Berlin, 30.01.2025
Das Wichtigste in Kürze: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich nach der schrecklichen Tat in Aschaffenburg in die Debatte um die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten eingeschaltet. Er warnte davor, dass sie „ohne Therapie“ ein „Sicherheitsrisiko“ darstellten. Die von ihm vorgeschlagene Lösung – eine neue Ermächtigungsregelung für Psychotherapeut*innen, heute Abend im Rahmen der Beratungen zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz im Bundestag – wird jedoch nur für gesetzlich krankenversicherte Patient*innen anwendbar sein. An der Versorgungssituation von geflüchteten Menschen ändert sie nichts.
Nach dem tragischen Ereignis in Aschaffenburg wurde im medialen Diskurs viel über Verbesserungsbedarfe in der Gesundheitsversorgung für Geflüchtete gesprochen. Die BAfF hat auf ihrer Seite die zentralsten Fragen dazu kommentiert. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich in die Debatte um psychische Erkrankungen bei geflüchteten Menschen eingeschaltet. Er warnte davor, dass sie „ohne Therapie“ ein „Sicherheitsrisiko“ darstellten – gleichzeitig aber „fast keinen Zugang zu ambulanten Therapieplätzen“ hätten.
In diesem Zusammenhang verwies er auf eine neue Regelung, die nun zusätzliche Behandlungskapazitäten speziell zur Versorgung für „Asylsuchende, Obdachlose, Vorbestrafte oder Drogenabhängige“ schaffen solle. Er bezieht sich dabei auf einen neuen sogenannten Ermächtigungstatbestand in der Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV), der es Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die bisher noch keinen Kassensitz haben, erlauben soll, sich zielgerichtet zur Behandlung vulnerabler Personengruppen ermächtigen zu lassen. Der Vorschlag für diese Änderungen steht im Rahmen der Beratung zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) schon heute Abend auf der Tagesordnung des Bundestags.
Durch die Darstellung des Ministers wird leider suggeriert, dass sich infolge der neuen Regelung auch die Versorgungssituation psychisch erkrankter Geflüchteter verbessern kann. Das ist jedoch irreführend: Mit dem neuen Ermächtigungstatbestand zur Behandlung vulnerabler Patient*innen werden – so, wie er im Moment im Gesetzentwurf beschrieben ist – leider ausschließlich gesetzlich Krankenversicherte behandelt werden können.
Die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten, so auch besonders vulnerable Personen und der Großteil unserer Klient*innen in den PSZ, ist aber noch nicht krankenversichert, sondern bezieht nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). In den ersten 36 Monaten hat der Großteil der geflüchteten Personen damit nur einen Anspruch auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände (§§ 4 und 6 AsylbLG). Psychotherapien sind lediglich Ermessensleistungen, über die vielerorts medizinisch nichtqualifizierte Mitarbeitende in den Sozialbehörden entscheiden – in der Regel restriktiv mit hohen Ablehnungsquoten.
Ermächtigungsregelung hilft immer weniger
Bereits 2015 hatte die Bundesregierung versucht, die Versorgungslücken in der Behandlung psychisch erkrankter Geflüchteter zu schließen: durch eine neue Ermächtigungsregelung speziell zur Behandlung vulnerabler Geflüchteter. Auch diese Regelung war allerdings gesetzlich so formuliert, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Geflüchteten auch tatsächlich versorgt werden konnte. Behandelt werden durften lediglich Geflüchtete, die Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehen – also Menschen, die (zum damaligen Zeitpunkt) bereits anderthalb Jahre in Deutschland waren, allerdings noch keinen gesicherten Aufenthalt hatten und noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen bzw. nachgehen durften. Dieser Personenkreis war bereits in den letzten Jahren sehr klein.
Inzwischen kann über die Ermächtigungsregelung fast niemand mehr behandelt werden, weil die Wartezeit auf den Zugang zu §-2-Leistungen (die auch ohne Krankenversicherung eine elektronische Gesundheitskarte mit Leistungsniveau analog zur GKV bieten), von schon zuvor anderthalb auf nun drei Jahre verdoppelt wurde.
