Close

Zum Tag der Menschenrechte: Freiheit und Gesundheit

Seit Monaten erleben wir alle, wie Menschen, die im Iran für Freiheit und Menschenrechte protestieren, vom Regime abgeführt, inhaftiert und systematisch gefoltert werden. Die Psychosozialen Zentren (PSZ) stehen seit inzwischen vier Jahrzehnten an der Seite von Iraner*innen, die staatlich organisierte Folter und Gewaltexzesse überlebt haben. Iran gehört neben Afghanistan, Syrien und Russland seit Jahren zu den fünf Herkunftsländern, aus denen bundesweit die meisten unserer Klient*innen geflohen sind. All diese Menschen beobachten im Moment mit Hoffnung und Sorge, wie im Iran Menschen für die Träume kämpfen, die sie selbst nach ihrer Flucht begraben mussten.

Pedram Badakhshan war selbst Gefangener im Iran, weil er sich gegen staatlich organisierte Gewalt gestellt hat, die darauf abzielt, Menschen zu erniedrigen, Persönlichkeiten und soziale Strukturen zu zerstören. Heute ist er Leiter des Psychosozialen Zentrums in Nordbaden, einem der 47 Mitgliedsorganisationen der BAfF. Er hat die Einrichtung selbst mit unermüdlichem ehrenamtlichen Engagement aufgebaut, um denjenigen zur Seite zu stehen, die mit traumatisierenden Erfahrungen Hilfe in Deutschland suchen. Anlässlich des Tags der Menschenrechte haben wir deshalb mit ihm darüber gesprochen, was die aktuellen Proteste im Iran, die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft für ihn als professionellen Helfer, als Aktivisten und als Überlebenden bedeuten.

Pedram, am Donnerstagmorgen hat das iranische Regime den 23-jährigen Demonstranten Mohsen Shekari hingerichtet. Von der Festnahme bis zur Hinrichtung vergingen nur 30 Tage. Im Moment warten im ganzen Land mehr als 40 junge Aktivist*innen mit einem Todesurteil auf ihr Schicksal. Wie schätzt Du die Entwicklung dieser Situation ein?

Die aktuelle Lage und  die Lebensbedingungen im Iran lassen der jüngeren Generation keine Chance auf eine Lebensperspektive. Daher gehen heute, nach drei Monaten voller Demonstrationen, täglich immer noch Schüler*innen, Student*innen und viele andere Iraner*innen auf die Straße, obwohl sie wissen, dass ihr Handeln in Repressionen und staatlichen Gewaltexzessen enden kann. Seit über 40 Jahren leben Menschen im Iran ohne universelle Menschenrechte. Widerspruch wird mit Gewalt und Folter bis hin zur Todesstrafe rücksichtlos beantwortet. Nur wenige Menschen schaffen es, sich vor Verfolgung zu retten und das eigene Heimatland gezwungenermaßen zu verlassen. Diese schwierige Zeit werden in der iranischen Geschichte von großer Bedeutung sein: Jeder solidarische Beitrag kann den Demonstrierenden und ihrem Freiheitskampf zu Gute kommen und damit eine Verbesserung der menschenrechtlichen Situation im Iran unterstützen.

Viele der Klient*innen in den Psychosozialen Zentren sorgen sich aktuell um Freund*innen und Verwandte und entwickeln Schuldgefühle, weil sie selbst nicht vor Ort sind, um die Proteste zu unterstützen. Zum Teil werden sie aber auch hier in Deutschland vom Regime eingeschüchtert und bedroht – und organisieren sich dennoch in der aktuellen Bewegung für mehr internationale Solidarität und mediale Aufmerksamkeit. Welche Erfahrungen hast Du in den letzten Monaten selbst aus der iranischen Diaspora mitgenommen?

Denjenigen, die es schaffen, aus dem Iran zu fliehen, gelingt es nur selten, in den Gastländern in Sicherheit zu leben. Sie müssen immer damit rechnen, dass sie selbst auch im Exil in Gefahr schweben oder ihre Familienangehörigen, die noch im Iran leben, durch das Regime bedroht und bestraft werden.

Über die Landesgrenzen des Iran hinaus zielt diese staatlich organisierte Repression darauf ab, Menschen ohnmächtig und handlungsunfähig zu machen. Sie zerstört soziale Beziehungen und gesellschaftliches Zusammenleben, das auf ein Miteinander vielfältiger Lebensperspektiven angewiesen ist. Was bedeutet das aus professioneller Sicht für die psychosoziale Arbeit mit Geflüchteten hier in Deutschland?

Diejenigen Iraner*innen, denen keine Entscheidung bleibt außer der Flucht, können häufig nur ins Leben zurückfinden, wenn sie Unterstützung von Einrichtungen wie den Psychosozialen Menschenrechtszentren erhalten. Heute arbeiten viele Iraner*innen selbst in solchen Einrichtungen, während sie sehr große Sorgen im Alltag um die zurückgebliebenen Freunde und Familien mit sich tragen. Einige Menschen aus dem Iran engagieren sich hier seit Jahrzehnten für Menschenrechte über die Grenzen hinweg, weil sie wissen, dass die Gewalterfahrungen unserer Klient*innen nicht nur auf einer individuellen Ebene therapeutisch oder klinisch adressiert werden können. Manchmal kann die Anerkennung ihrer Unrechtserfahrungen und die Sichtbarkeit des Geschehens in der Öffentlichkeit heilsamer sein als das, was im Behandlungsraum geschieht.

Diesen menschenrechtszentrierten Ansatz verfolgen die in der BAfF organisierten Zentren: Sie sind Orte, an denen Erfahrungen von Gewalt, Verlust und Zerstörung, des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht neue Beziehungen und Zukunftsperspektiven entgegensetzt werden können und schaffen damit Anerkennung, Solidarität und Gemeinschaft. Auch die zivilgesellschaftliche Solidarität ist im Moment noch recht hoch und trägt dazu bei, die individualisierende Wirkung der Gewalt aufzuheben und die Überlebenden im Kampf gegen die Entwürdigung ihrer Existenz zu unterstützen. Aber was erwartest Du von den politisch Verantwortlichen hier in Deutschland und Europa?

Heute werden mutige Iraner*innen hingerichtet, weil sie für die einfachsten Grundrechte kämpfen. Sie haben alle nationale und internationale Solidarität und Unterstützung verdient. Das darf auch in Deutschland nicht vernachlässigt werden. Mein persönlicher Wunsch als ehemaliger Aktivist und selbst Gefangener im Iran ist, dass die europäischen Länder unmittelbar – heute und nicht morgen – ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen abbrechen, ihre Botschafter*innen zurückrufen und auf die Missstände reagieren. Meines Erachtens darf kein Land, das die Menschenrechte respektiert, die Islamische Republik Iran weiter anerkennen. Für die Überlebenden hier in Deutschland wissen wir: Ob es ihnen gelingt, sich im Exil ein menschenwürdiges Leben aufzubauen, hängt ganz zentral davon ab, unter welchen Bedingungen sie ihre Erfahrungen verarbeiten, ob sie hier in aufenthaltsrechtlicher Sicherheit leben und ob sie psychosoziale Unterstützung erhalten. Dafür müssen auch die Kapazitäten der Psychosozialen Zentren ausgebaut werden, damit wir möglichst allen, die Hilfe suchen, Unterstützung anbieten können.