehmen.[29] Hier wird nicht nur verkannt, dass es in der Regel schwere Menschenrechtsverletzungen sind, die dazu führen, dass Menschen ihre Herkunftsländer verlassen müssen. Ein universelles Menschenrecht wird zum Bürgerrecht degradiert, obwohl es dem Völkerrecht nach allen Personen, die sich auf dem Gebiet der BRD aufhalten, unabhängig von Herkunft, Nationalität und Aufenthaltsstatus gewährt werden muss.[30] Und das, ohne zu wissen, ob der postulierte Anreiz-Effekt überhaupt existiert.

In die Debatte eingebunden ist inzwischen auch eine Argumentationslinie, in der skizziert wird, die restriktiven Aufnahme- und Versorgungsbedingungen in den Ankerzentren würden für Menschen mit guter Bleibeperspektive lediglich für einen kurzen Zeitraum gelten. Für diejenigen, denen eine schlechte Bleibeperspektive unterstellt wird, sei letztlich auch der Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Rückkehr ins Herkunftsland nachrangig, weil auch dort ggf. noch eine Behandlung der Erkrankungen eingeleitet werden könne. Hier wird übersehen, dass u.a. die Garantien aus der EU-Aufnahmerichtlinie für die erforderliche medizinische oder erforderlichenfalls auch psychologische Hilfe für erkrankte Asylsuchenden von Anfang an und während des gesamten Asylverfahrens zustehen – unabhängig von der angenommenen Bleibeperspektive.

Eine migrationspolitisch motivierte Einschränkung dieser Garantien zum Zwecke der „Anreizminimierung“ wird jedoch nur um den Preis massiver gesundheitlicher Folgeschäden für alle Schutzsuchenden zu haben sein. Während die Studienlage zum Einfluss von Postmigrationsstressoren auf die Gesundheit deutlich zeigt, welche Gefahren das Ankerkonzept für die Betroffenen birgt, fehlt für die angenommene Wirksamkeit der durch diese Zentren intendierten Effekte jeglicher Nachweis.

Insgesamt bleibt unklar, welchen Mehrwert das Konzept der Ankerzentren letztlich für faire Asylverfahren, für die Integrationsperspektiven der Schutzsuchenden, aber auch für den flüchtlingspolitischen Diskurs und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland erzielen soll.

 

Vor diesem Hintergrund lehnt die BAfF das Konzept der Ankerzentren ab. Eine bedarfsgerechte Identifizierung, Beratung und Versorgung wird unter den Bedingungen der Isolation nicht möglich sein. Insbesondere traumatisierte Flüchtlinge brauchen Zeit, einen adäquaten Zugang zu Gesundheitsversorgung und angemessene Unterbringungsbedingungen. Ankerzentren führen zu gesellschaftlicher Spaltung und der Ausgrenzung.

 

 

[1] Die Bundesregierung nutzt die Schreibweise „Ankerzentren“ als Abkürzung für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“. Zur Vereinfachung verwenden wir die Variante „Ankerzentren“.

[2] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag.pdf;jsessionid=
5658DB168A0098A68BBE5BC410790295.s7t2?__blob=publicationFile&v=5
. Zugriff am 14.06.2018.

[3] Gavranidou et al. (2008): Traumatische Erfahrungen, aktuelle Lebensbedingungen im Exil und psychische Belastungen junger Flüchtlinge. Kindheit und Entwicklung, 17(4), 224-231. Laban et al (2005): Postmigration living problems and common psychiatric disorders in Iraqi asylum seekers in the Netherlands. The Journal of Nervous and Mental Disease, 193(12), 825-832. Porter & Haslam (2005): Predisplacement and postdisplacement factors associated with mental health of refugees and internally displaced persons: A meta-analysis. JAMA: The Journal of the American Medical Association, 294(5), 602-612.

[4] Laban et al. (2005): Postmigration living problems and common psychiatric disorders in Iraqi asylum seekers in the Netherlands. The Journal of Nervous and Mental Disease, 192(12), 825-832.

[5] Nickerson, Bryant, Silvoe & Steel (2011): A critical review of psychological treatments of posttraumatic stress disorder in refugees. Clinical Psychology Review, 31(3), 399-417.

[6] Slewa-Younan, Uribe Guajardo, Heriseanu & Hasan (2915): A systematic review of post-traumatic stress disorder and depression amongst iraqi refugees locates in western countries. Journal of Immigrant and Minority Health/ Center for Minority Public Health, 17(4), 1231-1239.

[7] Vgl. Söhn &Marquardsen; Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Soziologisches Forschungsinstitut an der Universität Göttingen e.V. (SOFI) (Ed.) (2017): Erfolgsfaktoren für die Integration von Flüchtlingen. Göttingen (Forschungsbericht /Bundesministerium für Arbeit und Soziales FB484).

[8] Schweitzer, Melville, Steel & Lacharez (2006): Trauma, post-migration living difficulties, and social support as predictors of psychological adjustment in resettled Sudanese refugees. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 40, 179-187.