Welche Anpassungen es in den Ermächtigungsregelungen bräuchte
Die vom Gesundheitsminister erwähnte neue Ermächtigungsregelung ändert ohne Nachbesserungen an dieser Problematik nichts. Sie ist für die Vielzahl aller anderen marginalisierten Patient*innengruppen sehr zu begrüßen. Die große Mehrheit der Geflüchteten wird aber durch die eventuell dann neu zugelassenen Psychotherapeut*innen nicht behandelt werden können. Für sie müssen Psychotherapien weiterhin im meist restriktiven System der Sozialbehörden beantragt werden.
Damit die geplante Änderung der Ärztezulassungsverordnung tatsächlich eine Verbesserung für psychisch erkrankte Geflüchtete bewirkt, müsste entweder
- die angedachte neue Ermächtigungsregelung explizit auch Geflüchtete erfassen, also Personen, die als Nichtmitglieder über das Abrechnungssystem nach § 264 SGB V versorgt werden, insbesondere in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts, oder
- die 2015 geschaffene Ermächtigungsregelung zur Behandlung vulnerabler Geflüchteter von der Wartezeit in § 2 AsylbLG entkoppelt und eine Zulassung zur Ermächtigung unabhängig vom sozialleistungsrechtlichen Status der Patient*innengruppe festgelegt werden.
Dafür bestünde gesundheitspolitisch jetzt, wo die Ermächtigungstatbestände in der Ärzte-Zulassungsverordnung ohnehin geändert werden, eine Chance. Darüber hinaus braucht es einen gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung, damit Behandlungen tatsächlich auch umsetzbar sind.
Versorgung sichern, Chronifizierungen vermeiden – Sprachmittlung und eGK sind essenziell
Wichtig zu beachten ist auch: Die Umsetzbarkeit eventueller Verbesserungen, z. B. durch neue Ermächtigungsregelungen, steht und fällt u. a. mit Lösungen zur Überwindung der Sprachbarriere. Einen Anspruch auf Sprachmittlung in Therapie braucht es im SGB V und entsprechend anwendbar für die Krankenbehandlung im AsylbLG – so haben es Gesundheitsfachverbände aus der ambulanten und stationären Versorgung bereits 2022 in einem umfangreichen Positionspapier zur Umsetzung des Koalitionsvertrags empfohlen. Auch das BMG hat kürzlich in seinem „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ den klaren Auftrag an den Gesetzgeber formuliert, Sprachmittlung im SGB V kurzfristig durch eine gesetzliche Regelung zu verankern.
Ob eine Ermächtigungsregelung für mehr Psychotherapeut*innen zu mehr Behandlungen der betreffenden Personen führt, hängt im Grundsatz davon ab, wie zugänglich das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Der aktuelle Ausschluss der Personengruppe macht eine Behandlung über Kassensitze oder Ermächtigungen wenig wahrscheinlich, der Aufwand ist schlicht zu groß. Wo es die elektronische Gesundheitskarte gibt, können geflüchtete Menschen zwar über das System der Krankenkassen abgerechnet werden. Diese existiert jedoch im Moment nur in sechs Bundesländern flächendeckend und in vier Bundesländern wurde sie nur in einigen Kommunen eingeführt.
Ohne eine entsprechende Karte – sei es a) eine vollwertige Versichertenkarte, b) eine eGK, die Asylsuchende nach 36 Monaten erhalten oder c) eine eGK, die in sechs Bundesländern von Anfang an ausgegeben wird (und für die im Leistungsumfang seitens der Bundesländer explizit auch Psychotherapie vereinbart werden muss), können Psychotherapeut*innen nicht abrechnen.
Auch der Deutsche Ärztetag mahnt immer wieder, der bürokratische Aufwand für Ämter, Behörden und Ärzt*innen sei erheblich und sorgt sich darum, dass die Verlängerung des eingeschränkten Zugangs zu Gesundheitsleistungen dazu beitragen wird, dass Krankheiten verschleppt werden und chronifizieren. Eine elektronische Gesundheitskarte während der verlängerten Wartezeit hingegen könne die Verschlimmerung von Krankheitsverläufen – einschließlich teurerer Behandlungsansätze nach Chronifizierung – verhindern.