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Auszüge aus dem Interview mit Herr X.

Herr X. ist 38 Jahre alt und hat vor seiner Flucht im Jahre 2005 nach Deutschland in der Türkei als Angehöriger der kurdischen Minderheit gelebt. Aufgrund seiner kurdischen Zugehörigkeit und damit verbundenen Aktivitäten, wie beispielsweise die Organisation von traditionell kurdischen Festen und Teilnahme an Demonstrationen, wurde er vom türkischen Staat verfolgt und inhaftiert. In dieser Zeit wurde er mehrfach schwer gefoltert. In Deutschland hält er sich seit seiner Flucht als Geduldeter, also mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, auf. Er befindet sich aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen in der Türkei sowie den belastenden Lebensumständen im Exil in psychosozialer Betreuung. Im ersten Teil des Interviews berichtet Herr X. von seiner Lebenssituation als Kurde in der Türkei und seiner politischen Einstellung. Herr X. hat 11 Jahren die Schule in der Türkei besucht. Dort wird er mit der Diskriminierung der Kurden  konfrontiert.

„Das heißt, wenn man in der Türkei in die Schule geht, müssen alle wie Türken denken. Man muss auch nationalistisch denken. Alle müssen gleich sein; Sie sagen auch, man muss stolz sein, ein Türke zu sein. Und wenn man in der Türkei lebt, müsse man eben Türke sein, ein anderes Volk gibt es nicht in der Türkei. Ich finde das furchtbar.“

Nach der Schule öffnet Herr X. mit seinem Bruder ein Restaurant und eine Gruppe, die traditionell kurdische Feste feiert und organisiert. Hier begibt er sich in Gefahr, da zu dieser Zeit dies in der Türkei verboten war. Er nimmt auch an Demonstrationen gegen den türkisch-kurdischen Krieg teil. Herr X. bezeichnet sich als Pazifist und es ist für ihn wichtig, sich für eine gerechte und freie Gesellschaft zu engagieren, auch wenn er eine reale Gefährdung der eigenen Person in der Türkei in einem solchen Engagement sieht.

„Ich denke, dass man in schwierigen Zeiten etwas für die Freiheit machen muss. Man kann nicht sagen, dass ist nicht meine Zeit oder nicht mein Problem. Es war ein Krieg und eine ungerechte Situation. (nachdrücklich) Ich denke man muss gegen diese Sache  ohne Waffe kämpfen. Demonstrieren oder singen.“

„Weil ich jung war, wollte ich etwas für Freiheit tun und deswegen wurde ich festgenommen.“

Aufgrund seiner folkloristischen Aktivitäten und der Teilnahme an Demonstrationen wird Herr X. im Jahr 1993 zweimal inhaftiert und schwer gefoltert. Daraufhin folgt eine ca. 10 jährige Haftstrafe. Während seiner Zeit im Gefängnis erfährt er Folter, Ermordung von Mitgefangenen und Repression, die Zeit der Inhaftierung bedeutet für ihn eine äußerst traumatische Erfahrung. Unterstützt wird er in dieser Zeit von seiner Familie. Nach der Entlassung muss Herr X. feststellen das eine Wiederaufnahme seiner alten sozialen Beziehungen, die folkloristische Gruppe wie auch seine Familie, nicht nur ihn selbst, sondern auch andere gefährden würde.

Nach dem Gefängnis wollte ich mein ganzes Leben am Wannsee mit meinen Freunden und Familie verbringen. Wir haben auch so einen See in der Türkei. Dort ist meine Familie. Aber innerhalb von drei Wochen haben sie bei uns angerufen. Sie haben mit meiner Schwester gesprochen und erst gesagt, sie wären Freunde von mir und haben nach mir gefragt. Später haben sie gesagt, dass sie die Polizei wären und dass ich zu ihnen kommen müsste. Dann haben sie gefragt, wieso ich nicht käme. Ich konnte nicht in die Stadt gehen. Wenn ich draußen war sind sie mir gefolgt. Dann habe ich verstanden: Das kann ich nicht. Ich hatte keine Kraft mehr ins Gefängnis zu gehen. Mein Körper ist schwach geworden.“

Ich kenne die Türkei gut und weiß, wenn man aus politischen Gründen im Gefängnis war, kann man danach nicht mehr einfach so leben. Alles ist schwer für einen. Man hat zwei Möglichkeiten: Wieder ins Gefängnis zu gehen oder ermordet zu werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass man für den Staat arbeitet. Ich wollte nicht wieder ins Gefängnis gehen und ich wollte nicht in Angst leben. Ich finde es furchtbar für de Staat zu arbeiten als Agent“

Herr X. berichtet wie sich die lange Haftstrafe auf seine Beziehung zu Verwandten und Freunden negativ ausgewirkt hat.

Ich habe drei Schwestern. Sie waren noch sehr klein als ich in Gefängnis kam. Nach zehn Jahren habe ich sie wieder gesehen und sie waren erwachsen geworden. Ich wollte mit ihnen sprechen, wie mit kleinen Kindern. Ich habe an sie immer als kleine Kinder gedacht. Wir haben eine ganze Weile so mit einander verbracht. Jetzt ist die eine 21, die anderen 18 und 15 Jahre alt. Mit meinen Freunden war es auch so. Ich habe sie wieder gesehen, aber sie hatte ihre Meinungen geändert, sie hatten viel erlebt. Dann habe ich gesagt: Wenn einem die gemeinsame Zeit weggenommen wurde, wird man nie wieder die gleiche Beziehung haben können. Das ist unglaublich.“

Man kann schon etwas machen. Man kann die Beziehungen wieder verschönern; aber zuerst muss man seine Meinung verändern. Man muss eine neue Beziehung, eine neue soziale Situation schaffen.“

In dieser Situation entscheidet sich Herr X. Für eine Flucht nach Deutschland. Er ist bereit sein altes Leben aufzugeben und sich von Freunden und Familie zu trennen. In Deutschland will er Asyl beantragen, und ein Leben ohne Repression und Diskriminierung aufbauen. Er wird von einer psychosozialen Beratungs- und Behandlungseinrichtung aufgenommen und macht dort die ihm angebotene Therapie, die ihm helfen soll seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

Als ich nach Deutschland gekommen bin, war das eine neue Welt, ein neues Land. Natürlich brauchte ich Hilfe. Ich konnte kein Wort Deutsch sprechen. Ich hatte nur einen Freund aus meiner Kindheit. Mit dem habe ich Kontakt aufgenommen. Dann habe ich I. kennen gelernt. Und ich habe mich bei I. angemeldet und sie haben eine positive Entscheidung für eine Therapie für mich getroffen. Das war alles von Vorteil für mich.“

Herr X. hat klare Ziele für sein Leben in Deutschland und erlernt in Eigeninitiative die deutsche Sprache. Herr X. hat Kontakt zu seiner Familie in der Türkei will aber auch neue soziale Beziehungen knüpfen. Sein unsicherer Aufenthaltsstatus überschattet jedoch seine Pläne und ist immer wieder Anlass für existentielle Unsicherheit.

„Mein erstes Ziel war also Deutsch zu lernen. Dann möchte ich in Deutschland ein neues leben aufbauen. Eine Familie gründen, arbeiten. Aber es ist nicht einfach. Wegen dem Asylverfahren. Es gibt seit zwei Jahren immer noch keine Entscheidung, dass ist nicht einfach so, wenn die Zukunft unsicher ist.“

Das komplette Interview können Sie auf der Baff Homepage einsehen.