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Warnung vor Rückschritten im Asylrecht durch GEAS - 09.10.2025: Bundestag besfasst sich mit GEAS-Anpassungsgesetz

GEAS-Anpassungsgesetz: Warnung vor Rückschritten im Asylrecht

Heute wurden im Bundestag erstmals die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in deutsches Recht eingebracht. Die BAfF hatte die Referentenentwürfe, auf denen die Gesetzentwürfe basieren, geprüft und im Rahmen der Verbändebeteiligung Stellung genommen. Entscheidende Änderungen sind ausgeblieben, grundsätzliche Kritikpunkte bleiben bestehen. Der Entwurf wird nun zu federführenden Beratungen in den Innenausschuss gegeben.

GEAS-Reform: Bundestag befasst sich mit Anpassungsgesetz

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet. Ab dem Sommer 2026 wird sie in Anwendung sein. Eine Umsetzung der Gesetzentwürfe in der vorgeschlagenen Form würde der weitreichendsten Verschärfung der deutschen Migrationsgesetzgebung seit 1993 gleichkommen.

BAfF fordert: Keine Absenkung von Menschenrechts- und Asylstandards

Die BAfF kritisiert u. a. fehlende Verfahrensgarantien für vulnerable Personen sowie unzureichende unabhängige Monitoring-Mechanismen. Sie appelliert an den Gesetzgeber, bei der Implementierung der gesamten GEAS-Reform in keinem Punkt menschenrechtliche Standards zu unterschreiten und dadurch die Situation von Menschen auf der Flucht weiter zu verschärfen. Der Gesetzgeber ist in der Pflicht, faire Verfahren für alle Schutzsuchenden zu garantieren, um damit Rechtsstaatlichkeit, völkerrechtliche, europarechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben und das individuelle Recht auf Asyl zu wahren.

Kritische Punkte der Gesetzesentwürfe

Für eine bessere Übersicht erklären wir im Folgenden möglichst kompakt, welche Punkte wir an den Gesetzesentwürfen zur Implementierung der GEAS-Reform in deutsches Recht aus welchen Gründen kritisieren und was stattdessen wichtig und nötig ist, um die Rechte schutzsuchender Menschen zu wahren.

 1 |  Früherkennung und Identifizierung von Schutzbedarfen: fehlende Standards

Die Entwürfe thematisieren zwar, wie zentral es ist, besondere Schutzbedarfe frühzeitig zu erkennen – versäumt jedoch, dafür verbindliche Verfahren und geeignete Zuständigkeiten festzulegen. Das vorläufige Screening, also die erste Prüfung auf besondere Vulnerabilitäten, die für alle in Deutschland ankommenden Personen vorgesehen ist, sollen in der Regel Polizist*innen übernehmen: Beamt*innen, deren Kernauftrag die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist, die aber für eine traumasensible Prüfung nicht ausgebildet sind.

Klare gesetzliche Vorgaben zu Zuständigkeit und Ablauf eines Identifizierungsverfahrens, das während des gesamten laufenden Asylverfahrens möglich sein muss, fehlen daneben ganz.

Ohne bundeseinheitliche Standards für die intersektionale Prüfung der Vulnerabilität können die meisten Schutzbedarfe – wie Folterfolgen, Traumatisierungen, Behinderungen – nicht erkannt werden.

 2  |  Massive Einschränkungen von Informationen und Rechtsberatung für Geflüchtete

Schutzsuchende können ihre Rechte nur wahrnehmen, wenn sie niedrigschwellig und barrierefrei Beratung aufsuchen können. Die vorgelegten Gesetzentwürfe jedoch würden es erlauben, unabhängigen Berater*innen den Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen zu verwehren. Das untergräbt das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz: Wer die eigenen Rechte nicht kennt, kann sie auch nicht wahrnehmen.

Eine menschenrechtskonforme Umsetzung muss daher den ungehinderten Zutritt für flächendeckende, kostenlose und unabhängige Rechtsberatung möglich lassen.

 3 | Dokumentation und Datenschutz: intransparente Asylverfahren

Obwohl die Feststellung besonderer Schutzbedarfe weitreichende Rechtsfolgen hat, ist nicht klar geregelt, wie betroffene Personen das Ergebnis dieser Prüfung ausgehändigt bekommen. Daneben sieht der Entwurf Auskunftsbeschränkungen vor, die die gerichtliche Kontrolle erschweren.

Die Umsetzungsgesetze müssen eine schriftliche Dokumentation für die Betroffenen, ihre informierte Einwilligung vor Datenübermittlung, klare Löschfristen und Überprüfungsmöglichkeiten sowie das Prinzip der Datensparsamkeit bei Übermittlung ins sogenannte Ausländerzentralregister gewährleisten.

