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Zum Jahreswechsel

Liebe Freund*innen und Wegbegleiter*innen,

2022 war ein ambivalentes Jahr: Die Krisen und die massiven Verletzungen der Menschenrechte weltweit wirken sich auf unser Tun für Überlebende von Folter, Verfolgung und Krieg aus. Der russische Angriffskrieg auf Ukraine, die massiven Repressionen im Iran, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, der fast vergessene Bürgerkrieg in Syrien und die Gewaltexzesse in den kurdischen Gebieten oder nicht zuletzt das repressive Grenzregime der EU, das dutzende Tote fordert – am Wochenende erst wieder das Leben eines Kleinkindes vor Lampedusa.

Und dann die Hoffnung, die sich aus dem Bekenntnis der Bundesregierung – nun ein Jahr im Amt – ableitet, auch wenn sich viele Erwartungen nicht erfüllen. Am Ende des Jahres möchten wir Danke sagen für Euer Engagement in diesen Zeiten, das oft über das Menschenmögliche hinaus geht, in der Sorge um diejenigen, für die Ihr Euch einsetzt, für das Dranbleiben und Weitermachen.

Wir blicken zurück auf ein Jahr, in dem wir deutlich gemacht haben: Die humanitäre Verantwortung für Menschen, die schwere Gewalt und Verletzungen ihrer Menschenwürde überlebt haben, muss universell gelten. In vielzähligen Stellungnahmen haben wir Gesetzesinitiativen und Regierungshandeln kritisch begleitet. Zuletzt zeigte unsere gemeinsame Positionierung mit Partner*innen gegen die Instrumentalisierungsverordnung, die das Recht an den EU-Außengrenzen massiv beschränkt hätte, Wirkung: Deutschland und weitere EU-Staaten haben ihre Unterstützung für diese Änderungen verweigert.

Fast 20.000 geflüchtete Menschen mit oft schweren psychischen Belastungen in Folge von Verfolgung, Folter, Krieg und Flucht werden in den Psychosozialen Zentren, die sich in der BAfF engagieren, jährlich unterstützt. Unser diesjähriger Versorgungsbericht „Flucht & Gewalt“ hat die enormen Lücken in der psychosozialen Versorgung deutlich gemacht.

Die Bundesregierung stärkt erstmals in deutlichem Maß ihre Verantwortung für die Finanzierung der psychosozialen Versorgung. Im kommenden Haushalt 2023 wurde die Förderung mehr als verdoppelt. Im Dialog mit Bundestag, Bundesregierung und den Wohlfahrtsverbänden haben wir uns dafür stark gemacht. Jetzt gilt es, die Finanzierung nachhaltig und langfristig zu sichern.

Das Versprechen des Koalitionsvertrags, Kosten für Sprachmittlung im Gesundheitswesen gesetzlich zu verankern, nimmt die Bundesregierung ernst und hat uns in Vorgesprächen direkt beteiligt. Bei einem Parlamentarischen Forum im Frühjahr und weiteren Austauschformaten konnten wir unsere Anliegen direkt adressieren. Insbesondere eine äquivalente Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz ist uns dabei zentral. Hier sind wir für die Unterstützung von Fachverbänden und Kammern sehr dankbar. Auf der Mitgliederversammlung konnten wir schließlich die „Leitlinien für Beratung und Therapie mit qualifizierter Sprachmittlung“ verabschieden. 

Menschenrechte werden im Asylverfahren durch die Regelungen für Atteste und Stellungnahmen massiv beschränkt. Eine Neuregelung war nicht Teil der Koalitionsverhandlungen, umso schwerer ist es, hier politische Unterstützung zu organisieren. Durch Gespräche mit allen Regierungsfraktionen haben wir hier Räume des Austauschs geöffnet und werden unser Engagement 2023 weiter forcieren.

Den Blick nach innen haben wir auf unserer Jahrestagung in Kooperation mit dem PSZ Leipzig gerichtet: Wie können Individuen und Gesellschaften mit vielfachen Krisen so umgehen, dass ein gutes Leben nach und mit der Gewalt möglich wird? Wertvolle Impulse zu den Auswirkungen von Rassismus, Antisemitismus und struktureller Gewalt wurden gesetzt. Struktureller Rassismus als ein unser Wirken prägendes Thema hat durch die tödliche Polizeigewalt gegen einen Geflüchteten in Dortmund traurigen Ausdruck gefunden.

