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Das Bild hat einen gelben Hintergrund und darauf steht: 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen

30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen

Verantwortung für Geflüchtete und konsequente Bekämpfung von Rassismus

Die mangelhafte Aufarbeitung des politischen Versagens muss heute Wegweiser für den angekündigten Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland sein – sonst haben wir nichts aus den Ereignissen gelernt.

Das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992, das sich gegen Geflüchtete und Vietnames*innen richtete, steht stellvertretend und besonders sichtbar für die alltägliche Angst vieler Menschen in Deutschland, aufgrund von Rassismus bedroht oder getötet zu werden. In der Breite haben Politik und Gesellschaft sich nicht an die Seite der Angegriffenen gestellt. Im Gegenteil führten seit Rostock-Lichtenhagen Asylrechtsverschärfungen dazu, dass Menschen, die Schutz in Deutschland suchen, abgewehrt werden. In den vergangenen Jahren wurde das deutsche Asylrecht durch das Asylpaket II von 2016 und das so genannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz von 2019 deutlich verschärft und zivilgesellschaftliche Akteure mit der Versorgung und Betreuung Überlebender von Folter, Krieg und Flucht mehrheitlich allein gelassen.

Rostock-Lichtenhagen steht bis heute als Sinnbild für gesellschaftlich weit verbreiteten Hass, Hetze, Rassismus und rechte Gewalt in Deutschland – und für die mangelnde Aufarbeitung und Perspektive auf die Betroffenen.

Auch 30 Jahre später wird von vielen politisch Verantwortlichen vermieden, die Ausschreitungen als rassistisch motiviertes Pogrom zu bezeichnen. Dabei ist die Benennung der Gewalt und die Übernahme von politischer Verantwortung für die Verfehlungen zum Schutz und der Versorgung der Angegriffen zentral für den Umgang mit diesen traumatisierenden Erfahrungen und für die gesellschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse. Täter*innen wurden kaum juristisch belangt, die Angegriffenen nur notdürftig versorgt. Statt einer Entschädigung oder langfristigen Begleitung der Betroffenen drohte vielen im Nachgang zu den rassistischen Ausschreitungen die Abschiebung.

Ein breites politisches Bündnis hat in der Folge von Rostock-Lichtenhagen nicht etwa den gewaltsamen Rassismus in der deutschen Gesellschaft angeprangert. Politisch Verantwortliche haben stattdessen die universellen Werte verraten, in dem nach den rassistischen Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre das Asylrecht weiter demontiert und das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt wurde. Wenn es die Bundesregierung mit dem Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik ernst meint, dann ist spätestens jetzt, 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen, dafür die Zeit gekommen. Als Lehre aus den Ereignissen sollte beispielsweise die Unterbringung von Schutzsuchenden in Massenunterkünften vermieden und die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten als zentrale Aufgabe verstanden werden, im Sinne der Menschenrechte.

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF

Auch das strukturelle Versagen der politisch Verantwortlichen muss weiter aufgearbeitet werden: Wie konnte es dazu kommen, dass die rechte Gewalt so eskalieren konnte? Warum wurden die Menschen sich selbst überlassen und nicht durch die Polizei geschützt? Und wie schaffen wir es, dass sich solche Taten nicht wiederholen? Im Umgang mit Rassismus, Gewalt und Diskriminierung müssen wir uns als Gesellschaft immer wieder hinterfragen: Leisten wir genug für die Betroffenen? Wie können wir auch in unseren eigenen psychosozialen Versorgungsstrukturen Diskriminierung konsequent begegnen? Und welche Kompetenzen braucht es dafür, um Angegriffenen die volle Unterstützung zu ermöglichen?

Das Statement als PDF.


Literaturempfehlung: BAfF e.V. (2020): „Wir müssen reden.“ Rassismus thematisieren in mehrheitlich weißen Beratungs- und Therapiestrukturen im Kontext Flucht