 4  | Gesundheitsversorgung: erwachsene Geflüchtete weiter unterversorgt

Durch die Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht werden zwangsläufig noch größere Schutz- und Versorgungslücken entstehen. Umso wichtiger ist es jetzt, dass die Bedarfe besonders vulnerabler Menschen frühzeitig erkannt und unterstützt werden. 

Für die Versorgung von minderjährigen Geflüchtete schreiben die Gesetzentwürfe begrüßenswerter Weise die EU-Vorgaben eindeutig fest: Sie erhalten umfassenden Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Gesundheitsversorgung für erwachsene Geflüchtete bleibt jedoch – auch für besonders vulnerable Personen wie Überlebende von Folter und schwerer Gewalt oder Personen mit schweren Erkrankungen – für die ersten drei Jahre ihres Aufenthalts auf eine Minimalversorgung begrenzt. Psychotherapie beispielsweise wird damit de facto weiter unerreichbar bleiben. Das widerspricht den Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie und dem Prinzip der Menschenwürde. Erkrankungen werden sich über diese lange Zeit weiter zuspitzen und chronifizieren. 

Der gleichberechtigte Zugang geflüchteter Menschen zum Gesundheitssystem muss gesetzlich verankert und mit ausreichend Ressourcen hinterlegt werden (Ausstattung der Leistungsträger, Sprachmittlung, Stabilität der Angebote), damit sie auch in der Realität umsetzbar sind.

5 |  Freiheitsbeschränkungen: Asylrecht plant unverhältnismäßige Eingriffe

Die Gesetzentwürfe in ihrer aktuellen Form würden es erlauben, die Bewegungsfreiheit geflüchteter Menschen in verschiedenen Arten und Formen der Unterbringung über Monate bis zu Jahren – teilweise oder vollständig – auf einen einzigen Ort zu begrenzen (vgl. PRO ASYL, 16.09.2025).

Freiheitsentzug und Haft sind absolute ultima ratio staatlichen Handelns, migrationspolitische Gründe können dafür nicht ausreichen. Solche Eingriffe verstoßen gegen elementare Grund- und Menschenrechte aus EMRK und Grundgesetz. Besonders für Kinder und psychisch belastete Menschen sind sie schädlich und nach UN-Kinderrechtskonvention unzulässig.

6  |  Unabhängiges Monitoring: rechtliche Verankerung von Kontrollmechanismen notwendig

Eine gesetzliche Grundlage dafür, dass die durch GEAS implementierten Screening- und Grenzverfahren durch ein externes Monitoring begleitet werden, ist nach den europäischen Vorgaben vorgesehen. Eine rechtssichere und eindeutige Rechtsgrundlage findet sich in den Gesetzentwürfen jedoch nicht.

Es bedarf einer regelmäßigen, ungehinderten Überprüfung der neu ausgestalteten Screening- und Asylverfahren. Andernfalls drohen Missstände unentdeckt zu bleiben.


Fazit und Forderungen der BAfF

Die GEAS-Anpassungsgesetze dürfen nicht hinter EU-Mindeststandards zurückfallen und müssen die Menschenwürde jeder Person, die in Deutschland Schutz sucht, achten und schützen.

Wir fordern daher:

  • eine verbindliche, bundesweit einheitliche intersektionale Vulnerabilitätsprüfung durch qualifiziertes Fachpersonal
  • eine rechtliche Verankerung von Vulnerabilitätsprüfungen während des gesamten Asylverfahrens
  • die informierte Dokumentation der Vulnerabilitätsprüfungen
  • ein unabhängiges Monitoring – gesetzlich verankert und dauerhaft finanziert

und zu jedem Zeitpunkt, unabhängig vom Aufenthaltsstatus (d. h. bereits während der Identifizierung) :

  • ungehinderten Zugang zu Beratungs- und Versorgungsangeboten
  • gesetzlich verankerten niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem
  • das Absehen von Freiheitseingriffen und Inhaftierung von Menschen auf der Flucht
     

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Kontakt

Wenden Sie sich gern an uns, wenn Sie Rückfragen oder Interesse an einem Interview mit unseren Referent*innen haben.

Marie-Claire Wygand (sie/ihr)
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
presse@baff-zentren.org


Über die BAfF

Die BAfF e. V. ist der Bundesverband der Psychosozialen Zentren, die Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht in Deutschland helfen. Seit fast 30 Jahren setzen wir uns für eine flächendeckende und niederschwellige Versorgung von geflüchteten Menschen ein. Diese benötigen nach oft schwer traumatisierenden Erfahrungen schnelle psychosoziale Begleitung. Die BAfF vertritt die Interessen von Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Politik und der (Fach-)Öffentlichkeit, vernetzt Akteur*innen der psychosozialen Arbeit und bringt sich durch Projekte, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit in den fachlichen und politischen Diskurs ein.