30 Jahre sind seit den vielzähligen rassistischen Pogromen und Mordanschlägen gegen Unterkünfte von Asylbewerber*innen in Rostock-Lichtenhagen und anderen Orten Deutschlands vergangen. Das in der Folge mit dem Asylkompromiss verabschiedete Asylbewerberleistungsgesetz hat die Diskriminierung gesetzlich manifestiert. Die Gewalt geht seither unvermindert weiter und die Zahl der Anschläge steigt erneut.

Für die bedarfsgerechte Beratung, Unterbringung und Versorgung geflüchteter Menschen ist eine frühzeitige Erkennung besonderer Schutzbedarfe von zentraler Bedeutung. Unser Modellprojekt BeSAFE hat hierfür modellhaft Expertise zur Arbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen entwickelt. Auf einem Fachtag im Oktober in Bochum wurde diese Expertise zusammengetragen. Die Erkenntnisse des Projektes bilden den Auftakt für ein stärkeres Engagement in diesem Bereich in den kommenden Monaten.

Unser Kooperationsprojekt zur Verbesserung der Aufnahmesituation geflüchteter Kinder und Jugendlicher aus Ukraine in Deutschland erarbeitet Handlungsempfehlungen und fokussiert auf die psychosoziale Unterstützung, den Schutz vor (sexueller) Ausbeutung und Beratung in jugendhilfe- und ausländerrechtlichen Problemlagen. In 2023 werden wir die Aktivitäten durch Tagungen und Veröffentlichungen sichtbar machen.

Die Projektarbeit knüpft an die bestehende Expertise der drei Partnerorganisationen an und ermöglicht diesen den durch den Zuzug der Minderjährigen aus der Ukraine gestiegenen Handlungsbedarf aufzufangen. In enger Zusammenarbeit soll zudem die politische Vermittlung der Projektergebnisse gegenüber der Politik durch direkte Gespräche, Erstellung von Publikationen und parlamentarische Formate erreicht werden.

Wie können wir voneinander Lernen und uns stärken? So lässt sich unser Engagement im internationalen Bereich zusammenfassen, das immer vom dialogischen Prinzip geprägt ist. Viele unserer Klient*innen haben lange in „Transitkontexten“ gelebt. Wie genau sieht ihre Lebensrealität dort aus und unter welchen Bedingungen leisten unsere Kolleg*innen in Serbien und Bosnien-Herzegovina psychosoziale Unterstützung? Diesen Fragen widmete sich unser Fachaustausch mit Partnern des westlichen Balkans,reflektiert in einer gemeinsamen Publikation von Kolleg*innen die direkt „im Feld“ arbeiten.  

Mit einem Netzwerk von Menschenrechtsverteidiger*innen und Praktikern, die Hilfe in Russland, Belarus, Ukraine, Armenien und Aserbaidschan leisten, haben wir die letzten Monate der Ohnmacht im Angesicht der gewaltsamen Politik durch Repressionen und Kriege, Signale der Zusammenarbeit und gegenseitigen Stärkung im östlichen Europa entgegengesetzt. In der Gemeinschaft mit dem European Network of Rehabilitation Centres for Survivors of Torture konnte in einem Symposium ein Dialog erreicht werden, der in dieser Form und in der derzeitigen Situation einmalig und von vielen Akteuren und Partnern als Inspiration und wichtiges Signal der Hoffnung gewertet wurde.   

Danke allen Kolleg*innen aus Geschäftsstelle, Vorstand, Mitgliedszentren und Partnerorganisationen für die wichtige Arbeit, für unzählige Gespräche, Stellungnahmen, Publikationen und Veranstaltungen – alles mit dem Ziel, die Menschenrechte und die gesundheitliche Versorgung für diejenigen, die schwerste Gewalt erleiden mussten, durchzusetzen – in der BAfF seit nunmehr fast 30 Jahren.

Auf ein Hoffnung bringendes neues Jahr!

Elise Bittenbinder und Lukas Welz