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Und jährlich grüßt das Scheinattest

Foto von jarmoluk (CC0 / pixabay.de)

Die Debatte um Scheinatteste geht in eine neue Runde – die AfD hat im baden-württembergischen Landtag mehrere Strafanzeigen gestellt.[1] Diese richten sich zum einen gegen den Karlsruher „Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten“ wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse und zum anderen gegen Unbekannt im Regierungspräsidium Karlsruhe wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt. Die Strafanzeigen basieren u.a. auf den Aussagen eines Mediziners, der Kolleginnen und Kollegen vorgeworfen hat, Scheinatteste – teilweise auch Gefälligkeitsgutachten genannt – auszustellen.

Diese Debatte ist nicht neu und bereits ausführlich geführt worden.

Bereits 2016 warf der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière Ärzt*innen  vor, zu viele Atteste für geflüchtete Menschen auszustellen, wo es „keine echten gesundheitlichen Abschiebehindernisse“ gäbe.[2] Gemeinsam mit weiteren Fachverbänden hat die BAfF bereits damals diese haltlosen Anschuldigung scharf kritisiert.[3] Tatsächlich musste das Bundesinnenministerium kurz danach zugeben, dass es keinerlei Anhaltspunkte, Zahlen oder Beweise für diese Behauptungen gab. Vielmehr musste das Bundesinnenministerium (BMI) einräumen, dass keine statistischen Erhebungen zu falsch ausgestellten Attesten gäbe.

Es ist absurd, dass diese Debatte erneut aufgrund von unbelegten Anschuldigungen eröffnet wird.

Durch das Asylpaket II wurden sehr hohe Anforderungen an die sog. qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen aufgestellt. Nur durch eine solche qualifizierte ärztliche Bescheinigung kann Reisefähigkeit einer Ausländerin oder eines Ausländers widerlegt werden. Wird das Attest verspätet vorgelegt, darf die Behörde das Attest nicht mehr berücksichtigen. Zudem kann die Behörde nach Vorlage des Attests eine amtsärztliche Untersuchung anordnen (gem. § 60 a Abs. 2 c, 2d AufenthG). Damit besteht ein hinreichend enger rechtlicher Rahmen, woran sich Atteste zu messen haben. Die hohen Anforderungen sind kaum zu erfüllen, wenn keine Erkrankung vorliegt, die die Abschiebung beeinträchtigen kann.

Zudem ist neben der Scheinattest-Scheindebatte die Qualifikation der für die Ausländerbehörde Begutachtenden – in der Regel Amtsärzt*innen –  zu beachten. Nach Angaben der Bundesregierung[4] handelt es sich bei den Ärzt*innen, die die Reisefähigkeit feststellen, in der Regel um Allgemeinmediziner*innen. Wenn es zur Diagnostik und Differenzialdiagnostik psychischer Störungen komme, müsse diese jedoch durch fachlich qualifizierte Ärzt*innen – und nicht durch die Allgemeinmediziner*innen – erfolgen.

Die Bundesregierung stellt an die Qualifizierung derjenigen, die Begutachtungen von Folgestörungen aufgrund einer psychischen Traumatisierung diagnostizieren, sehr hohe Anforderungen. Als Qualifikation müsse grundsätzlich das abgeschlossene Curriculum „Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren (SBPM)“ einschließlich „Istanbul Protokoll“ der Bundesärztekammer nachgewiesen werden.

Erforderlich sei zudem ein Nachweis von mindestens fünf Jahren klinischer Tätigkeit im Bereich Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik in Praxis, Beratungsstelle oder Klinik. Weiterhin müsse der Nachweis spezifischer Fortbildung zum einen durch spezielle Kenntnisse in der Psychotraumatologie sowie interkultureller und aufenthaltsrechtlicher Besonderheiten in der Begutachtung und zum anderen durch drei supervidierte Gutachten / ausführliche Stellungnahmen, davon zwei unter Beteiligung von Dolmetscher*innen, erbracht werden.

Ob der Mediziner, aufgrund dessen Aussagen die Strafanzeige gegen die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie des „Vereins zur Unterstützung traumatisierter Migranten“ gestellt wurde, über die o.g. Voraussetzungen verfügt und somit eine qualifizierte Anschuldigung möglich war, ist durch die Staatsanwaltschaft zu beurteilen. Die BAfF spricht sich vehement gegen diese pauschalen Unterstellungen, Vorwürfe und Diskreditierungen von Ärzt*innen aus.

 

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[1] Stuttgarter Nachrichten, Scheinatteste für Flüchtlinge vor Abschiebungen?, 07.03.2018. https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.scheinatteste-vor-abschiebungen-afd-stellt-strafanzeigen-betroffener-verein-schweigt.bcf7a500-127c-42f8-af08-cda8f21f5de6.html

[2] Spiegel, De Maizière nennt falsche Atteste-Zahlen, 17.06.2016. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/thomas-de-maiziere-falsche-zahlen-bei-attest-statistik-von-fluechtlingen-a-1098265.html

[3] Ärztinnen und Ärzte verurteilen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und ihre Berufsgruppe, https://www.baff-zentren.org/news/aerztinnen-verurteilen-stimmungsmache-gegen-fluechtlinge/

[4] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der DIE LINKE, Der Einsatz von Ärztinnen und Ärzten im Kontext von Abschiebungen, 26.02.2018, Frage 11.