[9] Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2018, 14:48 Uhr. Wenn die Angst vor Abschiebung in den Suizid treibt. Zugriff unter: http://www.sueddeutsche.de/bayern/fluechtlinge-wenn-die-angst-vor-abschiebung-in-den-suizid-treibt-1.3816767. Frankfurter Rundschau vom 03.05.2018, 16:15 Uhr. Zugriff unter: http://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/linksfraktion-viele-versuchte-suizide-von-fluechtlingen-in-hessen-a-1499192. Zeit Online vom 17.05.2017, 8:47 Uhr. Zugriff unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/fluechtlinge-niedersachsen-suizidversuche-asylbewerber.

[10] Leider wird die Anzahl der Suizidversuche und Suizide von Geflüchteten nicht systematisch erfasst. In der bundesweiten Todesursachenstatistik wird der Aufenthaltsstatus als Merkmal nicht erhoben. Nur einzelne Länder bzw. Kommunen erfassen diese Vorfälle. So ist aus Bayern, Hessen und Niedersachsen bekannt, dass sich die Anzahl der Suizidversuche in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist und sich z.T. verdreifacht haben.

[11] Hager / Baron, Eine Frage von Glück und Zufall, Zu den Verfahrensgarantien für psychisch Kranke oder Traumatisierte im Asylverfahren, Beilage zum Asylmagazin 7-8/2017, S. 17 ff.

[12] Zum Beispiel im Fall von Brandenburg.

[13] §§ 15, 25 AsylG.

[14] Art. 24 RL 2013/32/EU.

[15] Hager / Baron, Eine Frage von Glück und Zufall, Zu den Verfahrensgarantien für psychisch Kranke oder Traumatisierte im Asylverfahren, Beilage zum Asylmagazin 7-8/2017, S. 17 ff.

[16] Hager / Baron, Eine Frage von Glück und Zufall, Zu den Verfahrensgarantien für psychisch Kranke oder Traumatisierte im Asylverfahren, Beilage zum Asylmagazin 7-8/2017, S. 17 ff.

[17] § 25 Abs. 2 AsylG, § 60 Abs. 7 AufenthG.

[18] Hierzu ausführlich: Hager, Atteste bei gesundheitlichen Abschiebungshindernissen – Wer darf was? Relevanz von Stellungnahmen von Psychologischen Psychotherapeut*innen im Asylverfahren, Asylmagazin 9/2017, S. 335 ff.

[19] Vgl. dazu den Bericht des Flüchtlingsrats Bayern zur Situation in den Lagern, online unter: https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/are-bamberg.html.

[20] https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/are-bamberg.html.

[21] S. Schießl, Flüchtlingsrat Niedersachsen (2018): Ankerzentren: „Normalfall“ Lager? Die Institutionalisierung der Abgrenzung. In: ProAsyl-Heft Tag des Flüchtlings 2018. Quelle: https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2018/05/2018_04_26_TDFL_Ankerzentren-Normalfall-Lager.pdf

[22] Vgl. Pieper (2013): Die Gegenwart der Lager. Zur Mikrophysik der Herrschaft in der deutschen Flüchtlingspolitik. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.

[23] Vgl. ebd.

[24] Vgl. Aumüller, Daphi & Biesenkamp (2015): Die Aufnahme von Flüchtlingen in den Bundesländern und Kommunen. Behördliche Praxis und zivilgesellschaftliches Engagement. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung.

[25] Vgl. Wagner (2017) Geflüchtete und wir – sozialpsychologische Perspektiven. In: Ghaderi C., Eppenstein T. (Hrsg.) Flüchtlinge. Springer VS, Wiesbaden.

 

[26] So kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an: «Statt Anreize in Form von Geldmitteln zu zahlen, stellen wir auf Sachleistungen um». Andererseits sehe das neue Konzept «gezielte Anreize für Ausreisepflichtige und Herkunftsstaaten durch Hilfen und Geldleistungen» vor, «um freiwillige Ausreisen zu steigern und Aufnahmebereitschaft der Herkunftsstaaten zu stärken». Quelle: Die Welt. 4. Juni 2018. Zugriff unter: https://www.welt.de/regionales/bayern/article176967164/Bayern-will-selber-abschieben-Sieben-Ankerzentren-geplant.html

[27] Vgl. u.a. zur Debatte um Geflüchtete als Medizintouristen: FOCUS online vom 22. Mai 2018. Zugriff unter https://www.focus.de/politik/deutschland/grundrecht-auf-angemessene-gesundheitsversorgung-fluechtlinge-als-medizintouristen-aerzte-beziehen-klar-stellung_id_8962093.html

[28] Vgl. u.a. der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnnen (BDVR), Robert Seegmüller, im Interview mit ZEIT online am 25. Mai 2018. Zugriff unter: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/asylverfahren-bamf-skandal-robert-seegmueller-bundesverwaltungsrichter/komplettansicht

[29] Vgl. „Gleichberechtigte Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge?“ Interview mit Dr. Verina Wild, LMU München und Universität Zürich. Bayrisches Ärzteblatt 6/2016. Zugriff unter: http://www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/aerzteblatt/ausgaben/2016/06/einzelpdf/BAB_6_2016_312_314.pdf

[30] Vgl. u.a. UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General comment No. 20: Non-discrimination in economic, social and cultural rights (art. 2, para. 2, of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 2 July 2009, E/C.12/GC/20, available at: http://www.refworld.org/docid/4a60961f2.html [accessed 6 January 2018]