Die psychosoziale Versorgung für Geflüchtete und Überlebende von Krieg, Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen steht in Deutschland vor dem Kollaps. Zwei zentrale Finanzierungsquellen – die Bundesmittel und die EU-Gelder aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) – drohen 2026 massiv zu schrumpfen oder ganz auszufallen.
Ohne Sofortmaßnahmen müssen manche Psychosozialen Zentren (PSZ) einen Großteil ihres Fachpersonals entlassen, hunderte laufende Therapien abbrechen und Wartelisten schließen. Damit würde das einzige flächendeckende Netzwerk spezialisierter Hilfsangebote für traumatisierte Geflüchtete wegbrechen. Die bundesweite Versorgungsstruktur der Psychosozialen Zentren ist über die letzten Jahrzehnte gewachsen. Die einzigartige Zusammenarbeit von Mitarbeiter*innen aus den verschiedenen Fachrichtungen (u. a. Psychologische Psychotherapie, Psychiatrie, Soziale Arbeit, Sprach- und Kulturmittlung und teilweise medizinische Versorgung/Dokumentation von Folterfolgen) macht die PSZ zu interdisziplinären Versorgungszentren für Menschen nach der Flucht, zu denen es keine Alternative gibt. Sie sind die einzige solche Versorgungsstruktur für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht in Deutschland.
Bundesmittel: Versorgung von psychisch belasteten Geflüchteten nicht mehr vorgesehen
Der Haushaltsentwurf für 2026 sieht eine Kürzung der Bundesmittel um fast die Hälfte vor – von derzeit 12 Millionen auf nur noch 7,1 Millionen Euro. Das bedeutet: Der Bund gibt künftig kaum noch Geld für die Versorgung von teilweise extrem psychisch belasteten und potenziell seelisch erkrankten geflüchteten Menschen aus. Obwohl diese Menschen Unterstützung brauchen. Obwohl diese Menschen Menschenrechte und eine Menschenwürde haben, die gewahrt werden muss. Und daneben: Obwohl inzwischen hinreichend belegt ist, dass es den Staat teuer zu stehen kommt, wenn (psychische) Erkrankungen chronifizieren und später teurer und aufwendiger behandelt werden müssen.
EU-Förderung (AMIF): Antragsstopp und Fehlsteuerung
Gleichzeitig sorgt ein Antragsstopp im Europäischen Asyl- und Migrationsfonds (AMIF) für eine monatelange Finanzierungslücke: Neue Projekte können frühestens im Sommer 2026 starten, und selbst dieser Start ist noch ungewiss.
Hinzu kommt eine geplante Neuverteilung der Mittel nach dem Königsteiner Schlüssel, und das unabhängig vom tatsächlichen Bedarf und der Qualität der Angebote. Diese Regelung würde besonders jene Regionen benachteiligen, in denen die Versorgungslage ohnehin prekär ist. In manchen Bundesländern stünden nur noch Bruchteile des benötigten Budgets zur Verfügung.
Gesetzliche Pflicht und ökonomischer Nutzen
Deutschland ist nach der UN-Antifolterkonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie verpflichtet, Überlebenden von Folter und anderen schwer traumatisierten Geflüchteten angemessene medizinische und psychosoziale Unterstützung zu gewähren. Die Psychosozialen Zentren übernehmen diese Aufgabe teils seit über 40 Jahren – oft dort, wo das Gesundheitssystem aufgrund rechtlicher Ausschlüsse versagt.
Eine Studie der Universität Bielefeld (Gerlinger et al., 2024) belegt zudem: Jeder Euro, der in die PSZ investiert wird, bringt 2,5 bis 3 Euro gesellschaftlichen Nutzen durch geringere Krankheitskosten, Entlastung des Gesundheitssystems und bessere Teilhabechancen.
Unsere Forderungen
Damit die spezialisierte Versorgung durch die PSZ nicht zusammenbricht, fordert die BAfF:
- Aufstockung der Bundesmittel auf mindestens 27 Mio. Euro jährlich, um bestehende Angebote zu sichern.
- Überbrückungsfinanzierung, bis EU-Gelder wieder fließen.
- Bedarfsorientierte Verteilung der AMIF-Mittel – nach Qualität und Spezialisierung der Anbieter*innen, nicht nach Königsteiner Schlüssel.
- Verstetigung der PSZ im Bundeshaushalt als Teil der gesundheitlichen Grundversorgung.
- Ein nationales Rehabilitationsprogramm für Überlebende von Folter, wie es internationale Standards vorsehen.
Hintergrund
Deutschlandweit gibt es derzeit 51 Psychosoziale Zentren, die jährlich rund 30.000 Geflüchtete versorgen. Schon jetzt decken sie nur etwa 3 % des tatsächlichen Bedarfs ab und haben Wartezeiten von deutlich über sechs Monaten. Ein weiterer Abbau dieser Angebote hätte verheerende Folgen: Therapieabbrüche, Kriseninterventionen in Notaufnahmen und steigende Folgekosten für das gesamte Gesundheitssystem.
Die BAfF e. V. appelliert an Bundesregierung, Bundestag und Länder, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Psychosoziale Versorgung ist kein Projekt – sie ist eine Pflichtaufgabe und Voraussetzung für Menschenrechte, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Über die BAfF
Die BAfF e. V. ist der Bundesverband der Psychosozialen Zentren, die Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht helfen. Seit 29 Jahren setzt sie sich für eine flächendeckende und niederschwellige Versorgung von geflüchteten Menschen ein. Diese benötigen nach oft schwer traumatisierenden Erfahrungen schnelle psychosoziale Begleitung. Die BAfF vertritt die Interessen von Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Politik und der (Fach-) Öffentlichkeit, vernetzt Akteur*innen der psychosozialen Arbeit und bringt sich durch Projekte, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit in den fachlichen und politischen Diskurs ein.
Pressekontakt
Marie-Claire Wygand (sie/ihr), Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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